Neue kuriose Begriffsschöpfung in der Gasförderungsdebatte: „Unkonventionelles Fracking“

In den vergangenen Jahren stieß man immer wieder auf kuriose Begriffe oder Darstellungen, wenn es um die Erschließung bislang nicht zugänglicher Erdgaslagerstätten ging. Zunächst war Ende 2010 lediglich von neuen Fördermethoden die Rede und plötzlich tauchte kurz darauf das kuriose Wort „Fracking“ als Bezeichnung für eine dieser neuen Fördermethoden auf.

Doch etwas Bekanntes hatte der Begriff in sich, nämlich den Wortstamm „Frac“. Wer sich, so wie wir, bereits zuvor jahrelang für die Erdöl- und Erdgasförderung (nicht nur) in Deutschland interessierte, dem war der Begriff „Frac“ geläufig. Schließlich war in Informationsbroschüren des Wirtschaftsverbandes Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V. (WEG), die in jüngeren Jahren u.a. zur Wissensgenerierung herangezogen wurden, bereits vom Fracverfahren zu lesen. So war neben einer Darstellung des Verfahrens zusätzlich zu erfahren, dass bereits 1977 „großvolumige Frac-Behandlungen“ (engl. High Volume Fracs) in Südoldenburg durchgeführt wurden, um wenig durchlässige Erdgaslagerstätten durch künstliche Rissbildungen zu erschließen. Von einer „neuen Fördermethode“ konnte also keine Rede sein, zumal die erste Fracmaßnahme in einer deutschen Erdgaslagerstätte sogar bereits 1961 erfolgte.

Als dann Ende 2010/Anfang 2011 in Deutschland die Debatte um die seit 2008 stattfindende Erkundung neuer Erdgaslagerstätten aufkeimte, machte plötzlich der Begriff „Unkonventionelle Förderung“ neben „Fracking“ die Runde und diejenigen, die sich bereits Jahre zuvor mit dem Thema Erdgas- und Erdölgewinnung beschäftigten, rieben sich erneut verdutzt die Augen.

Es stellte sich die Frage, was unter „unkonventioneller Gasförderung“ zu verstehen sei. Selbst der Blog „Unkonventionelle Gasförderung“, der von Jörn Krüger, Gegner der Erkundung bislang unzugänglicher potenzieller Erdgasvorkommen, ins Leben gerufen worden ist und seit nunmehr drei Jahren vorsichhindarbt, konnte keine Antwort liefern. Vielmehr wurde sich dort mit dem Verfahren Hydraulic Fracturing befasst, welches aufgrund seiner jahrzehntelangen und weltweit allein in Erdöl- und Erdgaslagerstätten dreimillionenfachen Anwendung alles andere als „unkonventionell“ zu bezeichnen ist.

Während die Bezeichnung „unkonventionelle (Gas-) Förderung“ mittlerweile quasi ausgestorben ist, hat sich hingegen die Verwendung des Begriffs „Fracking“ etabliert. Selbst die Industrie und in Teilen auch die Fachbehörden sowie die Wissenschaft sind dazu übergegangen, diese verballhornte Abkürzung von „Hydraulic Fracturing“ zu verwenden. Die (Be-) Deutungen driften dabei weit auseinander:

  1. Umweltschutzgruppierungen: Diese wollen unter “Fracking” den Gesamtprozess der Erdöl- und Erdgasgewinnung, sofern Hydraulic Fracturing zur Anwendung kommt, verstanden wissen: Angefangen bei der Exploration über das Bohren, die Produktion (Förderung) sowie damit einhergehend produktionsvorbereitende bzw. -optimierende Prozesse, zu denen auch Hydraulic Fracturing zählt bis hin zur Beseitigung von Abwässern.
  2. Medien: Diese setzen im Regelfall die Erdöl-Erdgasförderung aus öl- und gasreichen Tonsteinen („Schiefer“), die nur mittels Hydraulic Fracturing in wirtschaftlichem Umfang möglich ist, mit „Fracking“ gleich. Die Beschreibungen des Verfahrens muten dabei oft abenteuerlich an. Eine gängige Definition ist: „Fracking, also die Erdgasförderung aus besonders tiefen Gesteinsschichten“ (z. B. ZDFheute), eine andere in verschiedenen Variationen: „Beim Fracking wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und (hochgiftigen) Chemikalien in die Erde (den Boden/das Erdreich) gepumpt, um Erdöl und Erdgas  zu lösen“ (diverse Medien).
  3. Industrie: Diese hat sich inzwischen auch des Terminus „Fracking“ angenommen. Vermutlich deshalb, weil kaum jemand mit „Hydraulic Fracturing“ etwas anfangen kann. Die Industrie versteht unter „Fracking“ dementsprechend  den Prozess des Hydraulic Fracturing“. Logisch nachvollziehbar, da „Fracking“ unmittelbar davon abgeleitet ist.
  4. Wissenschaft: Auch diese benutzt mittlerweile nach zögerlichem Beginn „Fracking“ und will darunter ebenso wie die Industrie aus den selben Gründen Hydraulic Fracturing verstanden wissen.

Inzwischen sind zwei neue Sterne am Himmel der Begriffskuriositäten rund um die Erkundung bislang nicht zugänglicher Erdgaslagerstätten aufgetaucht. Diese lauten: „konventionelles Fracking“ sowie „unkonventionelles Fracking“!

Diese Begriffe sind eine Erfindung der gegenwärtigen Bundesregierung, was sich anhand der Seite „Fracking“ des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) erschließen lässt. Dort wird unter der Zwischenüberschrift „Unterscheidung: Konventionelles und unkonventionelles Fracking“ versucht, Hydraulic Fracturing zu differenzieren und zwar einzig und allein anhand von Gesteinsarten, nicht jedoch in technischer Hinsicht.

Unter „konventionellem Fracking“ will das BMWi die Anwendung von Hydraulic Fracturing in Sandsteinen verschiedener geologischer Formationen in verschiedenen Teufenlagen verstanden wissen. Die Differenzierung ist seltsam und in Frage zu stellen, da nicht technologische Aspekte das Kriterium darstellen, sondern lediglich verschiedene Gesteinsarten:

Konventionelles Fracking erfolgt in Sandstein (meist auch in größerer Tiefe), unkonventionelles in Schiefer-, Ton-, Mergel- und Kohleflözgestein. Im Gegensatz zu den bisher in Deutschland genutzten Sandsteinlagerstätten liegen für die Gewinnung von Erdgas aus Schiefer-, Ton-, Mergel- und Kohleflözlagerstätten hierzulande noch keine Erfahrungen und Kenntnisse vor.

Zunächst einmal gibt es kein „Kohleflözgestein“, sondern Flöze, die aus dem organogenen Gestein Kohle bestehen. Außerdem ist die Behauptung falsch, dass es keine Erfahrungen im Zusammenhang mit Fracarbeiten in Kohleflözen oder Tongesteinen gäbe. Diese Behauptung ist schlichtweg falsch und nur mit der Ignoranz der Politik vor der Expertise ihrer eigenen Fachbehörden (Geologische Landesdienste) zu erklären.

ITAG-Rig 30 auf Schiefergaserkundungsbohrung "Damme 2" Sukrams

ITAG-Rig 30 auf Schiefergaserkundungsbohrung „Damme 2“ ©Sukrams

Denn im Vortrag „Hydraulic Fracturing in Deutschland – Die Risiken aus geowissenschaftlicher Sicht“ (Video) von Dr. V. Wrede (Bezirksregierung Arnsberg, Geologischer Landesdienst Nordrhein-Westfalen). Im Video ab Minute 35:00 berichtet Wrede von Fracarbeiten in saarländischen Kohleflözen. Im Hintergrund sind in der Präsentation das einstige Bohrloch sowie die Fracs zu sehen, die durch einen später aufgefahrenen Abbaustollen aufgeschlossen worden sind. Außerdem gab es in Nordrhein-Westfalen Fracarbeiten zur Erdgasgewinnung in Kohleflözen. Diese wurden in der 1995 abgeteuften Bohrung „Natarp 1“ durchgeführt. Die Gasausbeute war nach einem Bericht der Bezirksregierung Arnsberg aus 2011 jedoch unwirtschaftlich.

Aber auch in potenziellen „Schiefergas“-Lagerstätten kam  Hydraulic Fracturing zum Einsatz, wenn auch nur in einer Bohrung in drei verschiedenen Teufenniveaus. Weitere Maßnahmen in anderen Bohrungen waren anberaumt, jedoch mussten die Vorhaben wegen des aufkeimenden Widerstandes bis auf Weiteres aufgegeben werden.

Die Behauptung des BMWi, dass es keine Erfahrungen mit Hydraulic Fracturing in den aufgezählten Gesteinsarten gäbe, ist somit nicht korrekt. Zudem ist es mehr als fragwürdig eine Standardtechnologie in „unkonventionell“ und „konventionell“ in Abhängigkeit von verschiedenen Gesteinsarten in zu differenzieren. Entscheidend sollte doch der technologische Aspekt sein und der unterscheidet sich nur geringfügig. Das Prinzip ist letzten Endes identisch.

Eine tatsächliche Differenzierung in „konventionell“ und „unkonventionell“ gibt es hingegen bei den Lagerstättentypen. So zählen gemäß der Kurzdarstellung „Wissenswertes über Schiefergas. Erdgas in dichten Tongesteinen“ Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) „freies Erdgas“, also in den Lagerstätten von selbst fließendes sowie Erdöl(begleit)gas zu den „konventionellen Lagerstätten“.

Zu den „unkonventionellen Lagerstätten“ gehören hingegen Tight Gas, Schiefergas und Kohleflözgas (Coalbed Methan – CBM):

Diese Vorkommen strömen nicht ohne weitere technische Maßnahmen (meist Fracking-Verfahren) in ausreichender Menge einer Förderbohrung zu, weil es entweder nicht in freier Gasphase im Gestein vorkommt oder das Speichergestein nicht ausreichend durchlässig ist.

Außerdem zählen Aquifergas (im Grundwasser gelöstes Erdgas) und Gashydrate zu den unkonventionellen Erdgasvorkommen.

Seit einiger Zeit beklagen gegen die Erdgasgewinnung im Inland opponierende Gruppierungen wie z.B. die Bürgerinitiative (BI) „No Moor Fracking“ aus dem Landkreis Diepholz eine angebliche Umdeutung des Begriffes „unkonventionelles Erdgas“. Denn mittlerweile werden seitens der Industrie und auch teilweise seitens der Politik Tightgas-Lagerstätten den „konventionellen Lagerstätten“ zugeordnet. Warum auch nicht? Denn schließlich wird aus diesen Lagerstätten mittlerweile seit meheren Jahrzehnten erfolgreich Erdgas gewonnen. Und „konventionell“ bedeutet ja nichts weiter als „althergebracht“. Die BI kritisiert in einer Stellungnahme zu den anberaumten Gesetzesverschärfungen hinsichtlich der inländischen Erdgasgewinnung:

Die Umdeutung des Begriffs „unkonventionelles Erdgas“ lehnen wir ab und verweisen auf die international übliche Definition, dass „unkonventionelle Vorkommen“ sich über die Erfordernis des Frackens definieren.

Wie das weiter oben stehende Zitat der BGR verdeutlicht, trifft diese Deutung der BI in der Form nicht zu. Zu den „unkonventionellen Vorkommen“ zählen auch Aquifergas sowie Gashydraten. Diese ließen sich gewiss nicht durch die Anwendung von Hydraulic Fracturing gewinnen und bei Hohleflözen kommt es auf die geologischen Ragmenbedingungen an, ob die Schaffung von Fließwegen notwendig ist oder nicht. Außerdem schreibt die BGR in ihrer Studie „Abschätzung des Erdgaspotenzials aus dichten Tongesteinen (Schiefergas) in Deutschland“:

Angesichts der fortschreitenden Technologieentwicklung erscheint die Trennung von Erdgasvorkommen in konventionelle und nicht-konventionelle Vorkommen nur noch aus geologischer und nomenklatorischer Sicht von Bedeutung.

Der technologische Aspekt, auf den sich die Gegner als Definitionsgrundlage berufen, entfällt somit. Zumal die Grundlage die offizielle Definition unvollständig und zudem verfälscht wiedergibt.

Der Artikel hat aufgezeigt, dass hinsichtlich der Diskussion um die Erkundung neuer Erdgaspotenziale ein kaum zu durchblickendes Begriffswirrwarr herrscht. Hinzu kommt, dass ein Begriff wie beispielsweise „Fracking“ auf verschiedene Art und Weise ausgelegt wird. Dabei sind die Auslegungen der Wissenschaft sowie der Industrie am plausibelsten, da diese sich am Fachbegriff „Hydraulic Fracturing“ orientieren, von dem in den USA das Wort „Fracking“ abgeleitet wurde. Dieser Begriff wurde  anschließend insbesondere von gegnerischen Gruppierungen bis zur Unkenntlichkeit umgedeutet.