Untersuchungsergebnisse zu erhöhten Blutkrebsraten in Bothel

Erdgasförderung und Fracking im Landkreis Rotenburg. Gefracte Bohrung Preyersmühle-Süd Z1

Seit mehreren Jahren wird über einen Zusammenhang zwischen erhöhten Blutkrebsraten bei Männern in der Samtgemeinde Bothel und der dortigen aktiven Erdgasproduktion diskutiert. Am 27.04.2017 wurden die lang erwarteten Untersuchungsergebnisse präsentiert. Demnach konnte die von Gegnern formulierte Unterstellung, die Erdgasgewinnung sei ursächlich, nicht bestätigt werden. Dennoch ergab sich ein Hinweis bezüglich der Kohlenwasserstoffexploration insgesamt, den die Gegner sicherlich zu ihren Zwecken nutzen werden.

 Einleitung zur Vorstellung der Untersuchungsergebnisse

Fällt kaum in Landschaft auf. Erdgasförderbohrung Hemsbünde Z6. April 2017 © Steven Arndt

Zufällige Umstände erlaubten es dem Verfasser, sich nach Rotenburg/Wümme (ROW) zu begeben und der Veranstaltung beizuwohnen. Selbst dabei sein zu können, ist insofern erfreulich, als dass das Thema „Erhöhte Blutkrebserkrankungen in Bothel“ sehr häufig von uns diskutiert wurde. Ergebnisse aus erster Hand zu erhalten, hat zudem mehr Wert, als sich ein Bild anhand von Sekundärquellen zu machen.

Wie es ein weiterer Zufall so wollte, nahmen kurz nach und unweit von  mir in der Reihe in der ich saß zwei der schärfsten Kritiker der regionalen Erdgasgewinnung Platz. Ich nenne hier Klarnamen, da es sich um bekannte Personen des öffentlichen Lebens handelt. Es waren der allseits bekannte einstige laut NDR-Berichten (Überall-)“Anwohner“, inzwischen zum „Erdgas-Kritiker“ verwandelte Andreas Rathjens sowie Carolin Muschter. Unmittelbar neben mir nahm der Samtgemeindebürgermeister von Bothel, Herr Dirk Eberle Platz. Eine durchaus sympathische Persönlichkeit, auch wenn ich mit seinen Ansichten und Schlussfolgerungen insgesamt nicht übereinstimme. Dazu später mehr.

Als Referenten waren Herr Dr. Stümpel vom Gesundheitsamt des Landkreises ROW, der Umweltepidemiologe Hoopmann vom Niedersächsischen Landesgesundheitsamt (NLGA), Frau Deitermann vom Epidemiologischen Krebsregister Niedersachsens (EKN) sowie Frau Dr. Zielke vom Gesundheitsministerium Niedersachsen eingeladen.

Im weiteren Verlauf wird sich ausschließlich mit dem Referat von Herrn Hoopmann befasst. Dieses ist bezüglich der Ergebnisdarstellung der Untersuchungen das einzig relevante.

Die Veranstaltung war in zwei Blöcke aufgeteilt. Im ersten Teil präsentierten die Referenten vor gut gefülltem Großen Sitzungssaal des Kreishauses ihre Vorträge. Im zweiten Teil konnten Fragen gestellt und sonstige Wortbeiträge eingebracht werden, wobei, um es vorweg zu nehmen, häufig das Thema verfehlt wurde. Der eingesetzte Moderator wies ausdrücklich darauf hin, dass Zwischenfragen nicht erwünscht sind. Erfreulicherweise und dabei etwas überraschend wurde sich daran gehalten.

Ergebnisse zur Befragung der Bevölkerung von Bothel

Luftbild der Zentralstation Söhlingen. Quelle: GoogleMaps

Der Hintergrund der Befragung der Bevölkerung sollte regelmäßigen Lesern unseres Blogs bekannt sein. Wenn nicht, verweisen wir an dieser Stelle auf den Artikel Erhöhte Krebsfälle in Bothel – Werden Opfer politisch instrumentalisiert?  vom 19.09.2014.

Zielsetzung der Befragung war es, mögliche Hinweise auf Gemeinsamkeiten zwischen den Fällen und damit auf Gefährdungen in der Gemeinde zu finden. Dazu sollten „explorative Analysen“ dienen. Dazu war ursprünglich eine Auswertungsstrategie auf drei Ebenen vorgesehen, die später durch eine vierte ergänzt wurde.

Auf Ebene 1 wurde die Rücklaufrate der verschickten Fragebögen ausgewertet. Insgesamt kamen rund zwei Drittel zurück, wobei der Anteil bei Frauen mit 67,7 % höher lag als bei Männern mit 63,4 %.

Die Ebene 2 betrachtete die Prävalenz (Häufigkeit einer Krankheit zu einem bestimmten Zeitpunkt). Dabei stellte sich insgesamt heraus, dass bei Männern in einem Zeitraum von fünf Jahren 11 statt 6,8 erwarteter Fälle registriert worden sind. Bei Frauen gab es hingegen mit 5 statt 5,37 erwarteter Fälle keinerlei Auffälligkeiten. Damit sind die Erkenntnisse des EKN aus dem Jahr 2014 bestätigt worden.

Auf Ebene 2 wurden zudem auch die Erwerbstätigkeit ausgewertet. Während im Bereich „Rohstoffgewinnung & -aufbereitung NULL Fälle zu verzeichnen waren, sind es bei der holzverarbeitenden Industrie statt der erwarteten 0,4 Fälle zehn Mal mehr gewesen. Aufgrund der vergleichsweise geringen Zahl der jeweiligen Mitarbeiter lassen sich daraus jedoch keine Hinweise ableiten.

Auf der Ebene 3 sind die Fälle nach Wohngemeinden und Tätigkeitsfeldern unter die Lupe genommen worden. Untersucht worden sind hierbei nur die Fälle bei Männern, da in der Gruppe der Frauen keine Auffälligkeiten dokumentiert werden konnten. Im Ergebnis stellte sich heraus, dass auch nach 2013 die im Zeitraum 2003-2012 beobachtete Erhöhung fortbesteht. Die absolut und auch relativ meisten Fälle sind in der Gemeinde Brockel zu verzeichnen. Auffälligkeiten bezüglich des Tätigkeitsfeldes gibt es in der holzverarbeitenden Industrie, insbesondere mit Blick auf die Zeit vor Erstdiagnose.

Zusammenfassung der Ergebnisse der Ebenen 1 bis 3

Auszugsweise sollen an dieser Stelle die Ergebnisse der 3 Ebenen vorgestellt werden:

  • hoher Rücklauf ausgefüllter Fragebögen (fast zwei Drittel)
  • auch bei der Prävalenz zeigt sich: Männer erhöht, Frauen unauffällig
  • höchste Prävalenz in Brockel während Hemsbünde und Hemslingen unauffälig sind
  • die vom EKN bis 2012 festgestellte Inzidenzerhöhung setzt sich fort
  • scheinbar viele Betroffene in holzverarbeitender Industrie tätig

Zwischenfazit:

Anhand der bis hierher ermittelten Ergebnissen kann die These, die aktive Erdgasproduktion habe einen Einfluss auf die erhöhten Raten des Non-Hodgkin-Lymphoms (NHL) sowie des Multiplen Myeloms (MM) NICHT unterstützt werden. Stattdessen gibt es Hinweise, dass die holzverarbeitende Industrie einen Einfluss hat. Jedoch kann damit nicht die gesamte Erhöhung in der Samtgemeinde Bothel erklärt werden.

Ergebnisse und Fazit der Ebene 4

Erdgasfördersonde „Preyersmühle-Süd Z1“ in der Nähe von Rotenburg/Wümme, April 2017 © Steven Arndt

Auf der 4. Ebene wurde eine Funktion der Wahrscheinlichkeit für die Erkrankung in Abhängigkeit des (inversen) Abstand zu potentiellen Expositionsquellen statistisch analysiert. Einen Hinweis auf einen auffälligen Zusammenhang gibt ein Vergleichsmaß, der p-Wert, sofern dieser kleiner als 0,05 ist.

Bei den auf der Ebene 4 untersuchten Expositionsquellen liegt der p-Wert  bei der metallverarbeitenden Industrie bezüglich aller häatologischen Krebserkrankungen mit 0,046 unter dem Schwellenwert. Da die Unterschreitung jedoch sehr gering ist, kann daraus keine eindeutige Aussage abgeleitet werden. Bei den signifikant erhöhten NHL und MM-Erkrankungen wurde die 0,05-Marke des p-Wertes jedoch nicht unterschritten.

Ähnlich verhält es sich bezüglich Erdgasförderanlagen. Hinsichtlich aller hämatologischen Krebserkrankungen gibt es mit einem p-Wert von 0,048 eine leichte Unterschreitung. Bei Betrachtung der erhöhten Erkrankungsraten, also dem NHL sowie dem MM wird die 0,05-Marke jedoch nicht unterschritten, wohingegen in den Jahren 2007-2015 mit 0,043 eine Unterschreitung zu verzeichnen war.

Bei allen anderen untersuchten Expositionsquellen wurde der p-Wert von 0,05 nicht unterschritten, mit einer Ausnahme: Historische Bohrschlammgruben! Auf dem Gebiet der Samtgemeinde Bothel befinden sich zwei Verdachtsflächen. Es handelt sich um die Verdachtsflächen mit der Bezeichnung „Scheeßel Z1“ sowie „Deepen“. Beide befinden sich laut NIBIS-Kartenserver des LBEG im Gemeindegebiet von Hemslingen.

Eine weitere Verdachtsfläche, die laut Auskunft der Assistentin von Herrn Hoopmann in die Analyse mit einbezogen wurde, ist die „Lüdingen 1/1A“ auf dem Gemeindegebiet von Visselhövede außerhalb der Samtgemeinde Bothel, aber deren Gebiet nahe gelegen. Während sich die erstgenannten Flächen keiner konkreten Bohrung zuordnen lassen, verhält es sich bei letzgenannter anders. Diese lässt sich den nicht fündigen 1962/63 abgeteuften Erdgasexplorationsbohrungen  „Lüdingen 1“ sowie der neu angesetzten „Lüdingen 1A“ zuordnen.

Der p-Wert von 0,05 bezüglich dieser potenziellen Expositionsquellen wurde deutlich unterschritten (0,027 bezüglich aller 37 untersuchten hämatologischen Krebserkrankungen, 0,023 bezüglich der 26 NHL/MM-Fälle sowie 0,014 bezüglich der 19 untersuchten Fälle 2007-2015). Auffällig ist darüber hinaus der relativ große durchschnittliche Abstand von 3,5 km bis 4 km vom jeweiligen Wohnort zu den potenziellen Expositionsquellen.

Zwar nicht deshalb, sondern insgesamt machte der Referent deutlich, dass es sich um einen Hinweis, nicht jedoch um einen Beweis handelt. Das schienen die bereits genannten Erdgasförderungsgegner wohl überhört bzw. bewusst ignoriert zu haben. Anders ist das selbstgefällige Grinsen in ihren Gesichtern nach Präsentation dieses Ergebnisses nicht zu erklären. Das wurde in der anschließenden Fragerunde bestätigt, weshalb Herr Hoopmann noch einmal deutlich machte, dass es sich lediglich um einen Hinweis handele.

Reaktionen auf die Ergebnisse seitens der Gegnerschaft

Bereits unmittelbar nach Ankündigung des Termins zur Präsentation gab es eine Reaktion aus dem Kreise der örtlichen Gegnerschaft. So heißt es einleitend zu einem Post:

Was auch immer da am Donnerstag präsentiert werden wird, es hat kaum noch Gewicht.
Facebookseite „Gasland ist hier“

Denn aus Sicht der Gegner sei die Fragebogenaktion „wissenschaftlich nahezu wertlos und allenfalls „anekdotisch““, was argumentativ in zwei Punkten begründet wird. Darauf soll hier nicht weiter eingegangen werden, es kann sich dazu jeder seine Meinung bilden (siehe LINK).

„Überraschenderweise“ hatte es plötzlich sehr viel Gewicht, nachdem von Hinweisen auf historische Bohrschlammgruben die Rede war. Wie bereits oben beschrieben, wurden von einzelnen Gasförderungsgegnern diese Hinweise bereits auf der Veranstaltung in Beweise umgedeutet.

Auf der Facebookseite „Stop Fracking“ ist zu lesen (LINK):

Was haben die Befürworter von Gasförderung über die Berichte der Bohrschlammgruben gelacht, ja sogar Berichte der Journalisten Jürgen Döschner und Alexa Höber der Lächerlichkeit preisgegeben. Jetzt kommt heraus, dass diese alten Bohrschlammgruben möglicherweise Auslöser vieler Krebsfälle in den Erdgasregionen Niedersachsens sein könnten.

Mit diesem Kommentar sind ganz eindeutig unsere Serien „Historische Bohrschlammgruben“ und  „Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal“ sowie einzelne Artikel wie NDR-“Markt” desinformierte erneut Zuschauer über Bohrschlamm gemeint. In diesen kritisierten wir die skandalisierende Berichterstattung argumentativ, machten uns zudem Gedanken über etwaige Folgen für Grundeigentümer und wiesen schließlich anhand von Messwerten nach, dass viel Lärm um nichts gemacht wurde. Lächerlich, wenn man so will, haben sich die Autoren Höber, Döschner und Co. mit ihren Behauptungen und Dramatisierungen auf dünner Faktenbasis selbst gemacht. Und das nicht nur in unseren Augen!

Herausgekommen ist, dass zwischen historischen Bohrschlammgruben und den Erkrankungen ein Hinweis auf einen räumlichen Zusammenhang besteht, der jedoch aufgrund der mittleren Entfernung der Betroffenen zu den Expositionsquellen von 3,5 km bis 4 km mit äußerster Vorsicht zu bewerten ist. Den doppelten Konjunktiv in ihrer Argumentation haben unsere speziellen Freunde von „Stop Fracking“, die gerne über einen reden, Gegenmeinung/Richtigstellung durch Blockierung jedoch unterbinden, anscheinend nicht bemerkt.

Reaktion seitens der Erdgasgewinnungsindustrie

Auf die Untersuchungsergebnisse hinsichtlich der erhöhten Raten von NHL sowie MM in Bothel reagierte auch die teils vorverurteilend an den Pranger gestellte Erdgasgewinnungsindustrie prompt.

Diese sieht sich anhand der vorgetragenenen Ergebnisse entlastet (LINK):

Nun haben wir endlich die Bestätigung, dass unsere Förderaktivitäten nicht ursächlich für die Krebserkrankungen sind. ExxonMobil-Pressemitteilung

Auch der Zusammenhang zu historischen Bohrschlammgruben wird zurückgewiesen, da „es bereits an einem nachvollziehbaren wissenschaftlichen Zusammenhang fehlt“. So gäbe es in anderen gemeinden mit historischen Bohrschlammgruben keine derartigen Auffälligkeiten noch „wäre die erforderliche Aufnahme etwaiger relevanter Stoffe durch den Menschen weder über die Luft, das Wasser noch den Boden erklärbar“.

Der Branchenverband „Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie e.V. (BVEG)“ beurteilt die Ergebnisse in einer Pressemitteilung ähnlich.

Ausblick

Bodenuntersuchungen Söhlingen

Erdgasfördersonde Söhlingen-Ost Z3. Copyright: Steven Arndt

Aufgrund der Ergebnisse empfiehlt das NLGA „eine niedersachsenweiteepidemiologische Studie (Fall-Kontroll-Ansatz) zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Kohlenwasserstoffförderung und dem Auftreten hämatologischer Krebserkrankungen durchzuführen“. Weitere epidemiologische, auf Bothel beschränkte Untersuchungen werden hingegen kaum als zielführend angesehen (beschränkte Datenmenge).

Ferner ist zu erwarten, dass die Gegnerschaft die eher vagen Hinweise auf Bohrschlammgruben für ihre Zwecke benutzen wird, um weiterhin gegen die Erdgasförderindustrie ins Feld zu ziehen. Das wurde bereits im Rahmen der Veranstaltung deutlich. Die bereits benannten Vertreter der Gegnerschaft kündigten besipielsweise eigene Untersuchungen an. Diese gab es bereits in der Vergangenheit, sind hinsichtlich ihrer Methodik jedoch stark in Zweifel zu ziehen.

Auf die unsachlichen Beiträge der eloquenten Juristin Muschter, die teilweise abseits des Themas u.a. den Landrat Luttmann scharf attackierte, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Nur soviel: Der neben dem Verfasser sitzende Samtgemeindebürgermeister von Bothel, Dirk Eberle, konnte bezüglich der Angriffe von Frau Muschter, aber auch hinsichtlich anderer nicht themenbezogener Beiträge, nur den Kopf schütteln.

Für den Verfasser eine begrüßenswerte Reaktion, da es Herrn Eberle offenbar um die Sache geht, nicht jedoch um eine Generalverurteilung der Erdgasgewinnungsindustrie sowie der Behörden.

Dennoch kann der Verfasser die Einschätzung Eberles nicht teilen, dass es deutliche Hinweise auf einen Zusammenhang Bohrschlammgruben – Erkrankungen gäbe. Zwar spricht der p-Wert wie erläutert dafür. Dagegen spricht jedoch die relativ weite räumliche Entfernung von 3,5 km bis 4 km sowie, dass es in anderen, teils benachbarten  Gebieten mit historischen Bohrschlammgruben diese Auffälligkeiten nicht gibt.

Bleibt die Rolle offizieller, teils öffentlich-rechtlicher Medien:

Von diesen, insbesondere vom NDR, sind weitere skandalisierende Beiträge zu erwarten und das sehr wahrscheinlich im engen Schulterschluss mit den altbekannten Protagonisten wie Herrn Rathjens.

Hinweise darauf lieferte Rathjens während der Veranstaltung selbst, aber auch ein Videobeitrag in Verantwortung von Alexa Höber zum Textbeitrag „Erhöhte Krebsrate wegen Bohrschlammgruben?“ deutet darauf hin. Ergo: Unsere Serie „Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal“ wird wohl ihre Fortsetzung finden.

Artikelfoto: Erdgasfördersonde „Preyersmühle-Süd Z1“ in der Nähe von Rotenburg/Wümme, April 2017 © Steven Arndt