ZDF-Länderspiegel über Gasförderung bei Rotenburg – Eine Aneinanderreihung von Unwahrheiten
Seit Jahren wird kontrovers über die Erdgasproduktion in Deutschland diskutiert. Mitverantwortlich dafür sind auch verschiedene Medienberichte, die, sagen wir es vorsichtig, nicht durch tiefergehende Recherche gekennzeichnet waren und die sich offenbar Dramatisierung und Skandalisierung aus welchen Gründen auch immer zum Ziel hatten. Am 09.02.2019 widmete sich auch der ZDF-Länderspiegel dem Thema Gasförderung bei Rotenburg und die angeblich damit verbundenen Gefahren für Mensch und Umwelt. Bei genauerer Betrachtung ist dieser Beitrag kaum mehr als eine Aneinanderreihung von Unwahrheiten, um nicht zu sagen, dreister Lügen.
Fehler bereits in Anmoderation
Aufhänger des Beitrags sind wieder einmal statistisch signifikante Erkrankungsraten hinsichtlich Leukämien und Lymphomen bei Männern in der Samtgemeinde Bothel sowie untergeordnet in der Stadt Rotenburg/Wümme, wo seit den frühen 1980er Jahren Erdgas gefördert wird. Konkret treten die Auffälligkeiten beim Multiplen Myelom sowie beim Non-Hodkin-Lymphom ausschließlich bei Männern auf. Das ist seit Jahren bekannt.
Doch was macht der Moderator draus? Er behauptet, dass „so auffällig viele Menschen“ in der Region an Krebs erkrankt seien. Doch wie gesagt: Auffälligkeiten gibt es nur bei Erkrankungen des Blutbilds sowie Lymphsystems und diese nur bei Männern. Waren im Zeitraum 2002 bis 2013 in der Samtgemeinde Bothel 21,3 Fälle zu erwarten gewesen, waren es tatsächlich mit 41 knapp doppelt soviele. Bei Frauen gab es statt erwarteter 16,8 Fälle mit tatsächlich 15 sogar geringfügig weniger Neuerkrankungen. Bei anderen Krebsarten, z.B. Mund und Rachen sowie Leber, war es teilweise sogar nur die Hälfte oder gar weniger der erwarteten Neuerkrankungen (Kurzfassung des EKN Berichtes zur Häufigkeit von Krebsneuerkrankungen in der Samtgemeinde Bothel).
Ferner wird vom Moderator behauptet, dass die Erdgaslagerstätten bei Rotenburg/Wümme die größten Deutschlands seien. Das ist falsch! Die größten Vorkommen befinden sich im Altmarkkreis Salzwedel im Nordwesten von Sachsen-Anhalt. Bis Ende 2017 sind dort ca. 211 Milliarden Kubikmeter (Mrd. m³) gefördert worden. Zuzüglich des niedersächsischen Lagerstättenteils sind es sogar ca. 222 Mrd. m³. Aus der Gasförderung bei Rotenburg konnten hingegen aus dem Lagerstättenkomplex „Rotenburg-Taaken“ sowie der Lagerstätte „Söhlingen/-Ost“ zusammen nur 104,7 Mrd. m³ gewonnen werden. Auch unter Berücksichtigung verbleibender Reserven werden die Rotenburger Lagerstätten deutlich hinter dem Lagerstättenkomplex „Altmark“ zurückbleiben (Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 2017).
Doch nochmal zurück zu den Krebserkrankungen, für die angeblich die Gasförderung bei Rotenburg verantwortlich sein soll. Der Moderator sagt einleitend, dass die niedersächsische Gesundheitsministerin untersuchen lassen will, wie stark die Anwohner belastet seien. Hier schwingt bereits die Unterstellung mit, dass die Bevölkerung belastet ist. Unvoreingenommen müsste tatsächlich die Formulierung gewählt werden, ob die Menschen belastet sind.
Bürger aus Nachbarkreis verunsichert
Der Beitrag beginnt mit Szenen, die sich auf den Protest gegen angedachte Erkundungsarbeiten eventueller Gasvorkommen bei Bremen beziehen. Zu Wort kommt dann auch ein besorgter Bürger und Landwirt. Dieser ist offensichtlich durch verschiedene negative Schlagzeilen aus dem benachbarten Landkreis Rotenburg verunsichert. Bei den „negativen Schlagzeilen“ ginge es, so der ZDF-Bericht darum, die Öl- und Gasförderung in der Region verursache Krebs.
Zunächst einmal gibt es in der Region keine Ölförderung. Es findet lediglich Gasförderung bei Rotenburg statt. Und hier sind wir bereits bei einem wichtigen Knackpunkt: Für Schlagzeilen, egal ob positiv oder negativ, sind Medien bzw. für sie tätige Journalisten verantwortlich. Doch wenn selbst solche Medien wie das ZDF bzw. für diesen öffentlich-rechtlichen Sender tätige Journalisten noch nicht einmal in der Lage oder Willens sind, solche Fakten zu recherchieren, dann braucht man sich nicht über verunsichernde „negative Schlagzeilen“ zu wundern., wenn es bereits an grundlegenden Kenntnissen zum Thema hapert.
Ein alter Bekannter Nicht-Anwohner darf sich äußern
Geht es um Erdgas- und Erdölförderung in Niedersachsen, dann darf seit einigen Jahren eine bestimmte Person in den Berichten des NDR oder sonstiger Medien nicht fehlen. Konkret handelt es sich um Andreas Rathjens aus Groß Meckelsen. Anfangs wurde Rathjens, egal wo er auftauchte, durch den NDR als „Anwohner“ präsentiert, egal ob der Ort des Geschehens nun 15 Kilometer oder mehr von seinem Wohnort entfernt lag. Das brachte ihm in den Kreisen unserer treuen Leserschaft auch die Spottnamen „Der Anwohner“ oder auch „Überall-Anwohner“ ein. Und auch im Länderspiegel-Beitrag ist Rathjens wieder einmal prominent vertreten, und zwar als „Anwohner“.
Angeblich befände sich sein Hof in einer Gas- und Ölförderregion, heißt es. Tatsächlich befindet sich sein Wohnort Groß Meckelsen 15 Kilometer von der nächstgelegenen Erdgasförderbohrung „Mulmshorn Z5“ entfernt. Eine Ölförderung findet in der Region seit 1993 nicht mehr statt und war selbst für deutsche Maßstäbe mit ca. 113.000 Tonnen unbedeutend. Sie stammte aus der kleinen Lagerstätte „Volkensen“, die zwischen 1960 und 1993 in Förderung stand.
Genau genommen ist Rathjens also alles andere als „Anwohner“ der Gasförderung bei Rotenburg. Doch das ficht das ZDF nicht an. Stattdessen wird eine alte Geschichte aufgewärmt. In den frühen 1960er Jahren wurde nahe Groß Meckelsen die Erdgaserkundungsbohrung „Kallmoor Z1“ niedergebracht. Diese war nicht fündig. Der angefallene Bohrschlamm, ein Gemisch aus erbohrtem Gestein sowie eingesetzter Bohrspülung, wurde in zwei mit Beton ausgekleideten Gruben eingeleitet. Dieser Bohrschlamm wurde dann mit einer 50 cm dicken Schicht aus Mutterboden abgedeckt. Seinerzeit eine übliche Verfahrensweise, heutzutage undenkbar.
Aus dieser historischen Bohrschlammgrube machte der NDR im November 2014 einen riesigen Aufriss mit der „negativen Schlagzeile“: „Umweltskandal in Niedersachsen: giftiger Bohrschlamm gefunden“. Und obwohl Untersuchungen kurz zuvor im September 2014 keine Hinweise auf verunreinigten Boden erbrachten, beharrte der NDR mit „Die aufwändigen Bodenuntersuchungen von „Markt“ belegen dagegen, dass der Boden stark kontaminiert ist und Maßnahmen erforderlich sind.“ auf seiner Auffassung. Daraufhin wollte die Kreisverwaltung von Rotenburg Einsicht in die Untersuchungsergebnisse des NDR haben, was seitens des öffentlich-rechtlichen Senders jedoch verweigert wurde. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt (Ungereimtheiten in der Berichterstattung von „Markt“ (NDR) im Zusammenhang mit historischen Bohrschlammgruben).
Dennoch wärmt der ZDF-Länderspiegel diese alte Geschichte, die durch erneute offizielle Untersuchungen 2016 (und nicht geheime Ergebnisse eines öffentlich-rechtlichen Senders) widerlegt wurde, erneut auf.
Mangelnde Distanz zwischen öffentlich-rechtlichen Medien und Bürgerinitiativen
Es zeigt sich somit einmal mehr die mangelnde Distanz zwischen öffentlich-rechtlichen Medien und gegen die Gasförderung bei Rotenburg und sonstwo opponierenden Bürgerinitiativen. Die im Beitrag thematisierte Angst vieler Bürger vor Erdgasgewinnung vor der eigenen Haustür ist u.a. auch dieser mangelnden Distanz zu verdanken. Permanent wurde und wird ein Zusammenhang zwischen der Gasproduktion und den signifikant auffälligen Erkrankungen von Männern an Multiplen Myelom sowie Non-Hodgkin-Lymphom suggeriert.
Mitverantwortlich sind aber auch die Bürgerinitiativen, die einen Zusammenhang zum Teil nicht nur suggerieren, sondern für als gegeben verbreiten. Diese Instrumentalisierung erkrankter Menschen ist skandalös. Daher ist es traurig, dass Medien diesbezüglich eine kritische Distanz vermissen lassen und stattdessen vielmehr gemeinsame Sache mit den Aktivisten machen. Journalistische Prämissen wie „sich nicht mit einer Sache gemein zu machen, auch nicht mit einer (vermeintlich) guten“, sind längst über Bord geworfen worden.
Onkologe hält Zusammenhang zwischen Gasförderung bei Rotenburg und Krebserkrankungen für unwahrscheinlich
In der ZDF-Reportage heißt es, dass die Gasindustrie keinen Zusammenhang zwischen den erhöhten Blutkrebserkrankungen sehe. Doch damit steht der Industriezweig nicht allein. Auch Mediziner wie Professor Rudolf Kaaks vom Deutschen Krebsforschungszentrum halten in Anbetracht dessen, dass ausschließlich Männer betroffen sind, einen Zusammenhang für unwahrscheinlich (WELT-Artikel vom 16.04.2016). Doch solche Personen und Auffassungen werden weitestgehen ignoriert. Stattdessen dürfen sich die immer gleichen Personen zu Wort melden bzw. werden befragt, wie z.B. der Umweltmediziner Dr. Bantz aus Rotenburg, einst auch Betriebsarzt eines in der Region tätigen Gasförderers. Zu ihm später mehr.
Nachdem mit Heinz Oberlach, Sprecher des DEA-Förderbetriebes Niedersachsen, kurz ein Vertreter der Förderindustrie zu Wort kommen darf, schwenkt der Beitrag in die zur Samtgemeinde Bothel gehörende Ortschaft Hemslingen über. Dort gäbe es Öl- und Gasförderanlagen sowie Bohrschlammgruben „zu Hauf“ behauptet der Kommentator.
Tatsächlich gibt es dort keine einzige Anlage zur Förderung von Erdöl, was allein der Tatsache geschuldet ist, dass es dort keine Erdöllagerstätte gibt. Zudem gibt es dort keine Bohrschlammgruben. Laut Kartenservers des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) gibt es zwar zwei Verdachtsflächen. Dabei handelt es sich um Mischdeponien, in denen neben Hausmüll auch Bohrschlamm aus nicht fündigen Bohrungen aus der Zeit vor der Erschließung der heute in Produktion stehenden Lagerstätten eingelagert wurde. Tatsächlich gibt es auf dem Gebiet der Gemarkung acht Erdgasfördersonden.
Weiter wird im Beitrag behauptet, dass im Umfeld dieser teils nicht vorhandenen Anlagen doppelt soviele Krebserkrankungen als erwartet festgestellt worden sind. Das ist schlicht unwahr, da, wie bereits erwähnt, diese Auffälligkeiten nur bei zwei von vielen Krebsarten festgestellt wurden und zudem nur Männer betroffen sind. Doch was interessieren schon ohne Weiteres zu recherchierende Fakten, drängt sich an dieser Stelle als Frage auf.
Darstellungen der Gegner widersprechen offiziellen Daten
Die durch die Gegner der Gasförderung bei Rotenburg behaupteten Belastungen widersprechen eklatant offiziellen professionellen Untersuchungen.
So behauptet der Umweltmediziner Dr. Bantz, dass in der Förderregion überall Benzol nachgewiesen wurde. Damit hat er insofern nicht unrecht, da sich Benzol quasi überall nachweisen lässt. Interessant wäre nur, ob es gegenüber anderen Regionen, in denen kein Erdgas gefördert wird, Auffälligkeiten gibt.
Das haben Langzeitstudien 2012 sowie 2016 im Erdgasfeld „Söhlingen“, in dem sich die Samtgemeinde Bothel befindet, verneint. Und entgegen der Behauptung von Dr. Bantz „Die haben gemessen, ohne dass gefackelt wurde. Messungen von reiner Heideluft sind natürlich ideal für Exxon.“ wurde innerhalb der Messkampagne 2016 tatsächlich auch während der Abfackelung von Erdgas im Zuge von Wartungs-/Optimierungsarbeiten gemessen. Das geht eindeutig aus dem Bericht hervor (Immissionsmessungen im Landkreis Rotenburg (Wümme): Untersuchungsergebnisse (2016)).
Im weiteren Verlauf behauptet der Ländermagazin-Beitrag, dass am Förderplatz „Söhlingen Z5“ „erhebliche und unzulässige“ Werte von Quecksilber, Zink und Cadmium nachgewiesen worden wären. Das hätten nicht näher dargestellte Untersuchungen von Herrn Rathjens ergeben. Als Folge müsste der Boden aufwändig saniert werden.Informationen zu dieser angeblichen Boden-„Verseuchung“ lassen sich nirgends finden. Dabei wären doch die Bürgerinitiativen, der Regionalsender NDR sowie die lokalen Presseorgane die ersten, die darüber berichtet hätten. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier bewusst die Zuschauer getäuscht werden.
Dazu stellt sich zum einen die Frage, warum intensive professionelle Untersuchungen am Standort im April 2014 zu einem gegenteiligen Ergebnis kamen (Orientierende Bodenuntersuchungen im Umfeld der Erdgasförderplätze SöhlingenZ5 und Ost Z1). Zum anderen ergibt sich die Frage, über welche Qualifikation der Groß Meckelsener Rathjens verfügt, ordnungsgemäß Bodenproben zu entnehmen und analysieren zu lassen. Diese offensichtlichen Fragen hat sich der für den Länderspiegel-Beitrag verantwortliche Reporter offenbar nicht gestellt.
Insgesamt reiht sich der Beitrag ein in eine seit 2011 fortgesetzte unregelmäßige Serie über Gasförderung bei Rotenburg und auch an anderen Standorten, die vor allem durch substanzlose Behauptungen charakterisiert ist. Erschreckend ist im konkreten Fall, dass entgegen leicht recherchierbarer Fakten zum Teil gelogen wird, dass sich die Balken biegen. Hauptptoblem neben der (bewussten?) Verunsicherung von Mitbürgern ist, dass man für solchen aus den Fingern gesogenen Journalismusquark auch noch bezahlen muss.
Artikelfoto: Erdgasförderbohrung „Preyersmühle-Süd Z1“ im April 2017. Foto: Steven Arndt