Ist die inländische Erdgasversorgung in Gefahr? Ein Gedankenspiel.

Vor gut einer Woche, am 12. Februar 2015, erschien bei der Wirtschaftswoche (WiWo) ein interessanter und gelungener Artikel von Benjamin Reuter, der sich ausführlich mit der Erdgasversorgung Europas in näherer Zukunft auseinandersetzte. Dabei arbeitete Reuter heraus, dass diese unter keinem guten Stern stünde. Der Artikel Versiegende Vorkommen Europa geht das Erdgas aus“ gab Anlass für eine Betrachtung für Deutschland, die hier gedanklich durchgespielt werden soll.

1. Einleitung

Deutschland deckt gegenwärtig seinen Primärenergieverbrauch zu ca. 20 Prozent aus Erdgas, und das bereits seit mehreren Jahren auf stabilem Niveau. Im Jahr 2013 betrug der Anteil z.B. 22,9 Prozent, während die Energieträger Wind und Sonne inklusive Solarthermie lediglich ziemlich exakt 1/10 diese Betrages beisteuern konnten. Die vielgepriesenen „Erneuerbaren“ brachten es mit insgesamt 10,4 Prozent auf knapp die Hälfte (Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie). Das unterstreicht die Bedeutung von Erdgas.

Doch Erdgas ist nicht nur Energieträger sondern auch Rohstoff für die chemische Industrie und ein interessantes Substitutionsgut für Erdöl in der petrochemischen Industrie zur Herstellung von Kunststoffen sowie anderen klassischen Erdölprodukten. An dieser Stelle soll auf den Vortrag Hydraulic Fracturing in Deutschland – Die Risiken aus geowissenschaftlicher Sicht von Dr. Volker Wrede vom Geologischen Landesdienst Nordrhein-Westfalen (NRW) hingewiesen werden, der in seinen Ausführungen auch diesen Punkt anschneidet.

Erdgas ist also ein bedeutender, vielfältig einsetzbarer Rohstoff nicht nur zur Erzeugung von Strom und Wärme durch seine Verbrennung. Deshalb ist die Frage von Bedeutung, wie sich Deutschland mit diesem Rohstoff versorgt und künftig versorgen wird. Der zweite Teil der Frage wirft dabei ein sicherlich nicht leicht zu lösendes Problem auf, dass hier im weiteren Verlauf diskutiert werden soll.

2. Wie versorgt sich Deutschland gegenwärtig mit Erdgas?

Die Erdgasversorgung Deutschlands kann gegenwärtig noch als diversifiziert bezeichnet werden. Allerdings ist die Versorgung nicht so breit gefächert wie beim Erdöl. Dieser Rohstoff stellt mit 33,6 Prozent nach wie vor den bedeutendsten Anteil beim Primärenergieverbrauch Deutschlands dar. Die Versorgung der deutschen Volkswirtschaft erfolgt dabei aus 30 Ländern (Stand 2013), wobei anders als allgemein vermutet der Beitrag aus dem Nahen Osten insgesamt als unbedeutend anzusehen ist. Er entspricht in etwa der Größenordnung der Inlandsförderung (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe: Energiestudie 2014) von ca. 2,5 Mio. bis 3 Mio. Tonnen Erdöl pro Jahr.

Bei der Erdgasversorgung leisten hingegen nur vier Länder einen bedeutenden Anteil, darunter Deutschland mit ca. 12 Prozent im Jahr 2013. Zehn Jahre zuvor lag der Selbstversorgungsanteil noch bei 18 Prozent und stieg 2005 sogar zwischenzeitlich auf 20 Prozent, um danach kontinuierlich zu sinken (siehe Diagramm). Aufgrund ausgebliebener bedeutender Neufunde und nicht zu vergessen aufgrund politisch bedingter Blockaden hinsichtlich der Erschließung bereits bekannter Vorkommen wird der Anteil in den nächsten Jahren weiter sinken. Dabei ist zu beachten, dass der inländische Erdgasbedarf seit dem Jahr 2000 mit ca. 3.000 Petajoule/Jahr sich auf konstantem Niveau bewegt (Quelle: Auswertungstabellen zur Energieversorgung Deutschlands 1990 bis 2013, AG Energiebilanzen e.V.). Der Anteil der Eigenversorgung muss also kompensiert werden.

Und das ist bislang durch die weiteren Versorger gelungen. So konnte, wie das Diagramm veranschaulicht, der sinkende Anteil Deutschland sowie der rückläufige Beitrag Norwegens durch die Niederlande und vor allem durch Russland ausgeglichen werden. Doch wie Benjamin Reuter es in seinem lesenswerten Beitrag beschrieben hat, wird die Kompensation in den nächsten Jahren und spätestens ab 2020 erheblich erschwert werden.

3. Versorgungsprobleme in näherer Zukunft?

ITAG-Rig 30 auf Schiefergaserkundungsbohrung "Damme 2" Sukrams

ITAG-Rig 30 auf Schiefergaserkundungsbohrung „Damme 2“ ©Sukrams

Diese Frage ist sicherlich nicht unberechtigt. Denn wie bereits erwähnt sinkt der Eigenversorgungsanteil Deutschlands seit 10 Jahren kontinuierlich und schrumpfte von noch beachtlichen 20 Prozent auf inzwischen lediglich die Hälfte.

Da diese Entwicklung aufgrund ausgebliebener größerer Neufunde abzusehen war, wurde seit 2008 mit der Erkundung potenzieller Erdgasvorkommen in sogenannten „unkonventionellen Lagerstätten“, bei denen das Erdgas im Muttergestein, also an dem Ort, wo es gebildet wurde, verblieben ist, begonnen. Doch kam die Erkundung bereits drei Jahre nach ihrem Beginn wieder zum Erliegen. Dabei waren nicht negative Explorationsergebnisse dafür ausschlaggebend, sondern politische Willkürentscheidungen.

Denn für die Erschließung, insbesondere von Erdgasvorkommen in Tonsteinen („Schiefergas“), ist die Anwendung des Hydraulic Fracturing erforderlich. Dieses Verfahren, dass zuvor über 50 Jahre in Deutschland angewendet wurde, um Erdgaslagerstätten in verschiedenen Sandsteinvormationen zu erschließen und optimaler auszubeuten, ist durch Falschdarstellungen im Film „Gasland“ in Verruf geraten. Die Falschdarstellungen wurden durch unkritische Medienberichte verbreitet und die Ablehnung des Standardverfahrens dadurch noch potenziert. Erst vor wenigen Wochen sahen zumindest die öffentlich-rechtlichen Sender ein, dass die Ausstrahlung von „Gasland“ ein Fehler war. Zu spät! Mehr dazu: „Öffentlich-rechtliche Sender wollen “Gasland” nicht mehr ausstrahlen – Entscheidung kommt vier Jahre zu spät“.

Die Debatte hatte zügig die Politik erreicht, die sich sofort in Aktionismus verstieg. Konsequenz war und ist die Schaffung eines investitionshemmenden Klimas für die inländische Erdgasförderindustrie. So wurde die Exploration unkonventioneller Lagerstätten quasi unterbunden und dabei wird es durch anberaumte Gesetzesänderungen auch bleiben. Denn diese sind so angelegt, dass kein Unternehmen teure Erkundungsmaßnahmen durchführen wird. Denn durch die willkürlich gezogene 3.000-Meter-Tiefenlinie, oberhalb derer in unkonventionellen Lagerstätten nicht gefract werden darf, sind die lukrativen Vorkommen im Posidonia des Lias sowie potenzielle Vorkommen im „Wealden“ als Explorationsziel hinfällig, da diese in Teufen ab 1.000 Meter bis ca. 2.500 Meter zu verorten sind.

Aber auch in anderen Lagerstätten, in denen zuvor seit 1961 das Fracverfahren zur Anwendung kam, wurde seit 2011 keine entsprechende Maßnahme mehr genehmigt, obwohl sich die Gesetzeslage nicht geändert hat, was abermals die politische Willkür unterstreicht. Die Konsequenz ist ein rapiderer Rückgang der Inlandsförderung als noch vor wenigen Jahren angenommen bei gleichzeitigem Ausbleiben der Erkundung und Erschließung potenzieller Vorkommen. Hält diese Tendenz an, wird innerhalb der nächsten 10 Jahre der Beitrag der heimischen Produktion am Inlandsbedarf marginalisiert.

Erschwerend kommt hinzu, dass ab 2020 die Niederlande, die 2013 noch 25 Prozent zur Erdgasversorgung Deutschlands wegfallen werden. Das hängt einerseits damit zusammen, dass die Förderung in der drittgrößten Erdgaslagerstätte der Welt, dem Erdgasfeld „Groningen“, aufgrund natürlicher Erschöpfung die Förderung zurückgeht. Verschärft wird dieser Trend durch die Entscheidung der niederländischen Regierung, die Förderung in diesem Feld zu drosseln.

Diese Entscheidung beruht auf den in der Region auftretenden Erdstößen, die bereits zu Gebäudeschäden geführt haben sollen und in Teilen der Bevölkerung für Protest sorgten. Diese seismischen Ereignisse sind Folge der Druckentlastung durch die seit 50 Jahren laufende Förderung aus der Lagerstätte und nicht etwa von „Fracking“ wie jüngst in einigen deutschen Medien wie N24 behauptet wurde.

Unter der Annahme, dass der Erdgasverbrauch bis 2020 in etwa stabil bleibt, der Anteil der Eigenversorgung auf 5 Prozent schrumpft und der 25-Prozent-Anteil der Niederlande entfällt, ergäbe dies eine Versorgungslücke, die knapp einem Drittel des inländischen Erdgasbedarfes entspricht.

4. Auswege aus dem potenziellen Dilemma

Biogasanlage (oben) und Erdgasförderbohrung "Hemsbünde Z4"  (unten) im Landkreis Rotenburg/Wümme Quelle: Bing Maps

Biogasanlage (oben) und Erdgasförderbohrung „Hemsbünde Z4“ (unten) im Landkreis Rotenburg/Wümme
Quelle: Bing Maps

In einer Rede der Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks bei der ZEIT-Konferenz „Erdgas & Klimaschutz“ betonte die Umweltministerin die Bedeutung von Erdgas. So folgt aus ihrer Sicht:

dass Erdgas als Heiz- und Kraftstoff sowie zur Stromerzeugung in Kraftwerken eine wichtige Brückenfunktion besitzt. Erdgas ist außerdem ein wichtiger Teil des Energieportfolios bei uns, in Europa und weltweit. Deutschland kann wegen der wichtigen Frage nach der Versorgungssicherheit auf fossile Energieträger als Übergangstechnologien bei Umstellung auf erneuerbare Energien mittelfristig nicht verzichten.

 Gleichzeitig erteilt sie aber Erdgas, dass mit Hilfe des Fracverfahrens aus Tonschiefern und Kohleflözen gewonnen wird, eine deutliche Absage:

Unkonventionell gefracktes Gas ist für unsere Energieversorgung wirklich überflüssig.

Also nach Meinung der Ministerin ist Erdgas wichtig, aber dabei überflüssig, wenn es aus unkonventionellen Lagerstätten kommt, die mit Hilfe des Fracverfahrens erschlossen werden müssen. Jedenfalls interpretiere ich so das Kauderwelsch von „unkonventionell gefracktem Gas“. Doch die Frage, woher künftig Deutschland sein Erdgas beziehen sollte, bleibt dabei offen.

Denn nur die Erschließung der vielversprechenden Erdgaspotenziale in Tonschiefern und untergeordnet Kohleflözen, den sogenannten „unkonventionellen Lagerstätten“ hinsichtlich einer Differenzierung in „unkonventionell“ für im Muttergestein vorhandene Erdgasvorkommen sowie „konventionell“ für Lagerstätten, in die das Erdgas aus dem Muttergestein gewandert (migriert) ist, kann den Förderrückgang bremsen und den Trend womöglich sogar umkehren und damit den Eigenversorgungsanteil erhöhen.

Möglicherweise kann Russland einen Teil der Versorgungslücke schließen. Doch ob das bei der gegenwärtigen politischen Lage erstrebenswert ist, sollte zumindest hinterfragt werden. Zumindest müsste eine weitere Erdgastrasse gebaut werden, was innerhalb eines kleinen Zeitfensters von fünf Jahren nicht machbar ist, obgleich der Bau der Ostseepipeline erstaunlich zügig vonstatten ging. Russland scheidet somit als kurzfristiger Kompensator aus.

Ähnlich verhält es sich mit Importen von verflüssigtem Erdgas (LNG) z.B. aus Katar. Zwar verfügt Europa laut B. Reuters Artikel über Kapazitäten von 200 Mrd. Kubikmetern, die nur zu einem Viertel ausgelastet sind, doch ist LNG aufgrund des energetischen Aufwands zur Verflüssigung vergleichsweise teuer. Und hier stellt sich die Frage, ob Deutschland sich tatsächlich von einer potenziellen Krisen- und Kriegsregion abhängig machen will. LNG-Transporte aus Katar müssten über die Straße von Hormuz erfolgen, die den Persischen Golf mit dem Indischen Ozean verbindet.

Biogas stellt ebenfalls keine Alternative dar, wie es auch Reuter sieht. Es mangelt jedoch nicht nur an Anbauflächen, sondern auch die ökologische Bilanz ist verheerend. Mehrfach führten Havarien an Biogasanlagen zu massiven Gewässerverunreinigungen. Denen konnten die häufig durch Bürgerinitiativen im Schulterschluss mit Umweltverbänden und Medien zu Umweltskandalen aufgebauschten Vorkommnissen im Zusammenhang mit der Erdöl- und Erdgasproduktion nicht annähernd das Wasser reichen.

Inwiefern das von Energiewendeverfechtern herbeigesehnte „Power To Gas“ (P2G) zu Lösung des Problems beitragen könnte, ist gegenwärtig nicht abzusehen. Bei diesem Verfahren wird mit Hilfe von (überschüssiger) elektrischer Energie zunächst Wasser zu Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten (Hydrolyse). In einem zweiten Schritt wird der Wasserstoff mit Kohlendioxid zu Methan umgewandelt. Als Nebenprodukt fällt Wasser an. Statt Kohlendioxi kann auch Kohlenmonoxid verwendet werden (Quelle: Strategieplattform Power to Gas – Strom in Gas umwandeln). Das Problem bei P2G: Das Verfahren ist (noch) sehr teuer, großmaßstäbig nicht verfügbar und zudem soll das synthetische Methan verstromt werden und fällt somit für Heizzwecke und als Rohstoff der chemischen Industrie weg.

Die Frage, wie sich ein Ausweg aus dem sich abzeichnenden Dilemma finden lässt, ist also nicht einfach zu beantworten. Ein erster Schritt wäre es, die Exploration und die sich später eventuell anschließende Produktion von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten zu forcieren. Parallel muss selbstverständlich nach Wegen gesucht werden, die einen Abschied von fossilen Energieträgern ermöglichen, da diese endlich sind. Wind und Sonne sind jedenfalls nicht der Ausweg. Das zeigt deren geringer Anteil an der inländischen Energieversorgung, der trotz aller Anstrengungen gerade einmal bei 2,3 Prozent liegt und damit ungefähr gleichauf mit dem Anteil, den in Deutschland gewonnenes Erdgas noch beitragen kann.