Erdgas

Historischer Abriss

Von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt, ist Deutschland seit ungefähr 100 Jahren Förderland für Erdgas. Dabei war der Beginn des deutschen Erdgaszeitalters äußerst spektakulär.

Im Jahre 1910 wurden bei Bergedorf in der Nähe von Hamburg Bohrarbeiten zur Erkundung von Trinkwasservorkommen durchgeführt. Nach dem Durchteufen einer ca. 100 Meter mächtigen Tonschicht war in 247 Metern Tiefe ein „Gurgeln, Stöhnen und Brausen“1)Ein Knall vor 100 Jahren löste das Industriezeitalter in den Vierlanden aus  zu vernehmen. Beim vorsichtigen Weiterbohren kam es dann zum Gasausbruch. Das ausströmende Gas entzündete sich durch Funkenflug aus einer Lokomobile und bildete ein imposantes Flammenkreuz, dass zahlreiche Ausflügler anlockte. Nach dem Bau einer 15,3 km lange Leitung konnte ab 1913  dann das Erdgas wirtschaftlich verwertet werden. Bis 1930 konnten ca. 250 Mio. Kubikmeter gefördert werden.2)Ein Knall vor 100 Jahren löste das Industriezeitalter in den Vierlanden aus In den 1930er Jahren folgte dann die Entdeckung der Zechstein-Lagerstätten „Mühlhausen“ (1932) und „Langensalza“ (1935) im Thüringer Becken.3)Hoth, K. et al. (1993): Die tiefen Bohrungen im Zentralabschnitt der Mitteleuropäischen Senke – Dokumentation für den Zeitabschnitt 1962-1990, Verlag der Gesellschaft für Geowissenschaften e. V. (i. G.), Berlin 1993 Bei der Erdölsuche auf dem Bentheimer Sattel stieß die Bohrung „Norddeutschland 1“ überraschend bei 1557 Metern Teufe im Plattendolomit des Zechsteins auf Erdgas. Es kam zu einer Eruption, die zunächst nicht gebändigt werden konnte. Nach dem Aufbau der notwendigen Infrastruktur begann 1944 die Förderung des Erdgases.4)GESCHICHTE DER ERDÖLGEWINNUNG IN EMLICHHEIM., Wintershall Holding GmbH Anfang der 1950er Jahre geriet auch das Alpenvorland in den Fokus der Kohlenwasserstoffexploration. So stieß 1954 die Deutsche Vacuum Oil Company im bayrischen Isen auf Erdgas. Das Gas wurde über eine 55 Kilometer lange Leitung an die Stadtwerke München geliefert.5)Klag, N.D. (2003): Die Liberalisierung des Gasmarktes in Deutschland, Tectum Verlag Marburg 2003 Ebenfalls Anfang der 1950er Jahre werden in Norddeutschland weitere Erdgaslagerstätten gefunden, wie z.B. „Itterbeck-Halle“ (1951) im Distrikt „Westlich der Ems“, „Rehden“ (1952) im Distrikt „Weser-Ems“ oder „Thönse“ (1952) im Distrikt „Elbe-Weser“.6)Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (2012): Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 2011, Hannover 2012 Übrigens stehen alle diese Lagerstätten auch heute noch in Förderung, wobei der Zechsteinbereich von „Rehden“ seit 1993 als größter natürlicher Speicher für Erdgas in Westeuropa dient.7)Erdgasspeicher Rehden. Natürlicher Raum – intelligent genutzt., WINGAS GmbH & Co. KG, Kassel  Diese Funde führten zunächst nur zu einem geringen Anstieg der Erdgasförderung, wie Anlage 06 des aktuellen Erdöl-Erdgas-Jahresberichtes des LBEG zeigt.

Sauergasproduktion im Landkreis Diepholz bei Sulingen.

Sauergasproduktion im Landkreis Diepholz bei Sulingen.

Ende der 1950er sowie Anfang der 1960er Jahre wurden zwischen Nienburg und Diepholz weitere Lagerstätten, vor allem im Staßfurtkarbonat des Zechsteins entdeckt, wie z.B. „Deblinghausen“ (1958), „Barenburg/Buchhorst“ (1959) oder „Siedenburg“ (1963).8)Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (2012): Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 2011, Hannover 2012 Das Problem an diesen Lagerstätten war das Vorhandensein des korrosiven und vor allem hochtoxischen Schwefelwasserstoffes (H2S) in unterschiedlichen Anteilen. Der maximale Anteil liegt bei 35 Prozent.9)ExxonMobil Production (2009): Die Aufbereitung von Erdgas-Energie, die sich gewaschen hat. Hannover, 2009 Weitere Lagerstätten mit hohen H2S-Anteilen wurden in den späten 1960er Jahren südlich von Oldenburg gefunden („Sagermeer“ 1968).10)Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (2012): Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 2011, Hannover 2012 Um diese H2S-haltigen Erdgase, sogenanntes Sauergas (bei über 1 Vol.% H2S, darunter ist es „schwach-saures Gas“), nutzen zu können, muss es in Aufbereitungsanlagen gewaschen werden. Derzeit sind zwei Aufbereitungsanlagen in Großenkneten sowie in Voigtei im Einsatz, wo der Schwefelwassertoff in Claus-Anlagen aus dem Erdgas entfernt und in elementaren Schwefel umgewandelt wird.11)ExxonMobil Production (2009): Die Aufbereitung von Erdgas-Energie, die sich gewaschen hat. Hannover, 2009 Neben den Zechsteinlagerstätten wurden auch Lagerstätten im Oberkarbon und im Buntsandstein entdeckt, die erstere z.T. unter- bzw. überlagerten (siehe dazu den NIBIS-Kartenserver des LBEG unter „Rohstoffe/Erdöl-Erdgaslagerstätten“). Dabei ist die Buntsandsteinlagerstätte „Hengstlage“ (entdeckt 1963) die bis heute zweitgrößte Erdgaslagerstätte Deutschlands mit einer kumulativen Förderung von ca. 63,5 Mrd. m³.12)Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (2012): Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 2011, Hannover 2012 Mit der Entdeckung der Rotliegend-Lagerstätte „Groningen“ in den Niederlanden 1959, dem mit Abstand größten Erdgasfeld in Westeuropa, wurde Mitte/Ende der 1960er Jahre auch in Deutschland das Unterperm auf Erdgas exploriert. Bereits 1966 wurde die Lagerstätte „Wustrow“ entdeckt.

Erdgasförderbohrung Püggen 113 in der Altmark, im Hintergrund EEW-Bohranlage T-47 auf der Bohrung Püggen 1 ©chef79

Erdgasförderbohrung Püggen 113 in der Altmark, im Hintergrund EEW-Bohranlage T-47 auf der Bohrung Püggen 1 ©chef79

Nur 2 Jahre später erfolgt in der benachbarten Altmark mit der Bohrung „Peckensen 4″der Aufschluss der Lagerstätte „Salzwedel-Peckensen“. Weitere Teillagerstätten folgten und stellen nach „Groningen“ das zweitgrößte Erdgasvorkommen Westeuropas dar.13)Hoth, K. et al. (1993): Die tiefen Bohrungen im Zentralabschnitt der Mitteleuropäischen Senke – Dokumentation für den Zeitabschnitt 1962-1990, Verlag der Gesellschaft für Geowissenschaften e. V. (i. G.), Berlin 1993 Kennzeichnend für die Lagerstätten „Altmark“ und „Wustrow“, die genaugenommen geologisch zusammengehören, sind die geringen Methangehalte von 5 % bis 40%.14)REGIONALE GEOLOGIE VON OSTDEUTSCHLAND (Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern), Wörterbuch regionalgeologischer Begriffe; (www.regionalgeologie-ost.de), Stand: 01.04.2012 Diese Erfolge im Rotliegenden führten zu einer fortgesetzten Exploration im Distrikt „Elbe-Weser“ mit zahlreichen Lagerstättenaufschlüssen, so dass sich dieser Distrikt zum Zweitwichtigsten (ohne Altmark) nach „Weser-Ems“ entwickelte, was anhand der kumulativen Förderung, die dem LBEG-Jahresbericht „Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 2011“ entnommen werden kann, zu erkennen ist.15)Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (2012): Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 2011, Hannover 2012 Zahlreiche Lagerstätten im Distrikt „Elbe-Weser“ sind durch ihre vergleichsweise geringe Durchlässigkeit (Permeabilität) gekennzeichnet. Um wirtschaftliche Förderraten erzielen zu können, wurden hier zahlreiche Bohrungen einer hydraulischen Fracbehandlung („Fracking“) unterzogen, um eine rentable Förderung zu ermöglichen.16)Von Bismarck, R. & Behmann, H. (1985) Katalog zur Ausstellung “Rohstoffe unserer Zeit”, Wanderndes Museum der Universität Kiel Hierbei wurde auch ein Weltrekord erzielt. Im Jahr 1995 wurde in der ca. 5000 Meter tiefen und horizontal abgelenkten Bohrung „Söhlingen Z10“ eine mehrfache Fracbehandlung (mehrere Fracs hintereinander) durchgeführt. Damit war diese Bohrung weltweit die erste, in der in einer solchen Tiefe ein Multi-Stage-Fracturing erfolgreich durchgeführt wurde. Die Bohrung fördert heute noch.17)Ein Weltrekord wird volljährig – Multi-Frac-Projekt Söhlingen Z 10 produziert bis heute Erdgas

Fracarbeiten auf der Tightgasbohrung "Söhlingen Z15" Quelle: WEG Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V.

Fracarbeiten auf der Tightgasbohrung „Söhlingen Z15“
Quelle: WEG Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V.

Einige Jahre später wurde im Bereich der gleichen Lagerstätte ein innovatives Projekt („Söhlingen Z15“) mit dem Preis „Land der Ideen“ ausgezeichnet.18)Fracs von der Rolle erhöhen die Arbeitssicherheit19)Das Erdgas aus dem Stein holen Schließlich kulminierte infolge der Erschließung immer neuer Lagerstätten die Erdgasförderung in Deutschland um die Jahrtausendwende. Es wurden bis zu 23 Mrd. Kubikmeter Erdgas/Jahr gefördert.20)Niedersächsisches Landesamt für Bodenforschung (2000): Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 1999, Hannover 2000 Seitdem ist die Förderung rückläufig. Um diesen Trend entgegenzuwirken bzw. ihn zu verlangsamen, wurde dann ab 2008 damit begonnen, neue Lagerstättentypen zu erkunden. Dazu zählen Tongesteine, die sehr gehaltvoll an organischer Substanz und eventuell auch an Erdgas sind sowie auch Erdgas in Kohleflözen.21)Erkundung und Förderung Anfangs wurden die neuen potenziellen Vorkommen medial bejubelt. Nachweise dafür sind knapp 3 Jahre danach kaum noch online auszumachen. Stattdessen begann mit Erscheinen des Films „Gasland“, der vorgab, die angeblichen Folgen der Schiefergasgewinnung mittels Hydraulic Fracturings („Fracking“) darzustellen, sich eine gewisse Hysterie gegenüber des Fracverfarens breitzumachen. Letzten Endes führte das dazu, dass das Agieren einiger Bürginitiativen mit Unterstützung zahlreicher, auch öffentlich-rechtlicher Medien, dass die Erkundung neuer Ressourcen zum Erliegen gebracht wurde. Aber nicht nur das: Selbst das seit zuvor seit 50 Jahren erfolgreich mehrere 100 Mal durchgeführte Hydraulic Fracturing in konventionellen Lagerstätten wurde seit 2011 nicht mehr genehmigt. Entsprechend sinken die Förderraten rapider als erwartet und neue Projekte wurden aufgrund mangelnder Planungssicherheit verworfen (vertrauliche Infos von Insidern). Aktuell (Oktober 2013) stellt sich somit die Frage: Quo vadis, inländische Erdgasförderung?

Wird sukzessive fortgesetzt!

Quellenverzeichnis

Quellenverzeichnis
1, 2Ein Knall vor 100 Jahren löste das Industriezeitalter in den Vierlanden aus
3, 13Hoth, K. et al. (1993): Die tiefen Bohrungen im Zentralabschnitt der Mitteleuropäischen Senke – Dokumentation für den Zeitabschnitt 1962-1990, Verlag der Gesellschaft für Geowissenschaften e. V. (i. G.), Berlin 1993
4GESCHICHTE DER ERDÖLGEWINNUNG IN EMLICHHEIM., Wintershall Holding GmbH
5Klag, N.D. (2003): Die Liberalisierung des Gasmarktes in Deutschland, Tectum Verlag Marburg 2003
6, 8, 10, 12, 15Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (2012): Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 2011, Hannover 2012
7Erdgasspeicher Rehden. Natürlicher Raum – intelligent genutzt., WINGAS GmbH & Co. KG, Kassel
9, 11ExxonMobil Production (2009): Die Aufbereitung von Erdgas-Energie, die sich gewaschen hat. Hannover, 2009
14REGIONALE GEOLOGIE VON OSTDEUTSCHLAND (Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern), Wörterbuch regionalgeologischer Begriffe; (www.regionalgeologie-ost.de), Stand: 01.04.2012
16Von Bismarck, R. & Behmann, H. (1985) Katalog zur Ausstellung “Rohstoffe unserer Zeit”, Wanderndes Museum der Universität Kiel
17Ein Weltrekord wird volljährig – Multi-Frac-Projekt Söhlingen Z 10 produziert bis heute Erdgas
18Fracs von der Rolle erhöhen die Arbeitssicherheit
19Das Erdgas aus dem Stein holen
20Niedersächsisches Landesamt für Bodenforschung (2000): Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 1999, Hannover 2000
21Erkundung und Förderung