Journalistische Tiefpunkte in der #Fracking Debatte Teil II

Am 1. April 2015 gab die Bundesregierung bekannt, die geplanten Gesetzesverschärfungen hinsichtlich inländischer Erdgasgewinnung im Allgemeinen und des Einsatzes von Hydraulic Fracturing („Fracking“) umsetzen zu wollen. Es fühlten sich mehrere Journalisten dazu berufen, in Kommentaren das Vorhaben zu kritisieren. Ihrer Fakten entbehrenden Meinung nach hätte das Standardverfahren komplett verboten werden müssen.

 Zu den Journalisten gehörten Silvia Liebrich von der Süddeutschen Zeitung sowie der WDR/ARD-“Energieexperte” Jürgen Döschner. Ihre Kommentare wurden bereits in Teil I kritisch diskutiert. Es wurde dargelegt, dass ihre Meinungen argumentativ nicht belegt werden konnten, was einen gelungenen Kommentar auszeichnet. Es war kaum zu erwarten, dass dieses Niveau unterboten werden könnte. Doch dass das möglich ist, beweist ein ebenfalls am 1. April 2015 erschienener Kommentar von Anna-Beeke Gretemeier vom Magazin „Stern“.

Die Richtung wird bereits mit der Schlagzeile „Verbietet Fracking in Deutschland!“ vorgegeben. Angeblich wolle das sowieso keiner und angeblich gäbe es gute Gründe, warum dem so sei.

Eine solch absolute Bewertung, wie sie Gretemeier trifft, hat in einem guten journalistischen Kommentar nichts zu suchen. Denn ein Charakteristikum eines gelungenen Kommentars ist, dass darin getroffene Aussagen argumentativ belegt werden, was nicht der Fall ist und zudem nicht möglich. Denn es gibt hierzulande zahlreiche Mitbürger, die zumindest kein Problem damit haben, dass das Fracverfahren weiterhin zur Erschließung von Erdöl- und Erdgaslagerstätten sowie auf anderen Einsatzgebieten zur Anwendung kommt. Frau Gretemeier wird es kaum für möglich halten, aber es gibt sogar Befürworter, die nicht auf der Gehaltsliste von Explorations- und Produktionsunternehmen stehen. Ich verweise an dieser Stelle auf den geschätzten Blogger-Kollegen Quentin Quencher und seinen Artikel „Warum in Deutschland gefrackt werden sollte“.

Im Kommentar Gretemeiers wird deutlich, dass sie sich mit der Technologie, die sie verboten sehen will, weder sachlich noch fachlich auseinandergesetzt hat. Sie schreibt:

Bei dieser Gasförderungsmethode wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien unter großem Druck in tiefe Erdschichten gepresst. Das Gestein bricht auf und setzt Erdgas frei, das mit herkömmlichen Bohrungen nicht gefördert werden könnte.

Zunächst einmal ist Hydraulic Fracturing keine „Gasförderungsmethode“. Vielmehr ist es eine Methode, bei der durch Druckübertragung mittels einer Flüssigkeit (Hydraulik) Risse (englisch: fractures) in Festgestein erzeugt werden. Das Bohrlochdesign unterscheidet sich dabei nicht von anderen Tiefbohrungen zur Gewinnung von Erdöl, Erdgas oder Thermalwässern. Hier offenbart sich ein weiteres Missverständnis: Hydraulic Fracturing ist kein Bohrverfahren! Es kann erst nach fertiggestellter Bohrung durchgeführt werden.

Sie schreibt weiter, dass das Verfahren ein „Megageschäft für Energiekonzerne“ wäre. Das ist interessant, ist doch in seit mehreren Monaten in deutschen Medien immer wieder zu lesen, dass „Fracking“ sich nicht lohne. In dieser Uneinigkeit sind sich viele Journalisten und „Fracking“-Gegner offenbar einig. Einerseits ist von Profitgier die Rede, andererseits soll sich die Anwendung des Verfahrens ökonomisch nicht lohnen. Ökologisch sei es sowieso ein Desaster:

Und ein Riesenproblem für die Umwelt: Die Chemikalien belasten das Grundwasser nachhaltig. Eine erhöhte Erdbeben-Gefahr kann auch nicht ausgeschlossen werden.

Via Twitter fragte ich Frau Gretemeier, ob sie einen konkreten Fall benennen könne, wo Grundwasser (nachhaltig) durch die dem Fracfluid in geringer Konzentration beigemengten Chemikalien belastet wurde. Eine Antwort blieb aus. Vorsichtshalber verwies ich auf eine Einschätzung des Berufsverbandes Deutscher Geowissenschaftler (BDG). Dem BDG-Artikel „Fracking nicht verteufeln!“ ist u.a. zu entnehmen:

Die Hauptargumente der Fracking-Kritiker, die Verunreinigung des Trinkwassers und die Auffassung, Fracking könne Erdbeben auslösen, haben nach Auffassung des BDG wenig Bestand: Seit diese Technik in Deutschland eingesetzt wird, ist kein einziger Fall einer Grundwasserverunreinigung durch Fracking aufgetreten und die Auswirkungen des Frackings können zwar seismisch gemessen werden, sind aber in der Regel weit unter der Spürbarkeitsgrenze. In Deutschland ist es bei keiner der bisher durchgeführten Frackingmaßnahmen zu einem spürbaren Beben gekommen.

International betrachtet verhält es sich kaum anders. So kann Prof. Dr. Brian Horsfield vom GeoForschungsZentrum Potsdam in einem Interview von April 2013 lediglich bestätigen, dass bei über 2,5 Millionen Fracmaßnahmen weltweit nur ein einziger Fall dokumentiert ist, bei dem Fracfluid ins Grundwasser aufstieg.

Aus einer Zusammenfassung von Forschungsergebnissen hinsichtlich des Erbebenrisikos im Zusammenhang mit Fracaktivitäten der Durham University geht hervor,  dass die Wahrscheinlichkeit von spürbaren Beben sehr gering ist und das speziell auf gasführende Tonsteine (Schiefergaslagerstätten) bezogen ein besseres geologisches Verständnis dieser die Risiken minimiert werden können („What size of earthquakes can be caused by fracking?“). Bis 2013 konnten lediglich vier spürbare Beben dokumentiert werden. Kein einziges davon war ein Schadensbeben. Allem Anschein nach ist es für viele Journalisten zu kompliziert, wisenschaftliche Erkenntnisse zum Thema zu recherchieren. Dementsprechend ist es wenig verwunderlich, welchen, mit Verlaub, weiteren Unfug sich Frau Gretemeier aus den Fingern saugt.

Sie fährt fort, dass die Gesetzesänderungen „ein völlig verunglückter Mix aus den Interessen der Energiekonzerne und den Erfordernissen des Umweltschutzes“ wären. Kurioserweise sind aber keine Freudengesänge der „Konzerne“ zu vernehmen. Im Gegenteil: Aufgrund der verschärften Regularien halten sie es nicht für ausgeschlossen, dass die inländische Gewinnung von Erdöl und Erdgas zum Erliegen kommt. In einer Pressemitteilung vom 01. April 2015 äußert sich der Vorsitzende des Wirtschaftsverbandes Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V. (WEG), Dr. Gernot Kalkoffen, wie folgt:

Die vorgeschlagenen Regelungen sind zum Teil überzogen, sodass sie zur Stilllegung der deutschen Erdöl- und Erdgasproduktion führen können.

Weiterhin beklagt die Kommentatorin, dass außerhalb der anberaumten Ausschlussgebiete Probebohrungen möglich seien und in Ausnahmefällen kommerzielles Fracking (sie meint wohl kommerzielle Förderung von Schiefergas) möglich wäre, worüber eine Kommission zu befinden hätte. Sie fragt, wer denn definiere, was eine Ausnahme sei und bezeichnet die Antwort des Gesetzgebers als „irre“:

Darüber soll – ab 2019 – eine von Bundeskanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) vorgeschlagene Expertenkommission entscheiden. Natürlich werden in dieser Kommission auch Vertreter der Energielobby sitzen, die alles dafür tun werden, dass ihnen das Fracking-Geschäft nicht entgeht.

Da irrt die Autorin aber gewaltig. Diese irre Antwort gibt es überhaupt nicht. Denn der Kommission, die von der Bundesregierung eingesetzt wird, gehört kein einziger Vertreter der „Energielobby“ an. Vielmehr sind vertreten:

  1. ein Vertreter der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR),
  2. ein Vertreter des Umweltbundesamtes (UBA),
  3. ein Vertreter eines Landesamtes für Geologie, das nicht für die Zulassung der Erprobungsmaßnahmen zuständig ist,
  4. ein Vertreter des Helmholtz-Zentrums Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrums (Helmholtz-Gesellschaft),
  5. ein Vertreter des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig sowie
  6. ein vom Bundesrat benannter Vertreter einer für Wasserwirtschaft zuständigen Landesbehörde, die nicht für die Zulassung der Erprobungsmaßnahmen zuständig ist.

Diese Auflistung ist der Seite „Fragen und Antworten zum Entwurf des Regelungspakets „Fracking““ des Bundesumweltministeriums zu entnehmen. Vielleicht hätte Frau Gretemeier (dort) recherchieren sollen, anstatt hanebüchenen Unsinn, der ihrer vorurteilsschwangeren Phantasie entsprungen zu sein scheint, zusammenzuschreiben.

Obwohl es quasi unmöglich ist, schafft es die Journalistin zum Ende ihres Kommentars dieser Desinformation noch die Krone aufzusetzen:

Auch wenn im Koalitionspapier steht, dass keine hochgiftigen Chemikalien in Deutschland eingesetzt werden sollen, sind sich viele Bürger laut Umfragen einig: Fracking gehört verboten.

Diverser im Internet abrufbarer Sicherheitsdatenblätter nach wurden bei den 100erten Fracjobs in Deutschland noch nie als „hochgiftig“ eingestufte Chemikalien in Rezepturen für Fracfluide verwendet. Um das herauszufinden muss man allerdings die Seiten der „Energielobby“ aurufen. Offenbar ein No-go nicht nur für Frau Gretemeier. Aber das ist an dieser Stelle nebensächlich.

Interessanter ist vielmehr die These, dass angeblich laut Umfragen „viele Bürger“ sich einig wären, dass „Fracking“ verboten gehöre. Das ist insofern seltsam, als dass Frau Gretemeier eingangs ihres Kommentars behauptete, dass keiner „Fracking“ wolle. Als Beleg ihrer These wird in ihrem Kommentar auf einen Artikel verlinkt, der die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage widergibt. Mit keiner Silbe wird die These der Journalistin gestützt. Vielmehr ist zu lesen:

Fast jeder zweite der Befragten (48 Prozent) sehe Fracking als Option, um den Energiebedarf in Deutschland in Zukunft zu sichern – jedoch unter strengen Umwelt-Auflagen.

Frau Gretemeier ist es somit gelungen, vom Anfang des Kommentars bis zu dessen Ende Behauptungen und Thesen aufzustellen, die nicht nur unfundiert, sondern teilweise schlicht unwahr sind. Ersteres ist das Ergebnis des Ignorierens wissenschaftlicher Erkenntnisse und jahrzehntelanger praktischer Erfahrungen. Zweiteres, und das ist besonders bitter, dürfte einerseits das Ergebnis mangelhafter Recherche, andererseits auf die voreingenommene Meinung der Autorin zurückzuführen sein.

Artikelfoto: Fracarbeiten in der Erdgasbohrung Söhlingen Z15. Für die damals relativ neue Verknüpfung der Horizontalbohrtechnik mit mehrfacher Fracanwendung in einer einzigen Bohrung gewann das Projekt den Preis „Deutschland – Land der Ideen.“ im Jahr 2006. Im heutigen „Land der Bedenkenträger“ kaum vorstellbar.