Auslassen und Dramatisieren – Der NDR über angebliche Folgen der Kohlenwasserstoffgewinnung in Norddeutschland III

Kohlenwasserstoffgewinnung in Norddeutschland: Erdgasförderbohrung Söhlingen Z1

„Die Tricks der Öl- und Gaskonzerne“ war der Titel einer NDR-Sendung, Subtitel „Verschmutzen und Verharmlosen“ mit dem Selbstanspruch eine Dokumentation. Diese wurde am 6. März erstmals ausgestrahlt. Doch der Titel lieferte nicht das, was er versprach. Welchen vermeintlichen Tricks sich die Konzerne bedienten wurde beispielsweise nicht dargestellt. Auch für vermeintliche Verharmlosungen für etwaige Verschmutzungen waren Belege Fehlanzeige. Stattdessen war die Sendung geprägt von fragwürdigen, teils intransparenten Probenahmen, um Verschmutzungen zu belegen. Hinzu kamen Interpretationen der ermittelten Werte ohne fachlich fundierte Einordnung oder unter Auslassung seriöser Bezugswerte. Somit entstand der Eindruck unseriöser Dramatisierung und Skandalisierung der Kohlenwasserstoffgewinnung in Norddeutschland. Hier nun der dritte und letzte Teil unserer Kritik an der Sendung.

Krebserkrankungen werden der Kohlenwasserstoffgewinnung in Norddeutschland zugeschoben

Bodenuntersuchungen Söhlingen

Erdgasfördersonde Söhlingen-Ost Z3. Copyriht: Steven Arndt

Ein immer wieder aufgefasstes Thema sind auffällig erhöhte Blutkrebserkrankungen in der Samtgemeinde Bothel sowie der Stadt Rotenburg. Immer wieder wird dabei davon gesprochen, dass die Erdgasförderung für die Erhöhung im Verdacht stünde. Doch für einen Verdacht bedarf es plausibler Anhaltspunkte. Ansonsten handelt es sich um eine Unterstellung.

Wie ist es faktisch um etwaige Anhaltspunkte bestellt?

Der NDR wirft das im in der Region im Erdgas enthaltene Benzol in den Raum. Zusätzlich werden zwei Ärzte aus der Region, der Umweltmediziner Dr. Mathias Bantz sowie der Kinderarzt Dr. Christoph Dembowski zur Problematik gefragt. Auffallend ist, dass ganz allgemein von Krebserkrankungen die Rede ist, nicht aber von Blutkrebs. Dabei sind von Letzterem abgesehen weder in der Samtgemeinde Bothel noch der Stadt Rotenburg auffällige Krebsraten nachgewiesen worden.

Als Beleg für den unterstellten Zusammenhang werden 220 Studien aus dem Ausland angeführt, wobei die genannte hohe Anzahl offenbar lediglich aus dramaturgischen Gründen erwähnt wird. Diese haben die Mediziner gesichtet und im Ergebnis befunden, dass ein Zusammenhang zwischen Erdgasförderung und Erkrankungen „immer wahrscheinlicher“ erscheint. Dr. Bantz dazu: „Da brauchen wir das Rad nicht neu zu erfinden und zu versuchen, irgendwelche Zusammenhänge herzustellen. […] Diese Arbeiten Belegen: Je dichter die Leute dran wohnen, um so mehr Probleme gesundheitlicher Art gibt es.“

Diese Aussage ist in zweierlei Hinsicht interessant: Über einen Krankheitsauslöser wird kein Wort verloren. Und zum Zweiten spricht Dr. Bantz ganz allgemein von Krankheiten, nicht jedoch von Krebs oder gar speziell Blutkrebs, worum es ja eigentlich geht. Die Studien, zumal aus dem Ausland, liefern somit wohl keinen plausiblen Anhaltspunkt.

Schwere Vorwürfe von Dr. Bantz gegenüber ExxonMobil

Erdgasförderbohrung „Söhlingen Z14“. Copyright: Steven Arndt

Doch Exxon[Mobil] sehe das anders, so der NDR mit Bezug auf „ein Erdgasjournal“ (LINK zum Erdgasjournal). Darin heißt es: „Für die erhöhten Krebsfälle sind wir nicht verantwortlich“. Doch anstatt auf die zuvor angeführten Argumente einzugehen, die zu diesem Schluss führten, ein Ausflug in die unendlichen Tiefen der Unsachlichkeit: „Auf dem Deckblatt der von Exxon gesponserte Fußballverein“ und darauf folgend die Suggestivfrage an Dr. Dembowski: „Sie unterstützen hier den Fußballverein von Rotenburg. Wie uneigennützig ist das?“ Vorab: Eine selten dumme Frage! Sponsoring ist nie uneigennützig sondern stets Werbung. Und selbstverständlich dient Werbung u.a. dazu, das eigene Image „aufzupolieren“ (Wortlaut Dr. Dembrowski). Mit dem Thema Krebs hat diese Angelegenheit nichts zu tun und ist an dieser Stelle überflüssig wie ein Kropf.

Doch dann wird auszugsweise doch auf die vorangegangene Argumentation ExxonMobils eingegangen. Das vom NDR und auch anderen in den Raum geworfene Benzol als Auslöser der erhöhten Blutkrebserkrankungen falle demnach aus.

Benzol ist krebserzeugend. Es ist im Erdgas enthalten und auch Bestandteil des Lagerstättenwassers. Krebs ist jedoch nicht gleich Krebs. Wäre Benzol hier in relevanten Mengen von Anwohnern aufgenommen worden, wären andere Krebsarten zu erwarten gewesen als diejenigen, die in zwei Gemeinden statistisch auffällig sind.

Dieses Argument wird von Dr. Bantz mit den Worten „Diese Formulierung ist reine Schönfärberei und Falschinformation der Bevölkerung.[…] Da braucht man nur einmal ins Internet zu gucken und zu googeln, was Benzol macht.[…] Das ist bewusste Täuschung.[…] Denn so dumm kann keiner sein.[…]“ abgetan, weggewischt.

Wir haben uns den Ratschlag von Dr. Bantz zu Herzen genommen und im Internet recherchiert. Und wir sind fündig geworden. Jedoch nicht im Sinne des Umweltmediziners.

Unter den Blutkrebserkrankungen ist sowohl in Rotenburg als auch in der Samtgemeinde Bothel das Multiple Myelom auffällig häufig. (Kurzfassung des EKN-Berichtes zur Häufigkeit von Krebsneuerkrankungen in den Nachbargemeinden der Samtgemeinde Bothel) In Rotenburg wurden statt der erwarteten 9,1 Fälle 23 im Zeitraum 2003-2012 registriert (Auswertung des EKN zur Häufigkeit von Krebsneuerkrankungen in den Nachbargemeinden der Samtgemeinde Bothel). Andere Blutkrebserkrankungen sind hingegen kaum bis überhaupt nicht auffällig, sondern in Bezug auf die erwartete Anzahl völlig normal.

Hinzu kommt, dass Benzol nach wissenschaftlichen Erkenntnissen als Ursache für das Multiple Myelom unwahrscheinlich ist, also quasi ausgeschlossen werden kann. Das ist beispielsweise in der Arbeit „Risikofaktoren des Multiplen Myeloms“ des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes zu erfahren.

Entlastende Langzeituntersuchungen werden ignoriert

Luftbild der Zentralstation Söhlingen. Quelle: GoogleMaps

Hinzu kommt, dass bereits 2012 sowie 2016 Langzeituntersuchungen im Gebiet des Erdgasfeldes Söhlingen vorgenommen worden sind. Beide Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, dass im Gebiet keine erhöhten Benzolimmissionen nachgewiesen werden konnten. Weder im Normalbetrieb noch während technisch erforderlicher Fackelarbeiten. Die Ergebnisse der Messung aus 2012 gibt es hier nachzulesen: „Immissionsmessungen an einer Erdgasstation im Landkreis Rotenburg / Wümme (2012)“ und die aus 2016 hier: „Immissionsmessungen im Landkreis Rotenburg (Wümme): Untersuchungsergebnisse (2016)“.

Doch diese Erkenntnisse werden sowohl von Dr. Bantz als auch vom NDR geflissentlich ignoriert. Das Kuriose dabei, wenn es nicht so traurig und für den NDR nicht gar peinlich wäre: Unterhalb des Ankündigungstextes zu dieser kaum Fakten enthaltenen Dokumentation zu angeblichen Problemen der Kohlenwasserstoffgewinnung in Norddeutschland ist ein Bericht darüber verlinkt. Hiller und Co. hätten davon eigentlich Kenntnis haben müssen. Doch diese Tatsache, wie so viele andere in der „Dokumentation“, fielen der Auslassung zum Zwecke der Dramatisierung zum Opfer.

Und zu Dr. Bantz: Der Dumme ist nicht derjenige, der anhand faktischer Datenlage argumentiert, sondern derjenige, der andere der Dummheit unter Ignoranz der Sachlage bezichtigt.

Halten wir also fest: Anhaltsmomente für den Verdacht, die erhöhten Blutkrebsraten seien durch die Erdgasgewinnung hervorgerufen, konnten nicht bestätigt werden. Stattdessen Spekulationen und Suggestionen, auch im weiteren Verlauf des Beitrages, und somit lediglich Unterstellungen.

Historische seismische Arbeiten im Vorfeld der Kohlenwasserstoffgewinnung in Norddeutschland verantwortlich für heutige Gebäudeschäden?

Geophone und Kabel zur Aufnahme und Weiterleitung künstlich erzeugter Schallwellen im Zuge seimischer Untersuchungen. Copyright: Steven Arndt

Bislang wartete die 45-minütige tatsachenauslassende und dramatisierende Pseudo-Dokumentation (eine Dokumentation basiert auf Fakten, nicht Suggestionen , Unterstellungen und Spekulationen) mit keinen neuen Erkenntnissen innerhalb von 37 Minuten auf. Stattdessen wurden Themen, die in den vergangenen Jahren mehrfach zur Sprache kamen, aufgewärmt und neu verpackt gezeigt.

Doch etwas Neues hat der Beitrag dann doch zu bieten. Behandelt werden Gebäudeschäden, die angeblich Folge von Sprengarbeiten im Zuge seismischer Ekundungen des Untergrundes sein sollen. Diese fanden bereits vor etlichen Jahrzehnten statt, u.a. in der Nähe Hamburgs, Ort des Geschehens. Infolge der Sprengungen soll der Boden über Jahrzehnte hinweg abgesackt und zu Geäudeschäden  geführt haben.

Zur Beurteilung des Schadens wird ein Experte für Bergbauschäden konsultiert. Es handelt sich dabei um den Markscheider Peter Immekus. Immekus referierte bereits vor und für Bürgerinitiativen (BI), welche der Kohlenwasserstoffgewinnung in Norddeutschland opponierend gegenüberstehen. Hiermit wird einmal mehr deutlich, was bereits im ersten Teil unsere Kritik angeprangert wurde: Der NDR fungiert entgegen seines Neutralitätsgebots als Sprachrohr für BI. Dabei dürfte es ohne Weiteres möglich gewesen sein, einen Fachmann zu konsultieren, welcher weder im Dienste der „Konzerne“ steht noch offensichtlich voreingenommen ist wie Immekus. Immerhin werden die Einschätzungen des vermeintlichen Verursachers, dem „Ölkonzern“ Wintershall erwähnt als auch die des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG), welche die auch aus Sicht des Verfassers eigenwillige Interpretation Immekus‘ zurückweisen und keinen Zusammenhang sehen. Zu lange seien die Sprengungen her, zu weit entfernt die Gebäude.

Erdbeben infolge der Kohlenwasserstoffgewinnung in Norddeutschland

Den Reporter Jo Hiller lässt das „an die Sache mit den Erdbeben denken“. Es wird behauptet: „Bis 2012 wurde abgestritten, dass die Erdgasförderung in Deutschland Erdbeben auslöst. In den Niederlanden wurde das schon in den 90er Jahren zugegeben.“

Wieder eine steile Behauptung des NDR-Rechercheteams. Tatsache ist, dass erst ab ca. 2012 mit der systematischen Untersuchung von Bebenereignissen in Niedersachsen begonnen wurde. Zuvor war eine eindeutige Zuordnung einfach nicht möglich. Anders haben die „Konzerne“ auch nicht argumentiert. Darauf hinzuweisen, dass aufgrund des Kenntnisstandes eine eindeutige Zuordnung nicht möglich ist, ist für das NDR-Team wohl bereits  „Abstreiten“. Für diese Deutung bedarf schon einer gewissen Chuzpe.

Finale der Pseudo-Dokumentation

Früher Schlammgrube, heute Biotop „Hollerberger Moor“ bei Emlichheim. Copyright: Steven Arndt

Vom Thema Erdbeben wird direkt zum Thema Bohrschlamm übergeleitet. Die Erdöl- und Erdgasbranche könne noch etwas heutzutage nicht mehr abstreiten. Und zwar die Hinterlassenschaft „eines ihrer Abfallprodukte“, welches in der Landschaft „herumliege“. Gemeint ist Bohrschlamm in Gruben aus Zeiten, in denen diese Form der Entsorgung dem Stand der Technik und der damaligen Gesetzgebung entsprach. Es ist dem Verfasser auch nicht bekannt, dass das Vorhandensein ehemaliger Bohrschlammgruben jemals „abgestritten“ wurde.

Dass ein „Verklappen“ in der Landschaft seit Jahrzehnten nicht mehr erlaubt ist, findet keine Erwähnung. Dass alte Deponien nach heutigem Stand der Anforderungen an den Umweltschutz saniert werden, der Inhalt auf geeignete Deponien verbracht wird, gab dem NDR und  anderen Anlass zur Skandalisierung. Siehe dazu unsere Serien Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal Teil I ff. sowie Historische Bohrschlammgruben Teil I: Kallmoor Z1 – Die Rolle des Grundstückseigentümers ff.

Fazit des NDR-Berichtes:

„Was bleibt sind viele offene Fragen, Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung. Unser Fazit: Die Öl- und Gasindustrie darf nicht einfach so weitermachen, wie bisher.“

Dazu unser Fazit:

Indem wichtige Informationen ausgelassen werden, indem mit fragwürdigen, intransparenten Probenahmen und deren sachlich wie fachlich unfundierter Ergebnisinterpretation dramatisiert wird, lassen sich keine „offenen Fragen“ beantworten. Es lassen sich damit auch keine Ängste und Unsicherheiten in Teilen (!) der Bevölkerung nehmen. Im Gegenteil: In Teilen der Bevölkerung wird dieser Beitrag sicherlich Ängste und Unsicherheiten verstärkt haben.

Dass die Öl- und Gasindustrie sich im Laufe der Zeit den immer strengeren Anforderungen hinsichtlich Umwelt- und Arbeitsschutz angepasst hat bzw. sich anpassen musste, ist ein Fakt. Weitermachen wie bisher durfte sie nie. Sonst hätten wir Verhältnisse wie im späten 19. Jahrhundert. Somit ist die Forderung „Die Öl- und Gasindustrie darf nicht einfach so weitermachen, wie bisher.“ gleichfalls banal wie unnötig.

Für uns ergeben sich zwei offene Fragen: Mit welchen Tricks arbeiten die „Konzerne“ denn nun? Innerhalb der 45 Minuten des Beitrages konnte diese Frage nicht beantwortet werden. Ebensowenig konnte die offene Frage beantwortet werden, inwiefern tatsächliche wie unterstellte Verschmutzungen verharmlost werden. Doch was soll man von einem Beitrag schon erwarten, welcher offizielle Daten und Fakten geflissentlich ignoriert?

Artikelfoto: Kohlenwasserstoffgewinnung in Norddeutschland: Erdgasförderbohrung Söhlingen Z1. © Steven Arndt (2012)

2 Kommentare zu Auslassen und Dramatisieren – Der NDR über angebliche Folgen der Kohlenwasserstoffgewinnung in Norddeutschland III

  • René Altreuther sagt:

    Sehr geehrter Herr Arndt,

    eine solche Auffälligkeit in einem Krebsregister ist signifikant. Immerhin eine mehr als Verdoppelung. Allerdings muß man verstehen, wie ein solches Register zu Ergebnissen kommt. Damit würde ich mich an Ihrer Stelle als Erstes beschäftigen.
    Zweitens empfehle ich Ihnen die von Ihnen angeführte Studie genau zu lesen. Leider ist das Ergebnis der Studie nicht so deutlich in Ihrem Sinne.

    Fazit: Leider lohnt es sich nicht weiter ihre Veröffentlichungen zu verfolgen, das ist einfach verschwendete Zeit. Da hätte ich doch mehr erwartet in der Analyse und Aufbereitung von Themen.
    Und bevor Sie sich wieder zu Schimpftiraden hinreißen lassen. Denken Sie an eine alte Weisheit:

    Der Weise spricht, weil er etwas zu sagen hat. Der Narr redet, weil er etwas sagen will.

    Trotzdem alles Gute.

    1. SAR sagt:

      „Der Weise spricht, weil er etwas zu sagen hat. Der Narr redet, weil er etwas sagen will.“

      In Anbetracht dieser Weisheit in Verbindung mit „Da hätte ich doch mehr erwartet in der Analyse und Aufbereitung von Themen.“ hätte ich von Ihnen Folgendes erwartet:

      Sie hätten kurz erläutern sollen, was an der angeführten Studie nicht so deutlich in meinem Sinne sein soll.

      Sie hätten darlegen sollen, welche Kausalität zwischen den signifikanten Erhöhungen des Multiplen Myeloms, ausschließlich bei älteren Männern wohlgemerkt, und der Erdgasförderung besteht.

      Folgende Argumente/Fakten sprechen gegen die Unterstellung:

      1. es sind nur ältere Männer betroffen
      2. Benzol als Verursacher scheidet aus, da a) nicht als Auslöser für Multiples Myelom bekannt und b) und somit noch bedeutend entscheidender, Langzeitluftmessungen keine signifikanten Benzolimmissionen dokumentieren konnten
      3. in unmittelbaren Nachbargemeinden sind trotz intensiver Erdgasförderung keine Auffälligkeiten hinsichtlich der Blutkrebserkrankungen, insbesondere das Multiple Myelom betreffend, nachgewiesen worden

      Das sind die Fakten, und niemandem aus der Gegnerschaft inländischer Erdgasgewinnung ist es bislang gelungen, diesen argumentativ beizukommen.

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