Angeblicher Säureregen in Söhlingen – Reaktionen der Lokalpolitik

Bodenuntersuchungen Söhlingen

In der vergangenen Woche berichteten mehrere Lokal- und Regionalmedien über einen angeblichen Säureaustritt im Zusammenhang mit Fackelarbeiten auf der Erdgasförderbohrung „Söhlingen Z5“ im Landkreis Rotenburg/Wümme (LK ROW). Basis der Berichte sind Aussagen über gesundheitliche Beeinträchtigungen  mehrerer Vertreter unterschiedlicher, der regionalen Erdgasgewinnung kritisch bis ablehnend gegenüberstehender, Bürgerinitiativen (BI). Wie nicht anders zu erwarten, fühlen sich lokal ansässige Politiker auf den Plan gerufen und äußern sich gegenüber der Bergbehörde äußerst kritisch und dabei teilweise am Thema vorbei. Das ist wenig erstaunlich, schließlich stehen u.a. Landratswahlen im LK ROW vor der Tür.

Die Vertreter der BI, die extra zum abgelegenen  Förderplatz gefahren sind, um Filmaufnahmen von der Fackeltätigkeit zu machen, erzählten von Atemnot und Übelkeit sowie einem metallischen Geschmack auf der Zunge. Außerdem klagten sie medienwirksam über Augenreizungen und blutende Gesichtsporen am darauffolgenden Tag (Zitat aus der Rotenburger Rundschau vom 11.04.2014):

Nachdem er tags darauf geblutet hatte[…]

Das merkwürdige an diesem Zitat ist, dass eine Aktivistin auf der Facebook-Seite „Stop Fracking“ das mit den blutenden Poren so darstellt, als wäre dieses Symptom nicht am Folgetag, sondern unmittelbar während der Filmaufnahmen eingetreten:

Sie (die Aktivisten) filmen z.B. nachts im Windschatten einer solchen Gasfackel trotz Atemnot, Übelkeit und blutenden Poren.

Als weiterer Widerspruch der Zeugenaussagen kommt hinzu, dass in der Sendung „Buten und Binnen“ bei Radio Bremen ein anderer Vertreter einer BI aus dem vom Förderplatz 25 km entfernten Groß Meckelsen von Ruß sprach, der die Blätter, die in anderen Berichten als Beweis für einen Säureniederschlag dienen sollten,  durchlöchert hätte. Nur verbrennt Erdgas rußfrei, wie es auch in den Videoaufnahmen oder auch auf Fotos einer Aktivistin zu erkennen ist. Mehr zu den Ungereimtheiten der Erzählungen der in den Berichten zu Wort kommenden BI-Vertreter gibt es in einem am 12.04.2014 erschienenen Blog-Artikel zu erfahren.

Was außerdem verwundert ist, dass einzig und allein BI-Mitglieder in den Medienberichten zu Wort kamen, die tlw. bis zu 25 Kilometer vom Ort des angeblichen Geschehens entfernt zu Hause sind, aber kein Anwohner (gerade beim NDR war häufig von Anwohnern die Rede) aus den nächstgelegenen, jeweils 1 km entfernten Siedlungen Moordorf und Bothel zu Wort kamen bzw. befragt wurden. Da EMPG die Fackelarbeiten angekündigt hatte, kann vermutet werden, dass sich die BI-Vertreter gezielt auf die Dokumentation der Fackelarbeiten mittels Videoaufnahmen vorbereitet haben.

Jedenfalls rief die zum Teil unsachliche, im Falle der Kreiszeitung gar parteiische Berichterstattung pro BI die Lokalpolitik auf den Plan und die Reaktionen fielen z.T. ebenso unsachlich aus. Bereits am 11.04.2014 war in bei Kreiszeitung folgendes zu lesen:

Neben zahlreichen Landtags- und Bundestagsabgeordneten, die gestern bei Schimmeyer anriefen, mischte sich im Laufe des Tages auch Landrat-Kandidat Hans-Peter Daub in die Diskussion ein. Er forderte in einer Presseerklärung, dass sich die Kreisverwaltung und der für die Gefahrenabwehr zuständige, amtierende Landrat persönlich für eine schnelle und umfassende Aufklärung einsetzen müssten.

Gefahrenabwehr ist dabei ein wichtiges Stichwort. Schließlich hielt es den Medienberichten zufolge keiner der angeblich Geschädigten trotz der massiven Gesundheitsbeeinträchtigungen für notwendig, Polizei und Feuerwehr zu rufen sowie einen Arzt zu konsultieren.  Weder von den Medienvertretern noch von den lokal ansässigen Politikern ist jemand darauf gekommen, dieses merkwürdige Verhalten zu hinterfragen.

Im Gegenteil: Analog zu ersten Berichten bei der Kreiszeitung und dem NDR wurden die geschilderten Vorkommnisse von den Politikern als gegeben angesehen. Eine gute Übersicht bietet das ein wenig kritisch berichtende Konkurrenzblatt, die Rotenburger Rundschau, in einem Artikel, in dem Politiker zitiert werden, die das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) wegen angeblich zögerlicher Ermittlungsarbeiten an den Pranger stellen.

Dabei ist das LBEG erst am 07.04.2014 über den mutmaßlichen Vorfall informiert worden. Daraufhin machte sich ein Vertreter der Behörde laut Kreiszeitung-Bericht am 09.04.2014 auf den Weg ins Erdgasfeld „Söhlingen“, um sich mit dem BI-Vertreter Denis Schimmeyer zu treffen und eine Ortsbegehung durchzuführen. Eine Anzeige der BI-Vertreter, Beschwerdeführer ist laut Rotenburger Rundschau (RR) Herr Schimmeyer, ging bei der Staatsanwalt Verden ein. Die beauftragte erst am 14.04.2014 das LBEG die Ermittlungen zur Beschwerde der BI-Mitglieder zu führen. Von „zögerlichen Ermittlungsarbeiten“ kann keine Rede sein, da bereits am 15.04.2014 mit den Felduntersuchungen begonnen wurde:

Bereits ab morgen (Dienstag, 15.04.2014) werden die Experten des Staatlichen Geologischen Dienstes im LBEG gemeinsam mit Vertretern des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) Pflanzen- und Bodenproben im Umfeld der betroffenen Sondenplätze Söhlingen Ost Z1 und Söhlingen Z5 entnehmen und auf relevante Schadstoffe (u.a. Mineralölkohlenwasserstoffe, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Schwermetalle) untersuchen.

Trotz sofortiger Aufnahme der Untersuchungen des LBEG nach Beauftragung der Staatsanwaltschaft, ließen sich die Politiker nicht davon abhalten, sich auf die Seite der BI-Vertreter zu schlagen, obwohl die Untersuchungen, OB es einen Zwiachenfall überhaupt gegeben hat, erst begonnen haben. Zwar ereignete sich der angebliche Vorfall bereits am 1. April, aber für den zögerlichen Informationsfluss (erste Medienberichte gab es am 9. April) ist das LBEG kaum verantwortlich zu machen. Zunächst wird der Kreissprecher der Grünen, Thomas Sietz, im „Rundumschlag“ gegen das LBEG zitiert:

Es kann nicht sein, dass hier wiederholt mit der Gesundheit der Menschen gespielt wird“ und „Wir sind entsetzt über das zögerliche Vorgehen des Landesbergamtes in dieser Sache und erwarten lückenlose Aufklärung.

Im Grunde drischt Sietz nur Phrasen. Denn auf die präzise formulierte Frage, inwiefern zuvor mit der Gesundheit der Menschen gespielt wurde, hätte er sicherlich keine zufriedenstellende Antwort. Schließlich gibt es keine Beweise darüber, das jemals im Zusammenhang mit der inländischen Erdgasförderung mit der Gesundheit der Anwohner fahrlässig gespielt wurde (Hinweis an die Mitleser der Aktivisten: Bsp. aus DDR-Zeiten sind hier aus verschiedenen Gründen irrelevant!). Zum „zögerlichen Vorgehen“ ist bereits weiter oben etwas gesagt worden und eine Aufklärung ist immer lückenlos, denn sonst wäre sie keine.

Als nächstes darf sich eine Parteifreundin, Frau Susanne Mrugalla, ebenfalls Sperecherin, äußern und lamentiert am mutmaßlichen Vorfall vorbei:

Wo gefrackt wird, gibt es nicht nur die mittelbaren Gefahren wie Erdbeben oder drohende Grundwasserverseuchungen, sondern auch unmittelbare Folgen durch das unkontrollierte Verbrennen von Chemikalien und das Verpressen und den Transport von unaufbereitetem Lagerstättenwasser. Wann wird man endlich auch auf Bundesebene aktiv und schafft gesetzliche Regelungen, die die Menschen und ihre Gesundheit schützen?

Um Hydraulic Fracturing geht es in dem Fall überhaupt nicht. Außerdem: Gefract wurde in der Lagerstätte seit Jahren nicht. Die Bohrung „Söhlingen Z5“ wurde nach Auflistung des LBEG tatsächlich bereits 1985 einer Fracbehandlung unterzogen, also vor fast 30 Jahren. Erdbeben durch Hydraulic „Fracking“ Fracturing? In kaum vorgespannten Gebieten wie im Norddeutschen Becken quasi ausgeschlossen. Grundwasserverseuchungen durch Fracarbeiten sind in Deutschland genausowenig bekannt wie im Rest der Welt bei insgesamt über 2 Millionen Fracmaßnahmen. Eventuell gab es einen räumlich eng begrenzten (ein Privatbrunnen!) Vorfall in den 1980er Jahren in den USA, was bei Millionen Anwendungen sehr wenig ist. Es wird bei den Fackelarbeiten auch nichts „unkontrolliert“ verbrannt. Tatsächlich sind Freiwasser- sowie Quecksilberabscheider vorgeschaltet. Ein solcher Quecksilber ist übrigens auf den Fotos und Videoaufnahmen der Aktivisten zu sehen.

Auch Lagerstättenwasser ins Spiel zu bringen, geht vollkommen an den zu untersuchenden Vorwürfen vorbei, wie auch die Unterstellung, es gäbe im Zusammenhang mit der Erdgasgewinnung keine gesetzlichen Regelungen, die Menschen und deren Gesundheit schützen würde. Die Erdgasförderindustrie hat sich an gültige Umweltgesetze zu halten, wie jedes andere Unternehmen auch. Frau Mrugalla bringt mit ihrer unqualifizierten Äußerung lediglich klischeehafte Aussagen hervor, die sie offenbar ohne Prüfung auf Plausibilität von den BI übernommen hat.

Wenig qualifiziert äußert sich der Bundestagsabgeordnete der CDU, Reinard Grindel, der laut RR den niedersächsischen Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) auffordert, die Dienstaufsicht des LBEG ernster zu nehmen und die Behörde zu konsequenterem Handeln zu veranlassen. Nur was soll das LBEG machen, wenn es keine Freigabe der Staatsanwaltschaft für Ermittlungsarbeiten erhält? Auf die zitierten Äußerungen Grindels lohnt es sich nicht weiter einzugehen, da er lediglich Unterstellungen und Behauptungen von BI wiedergibt sowie gegen den politischen Gegner stichelt. Aber glücklicherweise gelingt es dem Verfasser des RR-Artikels, Grindels Äußerungen als Meinung darzustellen:

„Der reichlich oberflächliche Umgang mit den Sorgen der Menschen in Söhlingen steht in krassem Widerspruch zu der Ankündigung von Rot-Grün, in Zusammenhang mit der Erdgasförderung für mehr Transparenz und Bürgernähe zu sorgen“, meint der CDU-Politiker.

Und auch für Bundestagsabgeordnete gilt: Meinung entspricht nicht unbedingt der Realität. Zudem, kleiner Exkurs, kann Grindel sich nicht damit herausreden, nichts über Fracaktivitäten in der Region gewusst zu haben. Das geht aus einem Artikel der RR vom 20.09.2006 hervor, in dem sich zahlreiche Lokalpolitiker Seit an Seit mit ExxonMobil dargestellt werden und sich bei dem Unternehmen für sein Engagement (u.a. für gemeinnützige (!) Spenden, die heute aus Angst vor dem Vorwurf der BI, käuflich zu sein, abgelehnt werden!!!):

Die von Exxon Mobil entwickelte Technologie zur Bohrung nach Gas aus dichtem Gestein wurde im Rahmen der Initiative der Bundesregierung „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnet. Mit ihr, so Stahlhut gegenüber dem Bundestagsabgeordneten Reinard Grindel, werde die Zeit der Erdgas-Förderung in Niedersachsen auch aus bestehenden Feldern wesentlich verlängert.

Keinen Deut besser verhält sich der SPD-Bürgermeisterkandidat von Rotenburg, Herr Andreas Weber. Dieser traf sich mit BI-Vertretern wie Herrn Schimmeyer, der für durchlöcherte Blätter im Umfeld der Förderbohrung einen „Säureregen“ verantwortlich macht und Andreas Rathjens, der bei Radio Bremen heiße Rußpartikel als Ursache für die Löcher in den Blättern verantwortlich machte sowie einer dritten Bürgerin. Weber sagt:

Ich habe mir ein Bild vor Ort machen wollen, um nicht immer nur über andere informiert zu werden. Es roch immer noch nach faulen Eiern, die auf Schwefelwasserstoff oder ähnliche Ausdünstungen hinwiesen. Ich habe keinerlei Verständnis dafür, dass offensichtlich giftige Stoffe einfach ungereinigt abgefackelt werden und damit hochgiftige Substanzen in die Umwelt gelangen

Wieso soll es immernoch nach faulen Eiern, also Schwefelwasserstoff (und nicht etwa „ähnliche Ausdünstungen“), gerochen haben? Davon haben die BI-Vertreter zuvor nie etwas gesagt. Insofern stellt sich die Frage, wie Weber zu der Aussage kommt, es wurden offensichtlich giftige Stoffe ungereinigt abgefackelt. Offensichtlich ist an dem Fall überhaupt nichts. Im Gegenteil: Je mehr man Artikel mit Aussagen der BI-Mitglieder liest sowie auf ihren Portalen recherchiert, umso widersprüchlicher erscheinen ihre Behauptungen.

Beispiele:

  • Säureregen (NDR, Kreiszeitung) versus heiße Rußpartikel (Radio Bremen) als Ursache für Löcher in Blättern
  • angebliche schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen versus Nichtalarmieren von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten
  • „Gesichtsbluten“ während der Videoaufnahmen versus am darauffolgenden Tag

Insofern wäre es wünschenswert gewesen, wenn sich sowohl Medien (dazu gab es einen entsprechenden Artikel, s.o.) als auch Politik in Zurückhaltung übten, solange es lediglich Behauptungen von BI gibt, die eine Agenda verfolgen, nämlich, aus welchen Gründen auch immer, die inländische Erdöl-Erdgasgewinnungsindustrie in der öffentlichen Wahrnehmung zu beschädigen.

Sollte sich heraustellen, dass die Behauptungen der BI erfunden sind, wäre nicht nur deren Ansehen beschädigt, sondern auch das der Politiker und Medien, die sich kritiklos den eventuellen Unterstellungen anschließen. Insofern bleibt abzuwarten, was die eingeleiteten und sich in Durchführung befindlichen Untersuchungen ergeben, um sich ein abschließendes Urteil zu erlauben. BI, Politik sowie mehrere Medien haben das offenbar bereits voreilig getan.

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