Wissenschaftsdoku „Risiko Fracking“ – Eine kritische Betrachtung Teil II

Am 19.11.2015 strahlte 3sat eine Sendung aus, die sich mit dem Reizthema „Fracking“ befassen sollte. Der unter der Rubrik „Wissenschaftsdoku“ laufende 43-minütige Film ist mit „Risiko Fracking“ betitelt. Hinzu kommt, dass der Autor des Films, der Spiegel-TV-Redakteur Felix Kasten, dem Verfasser dieser kritischen Betrachtung seiner Dokumentation auf dem Kurznachrichtenportal Twitter als den in Bürgerinitiativen engagierten Gegnern inländischer Kohlenwasserstoffgewinnung nahestehend aufgefallen ist. Eine undistanzierte, sachliche, faktenbasierte Dokumentation, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, war nicht zu erwarten. Leider wurde diese Erwartung bestätigt, wie es die Fortsetzung unserer ausführlichen Kritik belegt.

4. Erdgasförderung, Erdbeben und der kaum vorhandene Zusammenhang mit Hydraulic Fracturing

Risiko Fracking? Anstieg der Erdbebenaktivität hat mit der Fractechnik sehr wenig zu tun.

Anstieg der Erdbebenaktivität in Oklahoma seit 2007. Anders als in den Massenmedien oft behauptet, sieht der USGS keinen Zusammenhang zwischen den Beben und Hydraulic Fracturing

Ab Minute 13:00 wird der Fokus wieder auf die Erdgasgewinnung in Deutschland gerichtet, speziell auf die Lagerstätte „Völkersen“ bei Verden. Groß thematisiert werden die sehr wahrscheinlich durch die dortige Erdgasgewinnung hervorgerufenen Erdbeben sowie die „Verpressung“ (fachlich korrekt wäre das Wort „Versenkung“) von Lagerstättenwasser. Weder das eine noch das andere haben etwas mit der „Fracking“-Technologie zu tun. Dass einige Bohrungen der Lagerstätte Fracmaßnahmen zur Produktionsstabilisierung unterzogen worden sind, ändert daran nichts! Desinformierend bzw. unwissenschaftlich ist im Zusammenhang mit den Beben, dass diese mit „großer Sicherheit“ durch die Erdgasgewinnung induziert worden sind. Der tatsächliche Wortlaut ist aber „sehr wahrscheinlich“ und (sehr) wahrscheinlich ist eine Stufe unter „sicher“.

Im weiteren Verlauf wird dennoch ein Bogen zu Erdbeben und „Fracking“ geschlagen. So seien in Europa erst wenige Erdbeben über der Magnitude 3 auf der Richterskala durch das Verfahren ausgelöst worden, im Gegensatz zu den USA. Als Beispiele für die angeblich durch „Fracking“ ausgelösten Beben werden Basel und St.Gallen angeführt.

Tatsächlich wurde das Beben in Basel durch hydraulische Stimulation hervorgerufen, die der Generierung von Rissen (Fracs) dienen sollte. In St.Gallen trat hingegen nach einer Säuerung erdgashaltiges Wasser in die Bohrung ein und es drohte ein Blowout. Dieser konnte nur mit dem Einpressen von Wasser verhindert werden (sogenanntes Totpumpen), was schließlich unerwartet zu dem Beben führte (Quelle). Ebenso ist die Behauptung, dass es in den USA mehrere durch „Fracking“ ausgelöste Beben der Magnitude größer 3 gab, falsch. Das geht aus einer Studie der Durham University hervor, die leider online nicht mehr abrufbar ist, eine Art Zusammenfassung dennoch schon (LINK).

Als Ursachen für induzierte Beben im Zusammenhang mit der Erdgasförderung wird die mit der Produktion einhergehende Druckabsenkung in der Lagerstätte angeführt. Das ist zwar korrekt, hat mit „Fracking“ wiederum nichts zu tun. In Schiefergaslagerstätten, die nur unter Anwendung des Fracverfahrens erschlossen werden können, ist eine solche Druckabsenkung nicht zu erwarten, da gegenüber konventionellen Lagerstätten, deren Gasinhalt bis zu über 90 Prozent abgefördert werden kann, die Gewinnungsrate bei Schiefergaslagerstätten höchstens 30 Prozent beträgt. Durch Hydraulic Fracturing können zwar auch Beben induziert werden, indem Fluid in Störungen gelangt und diese aktiviert. Dieses Risiko ist jedoch gering, da durch geophysikalische Vorerkundungen diese Störungen identifiziert werden. Nicht umsonst kann man laut Durham-Studie die durch „Fracking“ induzierten spürbaren Beben an einer Hand abzählen. Und das bei 3 Millionen Fracjobs weltweit seit 1947!

Immerhin konsultiert Felix Kasten in seiner Doku die BGR hinsichtlich Erdbeben im Zusammenhang mit Fracarbeiten in Deutschland. Die BGR erklärt, dass es weder eine zeitliche noch räumliche Korrelation mit den Arbeiten und Beben gibt. Dennoch kann es sich Kasten nicht verkneifen zu sagen, dass der Zusammenhang zwischen Beben und traditioneller Erdgasförderung erst seit wenigen Jahren unstrittig sei. Diese Aussage lässt sich dahingehend interpretieren, dass Kasten an den Erkenntnissen der BGR zweifelt. Er wirft anschließend der BGR vor, dass die Behörde (vorschnell) behauptet habe, dass das Beben bei Rotenburg vom 20.10.2004 nichts mit der Erdgasförderung zu tun gehabt hätte. Als Beleg wird eine Pressemitteilung angeführt. Tatsächlich existiert eine plausible Begründung für diese Einschätzung (Leydecker 2004). Doch das zu recherchieren, war Herrn Kasten und seinem Team wohl zu aufwendig.

Stattdessen folgen Plattitüden, wie „Die Folgen eines flächendeckenden Frackingeinsatzes zur Schiefergasförderung in Deutschland sind noch nicht abzusehen“. Doch, das sind sie. Denn weltweit gab es über 3 Millionen Fracjobs, infolge derer nur sehr wenige spürbaren Erdbeben induziert worden sind und mit Beben aufgrund von Druckentlastungen ist aufgrund der vergleichsweise geringen Volumenentnahme nicht zu rechnen. Dabei wird sogar von Herrn Dahm erläutert, dass die Zunahme von Beben im Mittleren Westen der USA auf die Versenkung von Abwässern zurückgeführt wird, aber nur einzelne Fracmaßnahmen spürbare Beben verursacht haben. Dass die Abwässer aufgrund von Fracmaßnahmen anfallen, wird in der „Wissenschaftsdoku“ zwar behauptet, Wissenschaftler sind da aber anderer Ansicht. Der United States Geological Survey (USGS) kommt zu dem Schluss (Quelle):

„Obwohl „Enhanced Oil Recovery“ und Hydraulic Fracturing gelegentlich die Ursache von seismischer Aktivität waren, zeigen Studien, dass die Entsorgung von Abwasser der Öl- und Gasindustrie in tiefe Versenkungsbohrungen die Hauptursache ist. Hydraulic Fracturing spielt beim starken Zuwachs der induzierten Seismizität in den USA keine große Rolle weil (1) Hydraulic Fracturing in aller Regel keine fühlbaren Erdbeben auslöst, (2) in Oklahoma, wo der Anstieg der induzierten Seismizität am größten ist, Abwässer von Hydraulic Fracturing nur einen geringen Anteil vom insgesamt entsorgten Abwasser ausmachen und (3) die Ölproduktion in vielen Ölfeldern, die sehr viel Abwasser produzierten, ohne Hydraulic Fracturing durchgeführt wurde.

Zusammenfassend bleibt zum Thema Erdbeben festzustellen: „Risiko Fracking“? Seriös wissenschaftlich betrachtet kaum.

5. Fracfluide, Additive und deren Aufgaben

Risiko Fracking? Nein! Bewährtes Standardverfahren.

Foto der bislang letzten Fracarbeiten in Deutschland im Zusammenhang mit der Erdöl- und Erdgasgewinnung. Stimuliert wurde hier im Sommer 2014 die Bohrung „E Barth 11“ in Vorpommern. Die Rezeptur des Fracfluides gibt es auf der Seite des Betreibers der Bohrung CEP nachzulesen.

Ab Minute 27:00 wird es dann tatsächlich endlich wieder richtig wissenschaftlich indem die Notwendigkeit von Stützmitteln sowie die Verwendung von (chemischen) Zusätzen durch Prof. Dr. Mohamed Amro (TU Bergakademie Freiberg) erläutert wird.

Leider wird der kurze wissenschaftliche Pfad umgehend wieder verlassen. Stattdessen entsteht aufgrund der Wortwahl der Eindruck, dass man sich auf einer Veranstaltung einer „Anti-Fracking“-Bürgerinitiative befindet. Angeblich blieb die jeweilige Zusammensetzung der Fracfluide über Jahre geheim. Tatsache ist jedoch, dass diese mangels Interesses nicht publiziert worden sind.

Nun soll als Folge von Protesten „der Bevölkerung“ (falsche Formulierung, tatsächlich hat nur ein geringer Teil der Bevölkerung tatsächlich protestiert) die Industrie mit dem Einsatz „ungiftiger“ Fracfluide werben. Ungiftig waren die Fracfluide bereits in der Vergangenheit, auch wenn das ein oder andere als „giftig“ eingestufte Additiv verwendet wurde. Aufgrund der geringen Konzentration dieser Additive waren die Fluide als Ganzes nicht giftig. In den letzten Jahren entwickelte die Industrie jedoch Rezepturen, die keine giftigen Substanzen mehr enthalten.

Doch sind diese wirklich so harmlos wie behauptet?

wird gefragt. Anhand der im Internet frei zugänglichen Informationen ist die Frage eindeutig mit „ja“ zu beantworten. Die Dokumentation bemüht sich jedoch nicht im geringsten darum anhand von Recherchen dieser Frage nachzugehen und die entsprechende Antwort zu liefern. Stattdessen wird ein Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Grundwasserökologie konsultiert. Dieser schaut sich einen Ausschnitt aus der „Panorama“-Dokumentation „Das schlechte Image von Fracking“ an, in dem drei Mitarbeiter der EMPG ein Gläschen des für Fracarbeiten in deutschen Schiefergaslagerstätten entwickelten Fluides trinken. Die beiden Zusätze werden benannt. Es handelt sich um Butyldiglycol sowie Cholinchlorid. Bei beiden handelt es sich um Stoffe, die weder giftig, umweltgefährdend oder gesundheitsgefährdend sind. Cholinchlorid ist gar als Vitamin eingestuft.

Doch leider hält die „Wissenschaftsdoku“ diese Informationen dem Zuschauer vor und die Antwort von Herrn Elnser bezieht sich auch nicht auf das Fluid, sondern darauf, was nach Abschluss des Fracvorgangs wieder als Backflow zurückgefördert werden könnte. Seine Aussagen sind von Eventualitäten geprägt und um es klarzustellen: Die Frage zielte nicht darauf ab, was vielleicht aus dem Untergrund zurückgefördert wird, sondern darauf, was eingebracht wird. Doch eingestehen zu müssen, dass das Fluid harmlos ist, ein „Risiko Fracking“ quasi nicht besteht,war wohl nicht im Sinn von Herrn Kasten.

Elsner behauptet weiter, dass es überhaupt noch gar nicht richtig erforscht sei, welche Reaktionen die in den tiefen Untergrund eingebrachten Chemikalien hervorrufen. Das kann kaum ernstgenommen werden, da bekannt sein muss, welche Reaktionen hervorgerufen werden, damit eine Fracoperation überhaupt gelingt. Das hatte wenige Minuten vorher Professor Amro doch eigentlich schon verständlich erläutert.

Als nächstes wird eine Brücke zur Kernenergie geschlagen, da angeblich die Entsorgungsfrage der zurückgeförderten Flüssigkeit ungeklärt sei. Tatsächlich gibt es verschiedene Methoden einer umweltverträglichen Entsorgung. Dazu zählt zum Beispiel das bewährte Versenken in tiefere aufnahmefähige Gesteinsschichten. Diese Praxis wird für die Entsorgung von Lagerstättenwasser seit Jahrzehnten in Deutschland betrieben, ohne das auch nur an einer einzigen Stelle irgendwo ein Rückfluss an die Erdoberfläche oder oberflächennahe Gesteinsschichten dokumentiert worden ist.

Ferner lässt sich die Flüssigkeit, insbesondere was Fracfluide betrifft, die für die Erschließung von Schiefergaslagerstätten eingesetzt werden sollen, aufbereiten. Schließlich wird so auch bei anderen Industrieabwässern verfahren, die durchaus sehr unangenehme Stoffe beinhalten. In den USA werden teilweise rückgeförderte Fracfluide nach Aufbereitung sogar wiederverwendet (Cabot Gas Well Treated With 100% Reused Frac Fluid). Anscheinend war, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, der Rechercheaufwand zu groß. Stattdessen wird sich auf die Aussagen des fachfremden Herrn Elsner berufen, um der Angelegenheit einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen.

Folgende Kapitel gibt es im dritten und letzten Teil zu lesen:

6. Potenzielle, aber geringe Risiken des Fracverfahrens

7. Politisch bedingter Stillstand in Deutschland

8. Zusammenfassung

Artikelfoto: Fracarbeiten auf einer Tightgasbohrung bei Goldenstedt in Niedersachsen. Quelle: Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V.