Hydraulic Fracturing im Gegensatz zu Schlagzeilen offenbar nicht verantwortlich für Trinkwasserbeeinträchtigung

Am 6. Mai dieses Jahres erschien beim Tagesspiegel ein Artikel der mit der Schlagzeile „Fracking-Chemikalien im Trinkwasser entdeckt aufwartete. Ein gefundenes Fressen für die Gegner des eigentlich Hydraulic Fracturing genannten Verfahrens. Schließlich verhält es sich so, dass eine „Verseuchung“ des Trinkwassers infolge des Verfahrens zu ihren Hauptsorgen zählt.

Doch bereits in den ersten Zeilen des Artikels wird die dramatisierende Schlagzeile relativiert. Die Chemikalien stammen mutmaßlich aus Erdgasbohrungen, heißt es.

Ferner wird in dem Artikel abermals deutlich, dass die Autoren solcher Artikel offenbar kein Verständnis davon haben, worüber sie schreiben. So wird das Fracverfahren folgendermaßen beschrieben:

Unter hohem Wasserdruck bricht das Gestein auf, Sand und verschiedene Chemikalien sorgen dafür, dass die Spalten offen bleiben und Gas ins Bohrloch strömt, wo es dann gefördert wird.

Richtig ist, dass der Sand oder andere Stützmittel (Schwerminerale wie Zirkon oder Korund, Keramikkügelchen) den Zweck haben, die erzeugten Risse offenzuhalten. Die dem Fracfluid beigemengten Chemikalien, deren Anteil bei Fracarbeiten in Tongesteinen unter 0,5 Prozent liegt, haben hingegen die Aufgabe die Reibung zu vermindern, Tonquellung während der Risserzeugung zu verhindern und Ablagerungen an den Rohrwandungen zu verhindern. Bei Fracarbeiten in anderen Gesteinen kommen noch Zusätze hinzu, die das Fluid gelieren und nach Abschluss des Prozesses die wackelpuddingartige Konsistenz wieder in einen leicht fließbaren Zustand zum Zwecke der Rückförderung zu überführen.

Laut des Artikels konnte eine Chemikalie identifiziert werden, die tatsächlich häufiger in Fracfluiden enthalten ist. Es handelt sich dabei um 2-n-Butoxyethanol, dass laut der nichtkommerziellen Plattform fracfocus.org als oberflächenaktives Mittel, genauer als Benetzungsmittel, eingesetzt wird. Der Tagesspiegel schreibt, dass die Substanz „ebenfalls beim Bohren genutzt wird“. Das ist zwar richtig, widerspricht aber der Schlagzeile, dass es sich um eine „Fracking“-Chemikalie handelt. Den Unterschied zwischen Bohren, Fracen und Fördern als eigenständige Prozesse werden Journalisten wahrscheinlich nie begreifen.

Nicht nur laut des Artikels sondern vor allem laut des Abstracts der Studie „Evaluating a groundwater supply contamination incident attributed to Marcellus Shale gas development“ scheidet der Fracprozess als Ursache für das Vorkommen der Chemikalie aus. Stattdessen wird vermutet, dass eine fachlich nicht korrekt ausgeführte Bohrlochabdichtung verantwortlich ist. Laut des Artikels „Fracking-Chemikalien im Trinkwasser gefunden“ der Süddeutschen Zeitung sind die Bohrungen unterhalb einer Teufe von 300 Metern nicht einmal verrohrt gewesen.

Zudem wird angenommen, dass der Austritt rückgefördeter Flüssigkeit aus einem Sammelbecken (mit-) verantwortlich für die Verschmutzung sein. Das geben unisono die beiden Presseartikel sowie das Abstract der Studie, auf die sie sich berufen, wieder. In Deutschland sind weder unverrohrte Bohrungen noch offene Becken für rückgeförderte Flüssigkeiten genehmigungsfähig. Die Beeinträchtigung des Wassers wäre demnach ohne Weiteres vermeidbar

Obwohl die jeweiligen Schlagzeilen etwas anderes suggerieren, ist Hydraulic Fracturing nicht unmittelbar verantwortlich für die Beeinträchtigung des Wassers. Der Begriff „Verschmutzung“ wird hier konsequent vermieden, da die Konzentration des nachgewiesenen 2-n-Butoxyethanol extrem gering ist. Dem Abstract ist dabei Folgendes zu entnehmen:

A compound identified in flowback, 2-n-Butoxyethanol, was also positively identified in one of the foaming drinking water wells at nanogram-per-liter concentrations.

Es handelt sich also um Konzentrationen, die sich im Milliardstel-Gramm-Bereich bewegen und, wie die Studienautoren schreiben, nur dank spezieller Methoden nachgewiesen werden konnten, über die die meisten kommerziellen Laboratorien nicht verfügen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang gerne an die Nachweisbarkeit eines Zuckerwürfels im Starnberger See, auch wenn die Größenordnung nicht zutrifft.

Immerhin geben die Zeitungsartikel zu, dass der Prozess des Hydraulic Fracturing selbst nicht verantwortlich für das Vorkommen der Chemikalien ist. Sie räumen zudem ein, dass die Konzentration weder Grenzwerte überschritt noch demzufolge gesundheitsgefährdend wäre.

Was die Presseartikel erreicht haben dürften ist, dass die jeweiligen dramatisierenden Schlagzeilen in den Köpfen der Leser hängen geblieben sind. Schaut man sich die Kommentare beim Tagesspiegel an (die SZ hat die Kommentarfunktion vor einigen Monaten eingestellt), kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass  die meisten Leser über die Schlagzeile nicht hinausgekommen sind.

Leider ist im Gegensatz zu anderen Publikationen die Studie nicht vollständig abrufbar bzw. nur gegen Gebühr. Denn Erfahrungen aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass Studieninhalt und Berichte darüber miteinander nicht konform gehen. Bestes Beispiel wäre der SpiegelOnline-Artikel Studie über Pennsylvania: Fracking treibt Gase ins Trinkwasser.

Tatsächlich vermuteten die Studienautoren jedoch nicht den Standards entsprechendenen Bohrlochkonstruktionen und nicht den Fracprozess (siehe „Increased stray gas abundance in a subset of drinking water wells near Marcellus shale gas extraction“) als Ursache. Zudem wurde nicht ausgeschlossen, dass die spezielle Geologie der Marcellus-Formation ursächlich für das Auftreten von Gasen sein könnte. Denn im Bereich der Fayetteville-Formation konnte das problem nicht dokumentiert werden.

Der größte Widerspruch zwischen Schlagzeile und Fakten gelang den deutschen Medien jedoch mit der Behauptung, dass der CEO von ExxonMobil sich angeblich gegen „Fracking“ vor der eigenen Haustür wehre. So war beispielsweise bei SpiegelOnline diesbezüglich zu lesen:

Rex Tillerson: Exxon-Chef wehrt sich gegen Fracking nahe seinem Wohnhaus

Berufen wurde sich dabei auf den Artikel „Exxon CEO Joins Suit Citing Fracking Concerns“ des Wallstreetjournals. Die vermeintlichen Befürchtungen vor „Fracking“ waren laut der auf der Seite verlinkten Klageschrift der sich Tillerson anschloss, aber nicht von ihm initiiert wurde, diese:

Furthermore, upon information and belief, BWSC will sell water to oil and gas explorers for fracing shale formations[…]

Auf den 30 Seiten der Klageschrift taucht ein einziges Mal das Wort „Fracing“ auf, wobei lediglich eine Vermutung der Gegenstand ist. Deutschen Journalisten gelang es, daraus eine Ablehnung des Fracverfahrens zu konstruieren. Beeindruckend, und zwar im negativen Sinne. Damit ist aber Anlass genug gegeben, Artikel bezüglich des Reizthemas „Fracking“ kritisch zu hinterfragen und inhaltlich in Frage zu stellen.