Entgegen Behauptungen in deutschen Medien: Fracking nicht verantwortlich für dramatischen Anstieg von Erdbeben in Oklahoma
Nachdem es in den letzten Wochen hinsichtlich der seit fast fünf Jahren andauernden „Fracking“-Debatte relativ ruhig war, flammt die Diskussion gegenwärtig wieder auf. Im Mittelpunkt steht inzwischen nicht mehr das vermeintlich hohe Risiko der Grundwasserkontamination. Dieser Drops scheint aufgrund des Mangels belastbarer Nachweise gelutscht. Stattdessen steht die angebliche Erdbebengefährdung durch das Verfahren im Fokus, speziell der signifikante Anstieg von Erdbeben in Oklahoma
Dieses Themas nahmen sich in der aktuellen Woche verschiedene Medien an und berichteten darüber. Leider nicht faktenbasiert, wie es schon häufig zu beobachten war, wenn es um das seit Jahrzehnten weltweit millionenfach angewendete Verfahren des Hydraulic Fracturing, also der künstlichen Risserzeugung in Festgestein durch Druckübertragung mittels einer Flüssigkeit, geht.
Zum Beispiel titelte „Deutschlandradio Wissen“ bezüglich des Erdbebenrisikos:
US-Seismologen sehen Fracking als Grund für hunderte Erdbeben
Um diese Aussage zu belegen, sind im Text zwei Verlinkungen gesetzt worden, die beim Anklicken jedoch nicht zu belastbaren Quellen führen. Stattdessen erscheint eine allgemeine Karte des United States Geological Survey (USGS) zu Erdbebenereignissen in den Vereinigten Staaten sowie die Startseite des USGS.
Im Artikel wird geschrieben, dass über Jahrzehnte hinweg im Durchschnitt zwei Beben pro Jahr registriert worden sind. Weiter heißt es:
Seitdem dort Fracking praktiziert wird, sind es aber erheblich mehr: Letztes Jahr waren es 585, dieses Jahr sind es schon mehr als 600.
Hydraulic Fracturing wird in Oklahoma im Zusammenhang mit der Erdöl- und Erdgasgewinnung bereits seit 1949, also seit mehr als sechseinhalb Jahrzehnten, praktiziert. Während die ersten Fracjobs (Erstanwendung 1947 im Hugoton-Gasfeld in Kansas, Quelle: Kansas Geological Survey, Public Information Circular (PIC) 32) noch nicht zum erhofften Erfolg führten, gelang 1949 in Oklahoma der kommerzielle Durchbruch. Ein Anstieg der Seismizität in Oklahoma ist aber erst 60 Jahre später zu verzeichnen (Diagramm des USGS). Somit ist die Behauptung des Deutschlandradio-Artikels schlichtweg falsch!
Ebenso falsch ist die Beschreibung des Hydraulic Fracturing in dem kurzen Artikel:
Beim Fracking wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien mit großem Druck in die Erde gepresst, um so Erdgas und Öl aus unterirdischen Gesteinsschichten zu pressen.
Wie bereits oben dargelegt, wird bei dem Verfahren mittels einer Flüssigkeit Druck übertragen (Hydraulik). Durch die Druckübertragung werden im Festgestein Risse (englisch „Fractures“) erzeugt. Der Begriff Hydraulic Fracturing trägt die Definition des Verfahrens somit in sich. Es werden dabei weder Erdgas noch Erdöl (durch Verdrängung) aus dem Gestein gepresst. Stattdessen verhält es sich so, dass durch die erzeugten Risse öl- bzw. gasführende Gesteinsporen oder Klüfte miteinander verbunden werden, wodurch der Zustrom dieser Lagerstättenmedien zum Bohrloch optimiert oder gar erst ermöglicht wird.
Bei dem kurzen Beitrag handelt es sich somit um pure Desinformation. Das ist für einen öffentlich-rechtlichen Sender sehr peinlich, zumal der Beitrag in der Rubrik „Wissen“ erschienen ist. Doch leider ist die Verbreitung von Desinformation bezüglich dieses Themas kein Einzellfall. Denn bei der Zeitung „Die Welt“ bzw. deren Online-Portal erschien ebenfalls ein Artikel, der in eine ähnliche Kerbe schlägt. Die Schlagzeile „Dramatischer Anstieg von Erdbeben durch Fracking“ widerspricht allerdings dem Inhalt des Beitrages, der nicht ganz so weit entfernt von der Realität ist wie der zuvor diskutierte des Deutschlandradios.
Denn immerhin wird dort erwähnt, dass nicht der Prozess des Hydraulic Fracturing verantwortlich für den Anstieg der Seismizität ist, sondern die Versenkung von Abwässern. Nicht korrekt ist jedoch, dass diese als „Fracking-Abwässer“ bezeichnet werden. Ebensowenig korrekt ist somit die Behauptung, dass Seismologen „die Einspeisung von Fracking-Abwässern in mehrere Hundert Meter tiefe Bohrlöcher.“ als Ursache ausgemacht hätten. Dementsprechend handelt es sich um eine dreiste Unterstellung, dass Oklahomas Gouverneurin Mary Fallin versuchte, den Zusammenhang zwischen „Fracking“ und den Erdbeben in Oklahoma zu leugnen.
Der tatsächliche Hintergrund der Bebenaktivität wurde bereits im August bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) ausführlich beschrieben. Bereits in der Einleitung des Artikels „Erdbeben durch Fracking? Abwasser lässt die Erde zittern“ wird klargestellt, dass das Fracverfahren nicht die Ursache für die verstärkte Bebenaktivität ist:
Die umstrittene Öl- und Gasgewinnung durch Fracking ist nicht der Grund für die vermehrten Beben in Texas und Oklahoma, sondern die Einspeisung von Abwasser in tiefe Brunnen.
Dass es sich dabei im Wesentlichen nicht um Abwasser des Fracprozesses, den sogenannten Backflow oder Flowback handelt, wird bereits im ersten Abschnitt des Beitrages erläutert und im weiteren Verlauf präzisiert. Lediglich 5 % beträgt der Anteil des Backflows am über Bohrungen (englisch wells, im FAZ-Artikel fälschlicherweise mit „Brunnen“ übersetzt) in tiefe Erdschichten eingebrachten Abwassers aus der Erdöl- und Erdgasgewinnung. Somit besteht also nicht einmal ein indirekter Zusammenhang zwischen Hydraulic Fracturing und der verstärkten Seismizität.
Zusätzlich wird im Artikel beschrieben, dass nur im Umfeld weniger Versenkbohrungen (auch Disposalbohrungen genannt) verstärkte Seismizität zu registrieren ist. Diese Bohrungen reichen bis in das kristalline Grundgebirge. Dort befinden sich alte Verwerfungen, die durch die aufgrund der Fluidinjektion veränderten Druckverhältnisse reaktiviert werden. Diese Reaktivierung kann dann zu Erdbeben führen.
Im Gegensatz zu den Beiträgen beim Deutschlandradio und der Welt hat der Autor des FAZ-Artikels, Horst Rademacher anscheinend tiefgründiger recherchiert und die in wissenschaftlichen Schriften dargelegten Sachverhalte und Zusammenhänge verstanden. Denn das, was Rademacher zu den Erdbeben in Oklahoma schreibt, wird u.a. durch einen Beitrag auf der Shale Gas Information Platform (SHIP) des renommierten Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ) gestützt. Dort sind die Fakten folgendermaßen kurz zusammengefasst:
Hydraulic Fracturing spielt beim starken Zuwachs der induzierten Seismizität in den USA keine große Rolle weil (1) Hydraulic Fracturing in aller Regel keine fühlbaren Erdbeben auslöst, (2) in Oklahoma, wo der Anstieg der induzierten Seismizität am größten ist, Abwässer von Hydraulic Fracturing nur einen geringen Anteil vom insgesamt entsorgten Abwasser ausmachen und (3) weil die Ölproduktion in vielen Ölfeldern, die sehr viel Abwasser produzierten, ohne Hydraulic Fracturing durchgeführt wurde.
Zusätzlich sind einige Kernaussagen in einem Dokument des US-amerikanischen Erdöl-Erdgasverbandes „Energy in Depth“ zusammengestellt worden. Eine dieser Kernaussagen lautet wie folgt:
Independent research by top institutions (Stanford University, the University of Oklahoma, and the Oklahoma Geological Survey) has not revealed any significant correlation between earthquakes and hydraulic fracturing (fracking).
Für die „Fracking“-Gegner sind es unbequeme Fakten, dass Hydraulic Fracturing hinsichtlich der Induzierung von Erdbeben ein vernachlässigbares Risiko darstellt und das selbst die Injektion von Abwässern der Erdöl- und Erdgasförderung nicht generell, sondern nur unter gewissen geologischen Voraussetzungen, Beben hervorrufen kann. Diese Fakten werden von den Gegnern jedoch ausgeblendet und die verschwindend geringen Risiken maßlos überzeichnet. Leider wird diese Agitation durch solch inakkurate Beiträge und Artikel wie beim Deutschlandradio oder der Welt unterstützt. Ob das bewusst geschieht oder nicht, sei dahingestellt.
Im übrigen weisen sämtliche Bohrungen in Deutschland, die der Injektion von (Ab-)Wässern aus der Erdöl- und Erdgasgewinnung dienen, keine Seismizität auf. Zur Situation in Deutschland wird in Kürze ein eigener Artikel erscheinen. Der für diesen Blog eher ungewöhnliche Blick über die Staatsgrenzen hinaus erfolgte aus dem Grund, dass die deutsche Medienlandschaft nach der politischen Sommerpause dadurch unangenehm auffiel, „Fracking“ wieder einmal möglichst ins schlechte Licht zu rücken. Das geschah, wie die dargestellten Beispiele belegen, nicht anhand von Fakten, sondern aufgrund des Nichtverstehens technischer und naturwissenschaftlicher Sachverhalte.
Artikelfoto: Lagerstättenwasserversenkbohrung bei Mahlsdorf in der Altmark, ©chef79