Freiwilliges Fracking-Moratorium durch Industrie aufgekündigt
Infolge der kritiklosen Ausstrahlung des Pseudo-Dokumentarfilmes „Gasland“ vor etwas mehr als fünf Jahren, einhergehend mit dem Vorhaben, potenzielle Schiefer- und Kohleflözgasvorkommen in Deutschland zu erkunden, keimte Protest gegen das zuvor über fünf Jahrzehnte im Inland durchgeführte Verfahren Hydraulic Fracturing (ugspr. „Fracking“) auf. Ein beeindruckend konzertiertes Zusammenspiel aus neugegründeten Bürgerinitiativen, Umweltverbänden sowie Medien, von der Lokalpresse bis hin zu den öffentlich-rechtlichen Anstalten, führte zu einer Angstkampagne, deren Saat auf fruchtbaren Boden fiel. Im Ergebnis sah sich aufgrund des öffentlichen Druckes die Industrie gezwungen, sich, bezogen auf Niedersachsen, auf ein freiwilliges Fracking-Moratorium einzulassen.
Von den Anfängen 1961 bis zum Fracking-Moratorium 2011
In der Vorstellung vieler Menschen dürfte Erdgasförderung so ablaufen: Unter Verwendung einer Bohranlage wird ein Loch in die Erde getrieben, um eine Erdgaslagerstätte anzuzapfen, die sich in einer „Blase“, also einem unterirdischen Hohlraum befindet. Das „angezapfte“ Erdgas würde dann durch das Bohrloch ungehindert an die Erdoberfläche strömen, wo es dann ins Transportnetz eingespeist wird.
Tatsächlich verhält es sich jedoch so, dass Erdgas in porösen und/oder klüftigen Gesteinen eingelagert ist. Sofern diese Poren und Klüfte gut miteinander verbunden sind, kann das erschlossene Erdgas aus der Lagerstätte der Bohrung zuströmen. Doch oftmals treffen Bohrungen Gesteinsschichten an, die zwar Erdgas in beträchtlichen Mengen führen, die mikroskopisch kleinen Hohlräume, in denen der Rohstoff gespeichert ist, jedoch nur unzureichend miteinander verbunden sind, so dass wirtschaftliche Zuflussraten zur Bohrung nicht möglich sind.
Um dennoch diese auch in Deutschland vorhandenen Vorkommen nutzbar zu machen, sind verschiedene sogenannte Stimulationsmethoden entwickelt worden, zu denen auch das Hydraulic Fracturing zählt. Bei diesem Verfahren werden, wie es sich aus dem Begriff ableiten lässt, durch Druckübertragung mittels einer Flüssigkeit (Hydraulik) künstliche Risse (englisch fractures) im Gestein erzeugt. Dadurch werden zahlreiche Hohlräume miteinander verbunden und das Erdgas kann leichter der Bohrung zufließen.
In Deutschland wurde das 1947 erstmals in den USA angewendete und 1949 patentierte Verfahren am 26.07. 1961 erstmals in der Bohrung „Rehden 15“ in 1.609 m Teufe in Sandsteinen des Buntsandstein durchgeführt (Liste der Fracs in Niedersachsen (Erdgas‐ und Geothermiebohrungen)). Anschließend erfolgte nur eine sporadische Anwendung des Verfahrens, bis Ende der 1970er Jahre mit dem Aufschluss wenig durchlässiger gasführender Speichergesteine im Karbon sowie im Rotliegenden ein erster, kleiner „Boom“ zu verzeichnen war.
Ab 1990 bis zum Fracking-Moratorium 2011 kam es fast jährlich zu Fracmaßnahmen in niedersächsischen Erdgaslagerstätten mit steigender Tendenz. Der Anstieg kulminierte 2008 mit fast 30 Einzelanwendungen (siehe nebenstehendes Diagramm). Nach 2011 gab es dann trotz eingereichter Anträge, trotz unveränderter Gesetzeslage, nach welcher zuvor Genehmigungen erfolgt sind, keine Bearbeitung von Anträgen und somit keine Genehmigungen mehr. Lediglich 2014 konnten in Mecklenburg-Vorpommern durch geschickte Kommunikation des Betreibers in der Erdölerkundungsbohrung „Barth 11“ hydraulische Stimulationsmaßnahmen durchgeführt werden. Inwiefern Fracarbeiten zur Erschließung von tiefen geothermischen Potenzialen vorgenommen worden sind, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers.
Der Zeitraum 2011 bis zur angekündigten Aufhebung des Fracking-Moratorium
Infolge der Ausstrahlung von „Gasland“, infolge der darauf anknüpfenden undifferenzierten, unkritischen Berichterstattung in nahezu sämtlichen offiziellen Medien schossen überall dort, wo Fracmaßnahmen oder auch nur die Erkundung neuer Lagerstätten publik gemacht wurden, Bürgerinitiativen wie Pilze aus dem Boden. An deren Spitze stellten sich Personen, die sich als „Fracking“-Experten gerierten und versuchten, mit sogenannten „Informationsveranstaltungen“ noch unbedarfte Mitbürger auf ihre Seite zu ziehen.
Dass diese selbsternannten „Aufklärer“, bei denen es sich um asketisch lebende Softwareentwickler, Grafikdesigner, notorische Weltverbesserer usw. handelte, über keinerlei Expertise hinsichtlich Geowissenschaften, Tiefbohrtechnik, Lagerstättenkunde etc. verfügten, störte weder die Zuhörer solcher Veranstaltungen noch die Medien oder Politiker. Sie attestierten stattdessen mangels eigenen Sachverstandes den Referenten beeindruckt „Expertenwissen“.
Hiervon völlig überrumpelt vermochten die deutschen Explorations- und Produktionsunternehmen zunächst wenig entgegenzusetzen. Eine seriöse Auseinandersetzung mit der Thematik fand in den Medien zudem so gut wie gar nicht statt. Teilweise wurden derartig hanebüchene Unwahrheiten verbreitet, dass einem die Haare zu Berge standen.
Das Unternehmen ExxonMobil hatte hinsichtlich der Erkundung potenzieller Schiefergasvorkommen, für deren Erschließung die Anwendung des Fracverfahrens unvermeidbar ist, die vorangeschrittensten Pläne. Ab 2008 hatte das Unternehmen mehrere Bohrungen zu Explorationszwecken abgeteuft und in der Bohrung „Damme 2“ sogar drei hydraulische Stimulationen in unterschiedlichen Teufenniveaus durchgeführt. Zudem explorierte ExxonMobil auch auf mögliche Kohleflözgasvorkommen in Südwestniedersachsen sowie im angrenzenden nördlichen Nordrhein-Westfalen (NRW).
Dementsprechend konzentrierte sich der Widerstand vorrangig auf dieses Unternehmen. ExxonMobil sah sich deshalb veranlasst, den Dialog zu suchen und initiierte einen Dialogprozess, in dessen Rahmen durch eine neutrale Gruppe von Wissenschaftlern die Federführung übernahm und eine Studie zu den potenziellen Risiken der Fractechnologie erstellte.
Im Auftrag der Bundesregierung wurde über das Umweltbundesamt (UBA) ebenfalls eine „Risikostudie Fracking“ erstellt. Da das UBA mangels Expertise nicht in der Lage war, die Studie selbst zu erstellen, wurde die Arbeit ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt ein Team um die ahu AG. Über Expertise auf dem Gebiet der Lagerstättengeologie oder der Tiefbohrtechnik verfügte niemand der Beteiligten. Ferner gab die Landesregierung von NRW eine eigene Studie in Auftrag. Den Zuschlag für die Erstellung erhielt ebenfalls die ahu AG.
Warum die hinsichtlich Lagerstättengeologie sowie in Fragen der Allgemeinen Geologie Niedersachsens durchaus kompetentere BGR übergangen worden ist, ist von der Sache her nicht nachvollziehbar und höchstens damit zu erklären, dass bewusst Studien erstellt werden sollten, deren Empfehlungen in die Richtung gehen sollten, das Fracverfahren zur Erschließung von Schiefergas- und Kohleflözgasvorkommen zu verunmöglichen. So sah es z.B. Prof. Dr. Horst Rüter (Fracking – kann die Politik noch sachbezogen handeln?):
Es wurden Gutachten und Studien in Auftrag gegeben (NRW und UBA 1 und 2). Die Wissenschaftler wurden sorgfältig so ausgesucht, dass sie von Fracking möglichst keine Ahnung hatten, zumindest aber noch nie etwas zum Thema veröffentlicht hatten. Prof. Dr. Hort Rüter
Doch zumindest die Studien im Auftrag des UBA kamen nicht zu dem Schluss, dass das Fracverfahren verboten werden müsse. Im Gegenteil: Der Leiter der zweiten Studie, Uwe Dannwolf, widersprach sogar öffentlich der Interpretation der Präsidentin seines Auftraggebers, Dr. Maria Krautzberger. Diese hatte in der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der 2. UBA Studie behauptet, dass „Fracking“ nach wie vor eine Risikotechnologie bleibe. Doch diese Interpretation ließe sich, so Dannwolf, nicht aus der Studie ableiten.
Zusammengefasst zeigt sich hier ein ziemliches Dilemma. Obwohl mit Steuergeldern finanzierte Studien erstellt worden sind, deren Zweck es u.a. sein sollte, bestehende Gesetze entsprechend den Empfehlungen (verschärfend) zu verändern, kamen über vier bis fünf Jahre diese Gesetzesänderungen nicht zustande. Offenbar ist die Politik nicht mehr in der Lage, kontrovers diskutierte Themen sachbezogen zu beurteilen. Stattdessen lässt sie sich von einer lautstarken, emotionalisierenden und an Fakten desinteressierten Minderheit treiben. Das betrifft nicht nur das hier diskutierte Thema, sondern auch sämtliche andere, in denen vorgebliche Umweltschutz-Davids „profitgierigen“ Konzern-Goliaths gegenüberstehen.
Begründung der Aufkündigung des Fracking-Moratoriums
Bislang hat die Industrie die Unentschlossenheit der Politik, Gesetzesänderungen zu verabschieden, mehr oder weniger geduldig hingenommen. Doch auf der Jahrestagung des nun in Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG) umbenannten einstigen Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V. (WEG) wurde deutlich gemacht, dass das erduldete Fracking-Moratorium nicht länger hingenommen werden kann.
Schließlich war die Industrie bereit, angekündigte und für den Wirtschaftszweig nachteilige Gesetzesverschärfungen hinzunehmen. Da es jedoch weder eine Regierungskoalition aus Union und FDP noch die aktuelle Koalition geschafft haben, anhand der Studienergebnisse unter Missachtung der entwarnenden Expertise der BGR ein Gesetzespaket zu verabschieden, sieht sich die Industrie gezwungen, das Fracking-Moratorium aufzukündigen.
Denn ein weiterer Genehmigungsstopp von Vorhaben, bei denen ein zuvor über 50 Jahre ohne gravierende Probleme angewendetes Verfahren zum Zuge kam, würde ein zeitnahes Ende der inländischen Erdgasgewinnung bedeuten. Hinzu kommt, dass ganze Standorte von Firmen der E&P-Industrie gefährdet sind. Das hätte nicht nur Folgen für das Steuersäckel der jeweiligen Gemeinden oder für die in den Unternehmen beschäftigten, oftmals sehr gut entlohnten Mitarbeiter. Ebenso gravierend wäre der Verlust innovativen Potenzials in technologischer Hinsicht. Gerade die komplizierten geologischen Bedingungen in Deutschland erfordern Lösungen, die nach erfolgreicher Erprobung im Inland auch im Ausland Verwendung finden können.
Ist das Fracking-Moratorium tatsächlich beendet?
Ob das Fracking-Moratorium mit der Aufkündigung seitens der Industrie tatsächlich beendet ist, bleibt zunächst abzuwarten. Dafür spricht, dass der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) der Industrie den Rücken stärkt. Dies geht aus einer Video-Grußbotschaft hervor, die der Minister an den BVEG zu dessen Jahrestagung am 15.06.2016 zukommen ließ.
Doch andererseits sollten die Gegner der inländischen Gewinnung von Erdgas und Erdöl nicht unterschätzt werden, die sofort nach Bekanntwerden der Aufkündigung des Moratoriums auf die Barrikaden gingen. Auf die Gesamtbevölkerung bezogen handelt es sich zwar um eine Minderheit, die sich in Bürgerinitiativen (BI) zusammengefunden hat. Doch haben sie mächtige Verbündete in politisch links stehenden Nichtregierungsorganisationen, die sich Umweltschutz und/oder Opposition gegen „profitgierige“ Unternehmen auf die Fahnen geschrieben haben.
Hinzu kommen im Geiste Verbündete in den Redaktionsstuben von Presse, Funk und Fernsehen. Das wird z.B. anhand eines Kommentars von Georg Ehring (Deutschlandfunk) deutlich, der der Politik fehlenden Mut zum Umsteuern vorwirft (Der Mut zum Umsteuern fehlt). Ehring sehnt sich herbei, dass dem „Fracking“ ein Riegel vorgeschoben wird. Schließlich würde das „aus der Logik der Energiewende hin zu Sonnen- und Windenergie folgen“. Doch wie ernst soll man einen Journalisten nehmen, der Hydraulic Fracturing mit dem Auspressen einer Zitrone vergleicht?
Selbstverständlich sah sich auch der ARD/WDR-„Energieexperte“ Jürgen Döschner dazu veranlasst, sich via Twitter zur Aufkündigung des Fracking-Moratorium zu äußern. Er vermutet eine Provokation seitens der Industrie.
Doch wie kann es Provokation sein von der Politik zu verlangen, geltendes Recht in einem Genehmigungsverfahren anzuwenden, nachdem über fast fünf Jahre hinweg ein Quasi-Rechtsbruch geduldet wurde? Darüber sollten sich Döschner und andere Gleichgesinnte Gedanken machen.
Für den Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland bleibt zu hoffen, dass das Fracking-Moratorium zumindest in Niedersachsen tatsächlich beendet wird. Wünschenswert wäre, wenn auch die Erkundung der Schiefergas- und Kohleflözgasvorkommen wieder aufgenommen werden könnte. Denn Erdgas wird Deutschland noch über Jahrzehnte sowohl als Energierohstoff als auch als Grundstoff für die chemische Industrie benötigen, auch wenn das die Sonne und Wind-Fanatiker nicht akzeptieren wollen.
Artikelfoto: Schiefergaserkundungsbohrung „Damme 2“, gebohrt drei Jahre vor dem Fracking-Moratorium, ©sukrams