Demokratie und Fracking

Von Diplom-Geologe D. Weißenborn
 

Der BUND und zahlreiche andere „Initiativen gegen Gasbohren/Fracking“ aus ganz Europa schrieben vor kurzem einen offenen Brief an den Präsidenten der EU-Kommission, Herrn Jose´ Manuel Barroso, die fachlich zuständigen Kommissare sowie die (zuständigen) Minister der nationalen Regierungen.

 Der Brief trägt die Überschrift:

 Unkonventionelle fossile Energieträger/Umweltverträglichkeitsrichtlinie/CETA/TAFTA

Neben überwiegend altbekannten, zumeist nicht durch Quellenangabe belegten Anwürfen gegen die Gewinnung von Schiefergas, Schieferöl u.a. tauchen diesmal auch neue Aspekte auf.

Anm. des Seitenbetreibers: Im Brief sind 8 Punkte aufgeführt, die angebliche negative Auswirkungen der Schiefergasgewinnung beinhalten. Beim Beispiel der negativen Klimawirksamkeit fallen die angegebenen, z.T. sehr hohen Methanverluste zwischen 4 % von bis zu 11 % auf. Diese sind offenbar einer scharf kritisierten Studie des „Fracking“-Gegners und Evolutionsbiologen (!) Howarth  entnommen (“The greenhouse-gas footprint of natural gas in shale formations”). Aktuellere Zahlen, die von ca. 2,4 % Verlust von der Bohrung bis zum Kraftwerk ausgehen, finden keine Erwähnung. Insgesamt wird kein einziger Beleg für die Behauptungen geliefert. Vielmehr erscheinen die Argumente subjektiv und aus der Luft gegriffen.

 Im Brief heißt es:

Die oben genannten belegbaren Argumente gegen die Aufsuchung und Ausbeutungunkonventioneller fossiler Energieträger wurden bei vielen Gelegenheiten von Gruppen besorgter Bürger und Umweltorganisationen kundgetan und führten zum Beschluss der Korbacher Resolution. Es scheint aber, dass unsere Politiker diese Argumente nicht berücksichtigen wollen oder können.

Dies stellt eine ernstzunehmende Missachtung der Demokratie dar und ist ein klares Zeichen dafür, dass unsichere kurzfristige und umweltschädliche Gewinne mehr zählen als der Schutz der öffentlichen Gesundheit und der nachhaltigen Umwelt.

Darüber hinaus stellen wir fest, dass Bestechung auf regionaler Ebene ebenfalls eine Rolle spielt und Kommunen massiv unter Druck geraten und eingeschüchtert werden. Rechtsverletzungen und Repressalien, wie z. B. vor kurzem in Pungesti (Rumänien), Zurawlow (Polen) und Barton Moss (Großbritannien) beobachtet, entwickeln sich zu Begleiterscheinungen der Öl- und Gasförderung.

Dies führt dazu, dass das Vertrauen in die Europäische Union schnell dahinschwindet.

Die Meinung der Verfasser könnte somit auf die folgende einfache Formel gebracht werden:

Fracking gefährdet Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Wie bitte? Wird da ein kausaler, zwangsläufiger Zusammenhang zwischen „Fracking“ einerseits und schwindender Demokratie sowie Rechtsverstößen und Korruption andererseits hergestellt? Stellt allein schon die Tatsache, dass nicht alle Vorstellungen von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden von EU und nationalen Regierungen in entsprechender Weise gesetzgeberisch und administrativ umgesetzt werden, eine Beschädigung von Demokratie dar?

Demokratie (übersetzt: Volksherrschaft) bedeutet nicht zwangsläufig, dass alle Vorstellungen einzelner Gruppen umfänglich durchgesetzt werden. Wenn die Verantwortlichen der Umweltverbände und Initiativen dies aber meinen sollten, so stellen sie sich selbst ein schlechtes „Demokratiezeugnis“ aus.

Das Demokratieverständnis der Verfasser gerät erst recht ins Zwielicht, wenn man bedenkt, dass wohl in kaum einer (demokratisch ausgerichteten) Verfassung die Art und Weise der Energie- und Rohstoffgewinnung explizit festgelegt ist. Die Favorisierung bestimmter Wirtschaftsformen und Anwendung von Technologie wird in vielen Staaten durch den Gesetzgeber mit mehr oder weniger umfangreichen Regelungen verschiedenster Art beeinflusst – idealerweise unter Beachtung von verfassungsmäßig vorgegebenen Grundsätzen ökologischer, sozialer, rechtlicher und wirtschaftlicher Natur. Neben Gesetzgeber und Administration gestalten die Unternehmen in technischer, planerischer und wirtschaftlicher Hinsicht die Energie- und Rohstoffgewinnung.

Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass grundsätzlich keine Anwendung einer Technologie, also auch nicht das „Fracking“, Demokratie gefährdet. Die Verfasser des Briefes haben nicht den Hauch eines Hinweises geliefert, dass die Demokratie unseres Landes Schaden durch mehr als 300 bisher in Deutschland durchgeführte Einzelfracs genommen hat. Wurden die Wahlen vergangener Jahrzehnte durch den hydraulischen Druck in tausenden Metern Teufe manipuliert? Mehr noch, gilt die Anwendung dieser Technologie also nur in ohnehin diktatorischen Systemen als nicht „demokratiegefährdend“?

Demokratie kann nur durch Menschen gefährdet werden.

Wer also einfach nur der Technologie „Fracking“ das allgemeingültige Attribut „demokratiegefährdend“ umhängen will, betreibt eine Propaganda der erheblichen Begriffsvernebelung.

Im offenen Brief an den EU-Kommissionspräsidenten ist von Rechtsverletzungen und Repressalien einigen Ländern der Europäischen Union die Rede. Bestechung auf regionaler Ebene sowie Druck auf Kommunen werden angeprangert. Es fällt sehr schwer, von Deutschland aus den Vorkommnissen in den einzelnen Ländern auf den Grund zu gehen – nicht zuletzt aufgrund einer verworrenen Nachrichtenlage. Die Gründe hierfür mögen zahlreich sein und können an dieser Stelle auch nicht abschließend bewertet werden, ebenso wenig wie der tatsächliche Hergang und das Verhalten aller Beteiligten.

Aus den drei erwähnten Brennpunkten in Großbritannien, Polen und Rumänien seien die Vorkommnisse im Raum Pungesti im nordöstlichen Rumänien kurz angesprochen.

 Dort kam es im Herbst 2013 offensichtlich zu erheblicher Unruhe unter der Bevölkerung. Auslöser waren staatlicherseits genehmigte Aufsuchungsaktivitäten der Chevron Romania (rumänische Tochtergesellschaft des amerikanischen Chevron-Konzerns) zur seismischen Erkundung des Untergrundes in diesem Gebiet. Aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger warfen der Gesellschaft und den Messtrupps illegale Betretung ihrer Grundstücke mit widerrechtlicher Verlegung von Geophonen und Signalkabeln vor. Auch Schäden an Gebäuden durch im Boden ausgelöste seismische Sprengungen und Einsatz von Vibratoren sowie angebliche Parteinahme von vermeintlich korrupten lokalen Autoritäten (Bürgermeister?) wurden beklagt. Verschiedentlich wurden die verlegten Kabel und Geophone von der Dorfbevölkerung wieder entfernt. Die Messung kam dadurch zumindest vorübergehend zum Erliegen.

Anm. des Seitenbetreibers: Bei den Gegnern der inländischen Kohlenwasserstoffgewinnung wurden selbstverständlich auch Berichte aus Rumänien zum oben beschriebenen Geschehen aufgeführt. Dort war von „illegalen“ Seismikarbeiten zu lesen. Warum diese illegal gewesen sein sollen, war den Berichten jedoch nicht zu entnehmen. Dazu mehr am Ende des Beitrags hinter den Quellenangaben.

Die rumänischen Sicherheitsbehörden griffen offenbar hart und mit zahlenmäßig starkem Aufgebot durch. Öffentlich zugänglichen Informationen zufolge wurde angeblich der gesamte Ort Pungesti von Polizeieinheiten umstellt und besetzt, einige Personen sogar auf ihren Hausgrundstücken festgenommen. Allein die letztere Tatsache führte schon zu dem nicht auf die leichte Schulter zu nehmenden Vorwurf, die Verhältnismäßigkeit der Mittel sei nicht gewahrt worden, Bürger- und sogar Menschenrechte seien dem Profitstreben des Konzerns geopfert worden.

Nach eigener Darstellung verfolgt Chevron Romania in der dortigen Region das Ziel, Schiefergas zu gewinnen. Die Vorkommen werden in Teufen zwischen 2000 und 4000m vermutet. Die Recherche von Hintergrunddaten zur Geologie für diesen Beitrag gestaltete sich wenig erfolgreich. Jedoch erscheint die von einigen Einwohnern Pungestis und den unterstützenden auswärtigen Aktivisten beschworene Gefahr der Grund- und Trinkwasserkontamination durch das zukünftig wahrscheinlich zum Einsatz kommende „Fracking“ angesichts dieser Zahlenwerte als verschwindend gering.

Die gesetzlichen Grundlagen im Bereich Bergrecht/Umweltrecht in diesem Mitgliedsland der EU werden denen anderer EU Staaten zwar ähneln, jedoch ist zumindest nach Meinung der Protestbewegung der Bereich der unkonventionellen Methoden rechtlich nicht geregelt. Vor allem aber könnten Mängel in der administrativen Handhabung vorliegen. Angenommen, die Aussagen zu rechtswidrigen Benutzungen von Privatgrundstücken durch Chevron Romania und die Kontraktoren träfen zu, wäre ein solcher Fall gegeben. Ohne Einwilligung der Grundeigentümer darf dort nicht gearbeitet werden!

Aber wie sähe die Bewertung aus, wenn bei Gesprächen mit den Grundeigentümern zur Erlangung der Betretungs- und Tätigkeitsgenehmigungen keine ausreichenden Angaben zu den Eigentums- und Nutzungsverhältnissen bestimmter Grundstücke erhältlich waren? Kommunikationsprobleme, Zeitmangel und Nachlässigkeit aller Beteiligten bei der Erfassung dieser Verhältnisse können auch ohne „bösen Willen“ zu unangenehmen Überraschungen und endlosem Ärger mit der Landbevölkerung führen. Dazu braucht ein Landwirt nur eine veraltete Aufstellung seiner von ihm bewirtschafteten Flächen einschließlich einer fehlerhaften Karte vorzulegen, auf der eine kurz zuvor verkaufte Fläche noch als sein Eigentum ausgewiesen wird. Er erteilt seine Genehmigung dann gleichsam für eine mittlerweile in fremdem Eigentum befindliche Fläche für die nicht zwangsläufig auch eine Genehmigung des neuen Eigentümers vorliegen muss.

Fehlende zentrale Wasserversorgung nach westeuropäischen Standard, stattdessen private Haus- und Weidebrunnen, die man dort für besonders „anfällig“ für alle Aktivitäten der Erdgasindustrie hält, allgemeiner Ärger hinsichtlich lokaler Autoritäten (z.B. Bürgermeister) könnten hinzu getreten sein.

Die öffentliche Wahrnehmung des mit der Schiefergasgewinnung in keiner Weise vergleichbaren Goldbergbaus in anderen Landesteilen (Rosia Montana), welcher in der jüngeren Geschichte Rumäniens Verursacher erheblicher ökologischer Belastungen war, scheint ebenfalls eine Rolle gespielt zu haben.

Eine rumänische Ökologie- und Bürgerbewegung entsteht soeben – fast ein halbes Jahrhundert später als in den westlichen Ländern. Die Schiefergasgewinnung stellt nur einen Teilausschnitt einer wesentlich komplexeren Gemengelage dar. Wer, wie die Verfasser des Briefes, angesichts der hier zwangsläufig nur angerissenen Zusammenhänge ohne klare Belege die Korruption und Missachtung von Bürgerrechten als quasi unausweichliche Begleiter der unkonventionellen Kohlenwasserstoffgewinnung darstellt und dies eventuell noch auf Deutschland zu übertragen gedenkt, begibt sich auf das übliche dünne Eis der sogenannten „Anti-Gasbohr-Bewegung“.

 Quellen:

Link zum Brief an EU-Kommssionspräsident Barroso auf den Seiten des BUND Niedersachsen (pdf): http://www.bund-niedersachsen.de/fileadmin/bundgruppen/bcmslvniedersachsen/Aktuell/2014/European_Open_Letter_EIA-Directive_CETA-TAFTA_Dt.pdf

Geografische Lage des Ortes Pungesti: http://mapcarta.com/13684664

Chevron Romania: http://www.chevron.ro/documents/en/10_Facts_10Feb_12_EN.pdf

zu Umwelt, Bürgerrechte, Fracking und Goldbergbau in Rumänien (deutschsprachig): http://www.cotaru.com/rosia-montana-etc/ – .UuZ7EptZBGI

internationale Berichterstattung zu den Vorkommnissen in Pungesti: http://www.theguardian.com/environment/2013/oct/21/chevron-shale-gas-exploration-omanian-pungesti

http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2013/12/pungesti-romania-battlefield-against-chevron-201312117349323363.html

Anm. des Verfassers zum Aljazeera-Link: Sehr interessant! Eine rumänische Journalistin, die den Aktivisten gegenüber positiv eingestellt zu sein scheint, schreibt einen Gastkommentar auf Aljazeera, dem namhaftesten Sender des Nahen und Mittleren Ostens. Der Sitz ist Doha in Katar, ein wichtiger öl- und gasexportierender Staat, mit deutlicher Einflussnahme im syrischen Bürgerkrieg und Absichten bezüglich des pipelinegestützten Exportes seiner Rohstoffe Richtung Mittelmeer und Europa.

Anm. des Seitenbetreibers: Mich erstaunt, dass die Aktivitäten von Chevron deshalb als illegal angesehen werden, weil unkonventionelle Lagerstätten nicht explizit vom „Erdöl-Gesetz 238/2004“ abgedeckt werden bzw. gesondert aufgeführt werden. Aber warum sollten sie das auch? Die Autorin beruft sich dabei auf eine „Experten“-Kommission bestehend aus einem emeritierten Mathematikprofessor, einem Geologen sowie Wirtschafts- und Mathematikprofessor. Diese wurden, sofern ich die Einleitung des rumänischen Artikels richtig verstehe, von Anti-Fracking-Aktivisten beauftragt. Es handelt sich bei der Feststellung der Illegalität von Chevrons Aktivitäten offenbar also eher um eine Meinung denn um einen Fakt.

Weitere Links können unter „Pungesti“, „Chevron Romania“, „Schiefergas Rumänien“, etc. ergoogelt werden, ebenso auch entsprechende Videos auf youtube.