Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal Teil I

Im Laufe der Woche gab es bei NDR, WDR sowie deren „Mutter“ ARD diverse Berichte und „Reportagen“ zum Thema Bohrschlamm zu sehen, zu lesen oder zu hören. Selbst in die Tagesschau hatte es das Thema geschafft. Verantwortlich für die Beiträge ist ein Rechercheteam, an dessen Spitze Alexa Höber vom NDR sowie Jürgen Döschner vom WDR stehen. Während Höber in der Vergangenheit durch mehrere dramatisierende „Reportagen“ zum Thema Erdöl- und Erdgasgewinnung und deren Begleiterscheinungen aufgefallen ist, ist Döschner seit Jahren als Umweltaktivist im Journalistengewand bekannt. Eine sachgerechte Information zur Thematik „Bohrschlamm“ war also nicht zu erwarten, was durch mehrere Beiträge bestätigt wurde. Anhand von zwei Beiträgen wird dieser sowie ein noch folgender Artikel die skandalisierende, desinformierende Berichterstattung zum vermeintlichen „Bohrschlammskandal“ kritisch kommentieren.

1. Kurze Einführung: Was ist Bohrschlamm?

Um ein tiefes Bohrloch erstellen zu können, ist es erforderlich, das erbohrte Gesteinsmaterial aus der Bohrung herauszutragen. Bei den heute üblichen Tiefbohrverfahren (Rotary-Bohrverfahren, Turbinenbohren) wird dazu eine im Regelfall wasserbasische Flüssigkeit, die sogenannte Bohrspülung eingesetzt. Außer dem Austrag des erbohrten Gesteins, dem sogenannten Bohrklein, hat die Spülung noch verschiedene weitere Aufgaben.

Eine sehr wichtige Aufgabe der Spülung ist es, das Bohrloch zu stabilisieren. Ferner dient es der Kühlung sowie der Schmierung des Bohrwerkzeugs. Bohrspülungen dienen der Reibungsminimierung und sollen den unerwünschten Zutritt von Flüssigkeiten und Gasen aus durchörterten Gesteinsschichten zu verhindern.

Um all diese Aufgaben erfüllen zu können, sind in Abhängigkeit von Gestein und Tiefe (und somit Temperatur und Druck) Beimengungen verschiedener Zusätze erforderlich. Im Regelfall wird Bentonit zur Dichteerhöhung dem Wasser beigemischt. Werden unter Wasserzugabe quellfähige Tonsteine durchteuft, müssen Stoffe zugesetzt werden, die die Tonmineralaufquellung verhindern. Dazu bietet sich das Salz Kaliumchlorid an. In Steinsalzschichten wird die Bohrspülung mit Natriumchlorid (Kochsalz) aufgesalzen, um die Auflösung der Salzschichten zu verhindern.

Die Bohrspülung wird dabei im Kreislauf verwendet. Damit das möglich ist, ist die Abscheidung erbohrter Feststoffe erforderlich. Die abgeschiedenen Feststoffe bilden zusammen mit einem gewissen Flüssigkeitsanteil sowie Anteilen der Spülung beigemengter Zusätze schließlich den Bohrschlamm. In Abhängigkeit des Chemismus der erbohrten Gesteine sowie in Abhängigkeit der Zusätze ist der Bohrschlamm entweder ein völlig harmloses Stoffgemenge oder muss als Sondermüll ordnungsgemäß entsorgt werden.

In historischer Zeit wurden Bohrschlämme zunächst in Gruben unmittelbar am Bohrplatz abgelagert oder später in größeren zentralen Deponien in der Nähe der Erdgas- und Erdöllagerstätten eingebracht. Beide Verfahren sind heutzutage nicht mehr üblich. Diese einleitenden Informationen sind wichtig, um die nachfolgende Kritik an der Berichterstattung nachvollziehen und einordnen zu können.

2. Bohrschlamm laut NDR-Markt grundsätzlich giftig

Ordnungsgemäße Entsorgung statt Bohrschlammskandal

Sanierung einer Bohrschlammgrube neben Erdgasförderbohrung in der Altmark: Ordnungsgemäße Entsorgung statt Bohrschlammskandal Quelle: GoogleMaps

Entgegen der oben beschriebenen Tatsache, dass die Einordnung von Bohrschlamm in ungefährlich oder als Sondermüll einzustufend anhand seiner stofflichen Zusammensetzung vorzunehmen ist, macht es sich der NDR in seinem „Verbraucherschutzmagazin“ „markt“ einfach, indem behauptet wird, Bohrschlamm seie (grundsätzlich) giftig. Das geht sowohl aus einem Artikel zur Sendung sowie einem dort eingebetteten Video hervor. Zur „wissenschaftlichen“ Stützung darf sich ein Umweltmediziner dazu äußern, der den Anfall von Bohrschlamm als „umweltrelevantes Problem“ sieht.

Die Inkompetenz der Reporter wird im Video bei Minute 0:22 deutlich. Der Kommentator behauptet mit Bezugnahme auf die (noch) bedeutende Erdgasförderung in Niedersachsen, dass dadurch große Mengen an Bohrschlamm anfielen. Nun heißt Bohrschlamm jedoch Bohrschlamm, weil er beim Erstellen einer Bohrung anfällt und nicht bei späterer anschließender Förderung. Fördermengen von Erdgas und der Anfall von Bohrschlamm stehen in keinerlei Zusammenhang. Die Volumina an Bohrschlamm sind tatsächlich abhängig von der erbrachten Bohrmeterleistung. Und diese befand sich im vergangenen Jahr in Niedersachsen auf einem sehr niedrigen Niveau. Ergo: Wenige Bohrmeter = wenig Bohrschlamm.

Kritisiert wird in dem Film, der wie üblich für solche Formate mit dramatisierender Musik untermalt und mit raunender Stimme kommentiert wird, dass der anfallende Bohrschlamm nicht in Niedersachsen, sondern in anderen Bundesländern endgelagert wird. Offenbar erscheint dieser Sachverhalt den Rechercheuren als skandalös und der Bohrschlammskandal ist geboren. Anders ist die Erwähnung sowie die Hinzuziehung der Meinung einer „Betroffenen“, die dieses Verfahren, was auf anderen Gebieten durchaus gängige Praxis ist, als fragwürdig bezeichnet, nicht zu erklären. Wenn es aus geologischen Gründen nicht möglich ist, Gefahrstoffe in der Nähe ihres Entstehungsortes zu deponieren, dann erfolgt eine Einlagerung an Orten, wo es die geologischen Bedingungen gestatten. Als Beispiel sei die hessische Untertagedeponie für hochgiftige Abfälle Herfa-Neurode genannt.

„Markt“ stellt die Frage, wo denn der Bohrschlamm verbleiben soll, wenn nicht in Niedersachsen und begibt sich auf „Spurensuche“. In Niedersachsen! Thematisiert wird nämlich eine historische Bohrschlammgrube „am Rande“ des Tister Bauernmoores. Wenn auch nicht explizit bezeichnet, dürfte es sich um die Grube der Erdgaserkundungsbohrung  „Kallmoor Z1“ aus den 1960er Jahren handeln. Dafür spricht das verwendete Bildmaterial vorangegangener Beiträge Alexa Höbers sowie die im Film zu sehende Topographie. Anders als zuvor wurden nun jedoch nicht Vertreter von Anti-Gasbohr-Bürgerinitiativen wie der „Überall-Anwohner“ Andreas Rathjens konsultiert, sondern der Grundeigentümer. Dessen Vater sei angeblich der Bohrschlamm „aufs Grundstück gekippt“ worden. Diese Formulierung suggeriert, dass das ohne die Einwilligung des Eigentümers geschah, was stark zu bezweifeln ist. Mit sachlicher Wortwahl lässt sich jedoch kein Bohrschlammskandal stricken.

jahrzehntelang bekannt und unbehelligt. Jetzt ein  Bohrschlammskandal?

Luftbild des Bohrschlammgrubenstandortes Kallmor Z1. Quelle: NIBIS-Kartenserver des LBEG

Um die Angelegenheit noch ein wenig mehr zu dramatisieren, werden ein paar Schadstoffe aufgezählt, die im Deponiekörper enthalten sind. Eine Quantifizierung erfolgt jedoch nicht und die Bestätigung eines Gutachters, dass von der Deponie keine Gefahr für Grundwasser und Boden ausginge, wird mit ins Lächerliche ziehendem ironischen Unterton vom Kommentator bezweifelt. Schließlich wurde der Gutachter von ExxonMobil, dem Rechtsnachfolger (nicht „Erwerber“, wie zuvor fälschlicherweise behauptet), beauftragt. Immerhin wird fairerweise im Anschluss erwähnt, dass sich die Erdöl-Erdgas-Industrie an der Untersuchung von Verdachtsflächen finaziell beteiligen wird und bei festgestellter Notwendigkeit anfallende Sanierungskosten übernimmt.

Obwohl eigentlich Niedersachsen das Thema der Recherche sein soll, wird nach Sachsen-Anhalt, genauer in die westliche Altmark, geschwenkt. Lobend wird erwähnt, dass dort unmittelbar neben den Bohrplätzen angelegte Schlammgruben saniert worden sind. Dass war in Niedersachsen jedoch auch der Fall, wie es dem hier diskutierten „markt“-Artikel zu entnehmen ist. Hinsichtlich der Arbeiten in der Altmark wird vom NDR moniert, dass der Schutz der Arbeiter vergessen worden ist.

Als Beweis wird eine anonyme LKW-Fahrerin gezeigt, die, schön dramatisierend im Dunkeln vor einem altmärkischen Betriebsplatz, vermutlich der Deponie Brüchau, zu Wort kommen darf. Aus ihren Worten wird jedoch deutlich, dass entweder sie selbst, zumindest aber das Fuhrunternehmen hinsichtlich des Arbeitsschutzes geschlampt hat und die Verantwortung nicht bei der Erdgasindustrie zu verorten ist. In diesem Fall handelt es sich um kritikwürdiges Ignorieren von Arbeitsschutzbestimmungen, jedoch nicht um einen Bohrschlammskandal.

Das interessiert die Rechercheure anscheinend jedoch nicht. Vielmehr wird versucht, die angebliche Gefährlichkeit von Bohrschlammtransporten zu skandalisieren, indem auf den Verlust von Bohrschlamm auf der BAB 14 bei Staßfurt am 12.02.2016 verwiesen wird. Triumphierend vorgetragen heißt es, dass dieser Vorfall nicht verschwiegen werden konnte. Dass der Bohrschlamm nach uns vorliegenden Insiderinformationen einer Geothermiebohrung in Bayern entstammte und damit in keinerlei Zusammenhang mit der Erdöl-Erdgas-Industrie steht, hat der NDR seinen Zuschauern jedoch verschwiegen.

Zusammenfassend lässt sich zum NDR-Beitrag folgendes feststellen:

Es ist versucht worden, einmal mehr Bohrschlamm, welcher Erdöl- und Erdgasbohrungen entstammt, mit einem Skandal zu belegen. Verantwortlich zeichnete sich dafür Alexa Höber, die in den vergangenen Jahren damit auffiel, dramatisierende Beiträge zur Erdöl- und Erdgasgewinnung und deren (vermeintlicher) Begleiterscheinungen zu verfassen.

Ebenso wie vorangegangene Beiträge Höbers ist auch der hier kritisierte von unseriöser Dramatisierung, und was noch bedenklicher ist, von Falschaussagen gekennzeichnet. Beispielsweise ist Bohrschlamm nicht per se giftig. Zudem steht die Erdöl- und Erdgasindustrie in Deutschland nicht „vor einem gewaltigen Entsorgungsproblem“. Die als Grundlage für diese These ist die aus den Deponien „Wietingsmohr, Eydelstedt und Emlichheim“ (falscher Ortsname von Wietingsmoor vom NDR übernommen) durchgeführte ordnungsgemäße Entsorgung großer Volumina Bohrschlamm, die ohne Aufsehen und ohne erwähnenswerte Probleme erfolgte.

Artikelbild: Inzwischen sanierte Bohrschlammgruben bei Emlichheim (Grafschaft Bentheim). Quelle: GoogleMaps