Erhöhte Krebsfälle in Bothel – Werden Opfer politisch instrumentalisiert?

Vor einigen Monaten traten Bewohner der Ortschaften Hemslingen und Söhlingen mit der Vermutung an die Öffentlichkeit, dass es in ihrem privaten Umfeld (Familie, Freunde und Bekannte) vermehrt zu Krebsfällen käme. Ein Verdächtiger war schnell ausgemacht, nämlich die Förderung von Erdgas im Umkreis der Ortschaften. Schließlich wird mit dem Erdgas auch Benzol mitgefördert, dass als krebserregend bekannt ist.

Eigentlich kann man sogar von einer Anschuldigung gegenüber der Erdgasgewinnung sprechen, da Vertreter der dortigen „Bürgerinitiative für Gesundheit“ (BfG) von Anbeginn die Erdgasgewinnung in den Fokus nahmen (siehe Artikel in der Kreiszeitung). Aufgrund des schwerwiegenden Verdachts wurde eine Untersuchung durchgeführt. Dazu später mehr.

Zunächst zu den Verdächtigungen: Auf der Seite einer Bürgerinitiative (BI) aus Intschede, die gegen eine Erdgaserkundungsbohrung (!) opponiert, ist folgendes zu lesen:

Demonstration gegen Fracking in Bötersen am 22.02.2014! Ansprache von Silke Döbel, eine Einwohnerin aus Söhlingen. In Söhlingen wird das Frackingverfahren seit Jahren betrieben. 2010 kam es bei einen der Förderanlagen zu einem Zwischenfall, der für eine Kontamination mit Quecksilber und Benzol sorgte. Seit diesem Vorfall kam es in ihrem Umfeld vermehrt zu Krebserkrankungen bei Freunden, Bekannten und Nachbarn. Der Verdacht liegt nahe, das dieser Zwischenfall die Hauptursache für diese schlimme Entwicklung ist.

Dazu einige Anmerkung:

  • Frau Döbel ist die Gründerin der BfG.
  • In der Lagerstätte Söhlingen sind zahlreiche Fracmaßnahmen durchgeführt worden. Die letzte im Januar 2008. Somit müsste es korrekterweise heißen: Seit mehreren Jahren wird das „Frackingverfahren“ nicht mehr angewendet.
  • Es kam nicht an einer Förderanlage zum Austritt der genannten Schadstoffe, sondern unterirdisch an einer Leitung auf ca. 250 m Länge und wenige Meter Breite, die Lagerstättenwasser (LaWa) transportiert. Der Vorfall wurde bereits 2007 durch den Betreiber ExxonMobil festgestellt. 2010 wurde die Sanierung des Schadens, der mit der aufkeimenden „Fracking“-Hysterie vom NDR zum „Umweltskandal“ aufgebauscht wurde, abgeschlossen.
  • Der Rest der Behauptungen ist reine Spekulation und frei erfunden! Es gab zu dem Zeitpunkt keinerlei Untersuchungen, die die Aussagen stützen.

Am 11.09.2014 wurden schließlich die Ergebnisse der Untersuchung der Öffentlichkeit bekannt gegeben. Sie sind in einer Kurzfassung nachzulesen.

Der Beobachtungszeitraum erstreckte sich über 10 Jahre von 2003 bis 2013. Dabei konnte ein zeitlicher Trend nicht dokumentiert werden, was bestätigt, dass die o.g. Behauptung der BI Intschede, es sei seit 2010 verstärkt zu Krebserkrankungen gekommen sei, eine freie Erfindung ist.

Es wurde außerdem festgestellt, dass lediglich bei Leukämien und Lymphomen signifikante Erhöhungen, die mit 41 Fällen knapp doppelt so hoch lagen wie die erwarteten 21,3 Neuerkrankungen, auftraten. Das gilt allerdings nur für Männer! Die Neuerkrankungen bei Frauen lagen mit 15 sogar leicht unter den erwarteten 16,8 Fällen.

Hier ergibt sich folgende interessante Frage: Warum zeigen sich die erwähnten Krankheitsbilder in erhöhtem Ausmass nur bei Männern, dagegen nicht bei Frauen, wenn die Ursache die Erdgasgewinnung sein soll? Schließlich dürfte sie in kaum unterschiedlichen Maße auf beide Geschlechter Einfluss haben. Außerdem konnte keine lokale Häufung festgestellt werden. Das ist ebenfalls ein nicht unwichtiger Aspekt. Schließlich sind die Förderstätten unregelmäßig über das Gemeindegebiet verteilt. Und damit ergibt sich die nächste Frage, warum offenbar kein Zusammenhang zwischen der Verteilung der Förderstätten und den Krankheitsfällen besteht.

Dementsprechend ist eine der Folgerungen der Untersuchung:

Aussagen zur Ursache von lokalen Krebshäufungen sind mit Analysen, die sich ausschließlich auf Krebsregister – Routinedaten beziehen, nicht möglich.

 Doch schenkt man der BI-freundlichen „Kreiszeitung“, Lokalausgabe Rotenburg, Glauben, dann versucht der Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel (CDU), die Krebsfälle und somit die Opfer für seine Ablehnung gegen das „Fracking“ und gegen das Versenken von LaWa politisch zu instrumentalisieren.

So ist in einem „Kreiszeitung“-Artikel zu lesen:

Der Vorsitzende des Naturschutzbundes in Niedersachsen, Holger Buschmann, und der CDU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel sprachen sich in Presseerklärungen angesichts der neuen Datenlage für ein Verbot von „Fracking, egal ob mit oder ohne Chemikalien“ sowie „für ein generelles Verbot der Verpressung von giftigem Lagerstättenwasser“ aus.

Die Technologien seien schlichtweg zu wenig erforscht, die Folgeschäden nicht absehbar. Grindel: „Eine Verpressung wie in Wittorf ist völlig unverantwortlich. Das müssen wir gesetzlich verbieten.“

Erdgasfördersonde Söhlingen-Ost Z4 chef79

Erdgasfördersonde Söhlingen-Ost Z4 ©chef79

Sollte das, was die „Kreiszeitung“ schreibt, stimmen, dann sollten NABU und vor allem Grindel bitte erklären, was das Fracverfahren, dass seit 2008 nicht mehr in der Lagerstätte „Söhlingen“ angewendet wurde sowie die Versenkung von LaWa mit den Krebsfällen zu tun haben sollen.

Schließlich finden beide Verfahren im tieferen Untergrund und somit kilometerweit außerhalb der Biosphäre statt. Weder bei der Anwendung des Fracverfahrens noch beim Versenken von LaWa ist es zu Vorfällen gekommen, die nachgewiesenermaßen negativen Einfluss auf die Umwelt hatten.

Beim Transport von LaWa hat es im unmittelbaren Umfeld von Leitungssystemen Kontaminationen mit karzinogenem Benzol gegeben, also unter der Erdoberfläche. Somit ist davon auszugehen, dass diese Vorkommnisse nicht verantwortlich für Krebserkrankungen sein können.

Außerdem konnten im Zuge einer Langzeitluftmessung von Februar bis Juli 2012 im Umfeld der Sammel- und Aufbereitungsstation „Söhlingen“ keine auffälligen Benzolwerte festgestellt werden. Insgesamt waren vier Stationen installiert, davon drei realtiv nah der Station.

Die BI stellen die Luftmessungen in Frage bzw. halten sie für nicht aussagekräftig. Das begründen sie damit, dass die Stationen nicht im Windschatten der Station „Söhlingen“ in Bezug auf die Hauptwindrichtung „West“ lägen. Das ist nicht zutreffend. Schließlich befindet sich mit dem Messpunkt 2 einer der vier Punkte östlich der Station (siehe Karte in der Zusammenfassung beim LBEG). Außerdem weht der Wind nicht permanent aus West.

Insbesondere in den Wintermonaten weht der Wind häufig aus östlichen bis südöstlichen Richtungen (siehe dazu Windstatistiken in Visselhövede in unmittelbarer Nachbarschaft der Lagerstätte „Söhlingen“). Dementsprechend ist der Messpunkt 1 im Nordwesten der Station installiert gewesen. Der Messpunkt 4 befindet sich im Südwesten der Station und ist dafür geeignet, etwaige Schadstoffemissionen bei v.a. im Frühjahr vorkommenden Nordostwinden zu registrieren. Lediglich der Messpunkt 3 befindet sich relativ weit entfernt von der Station. Außerdem befindet er sich südlich von dieser und somit im Einflussbereich seltener Nordwinde.

Hätte es im Zeitraum der Messungen auffällige Benzolkonzentrationen in der Luft gegeben, dann wäre das durch die Anordnung der Messinstrumente festgestellt worden. Die Langzeitmessung ergab jedoch, „dass es zu keinen erhöhten BTEX- und Quecksilber-Immissionen an den Messorten gekommen ist.“ 

Es ist bedauerlich, dass Politiker wie Reinhard Grindel solche von Landesbehörden durchgeführte Messergebnisse ignorieren und sich stattdessen auf Vermutungen und Unterstellungen von BI sowie falsch interpretierten Messwerten von Umweltverbänden verlassen.

Was dem Ganzen jedoch die Krone aufsetzt, ist, dass Grindel möglicherweise die Krebsfälle und somit die Opfer dazu benutzt, um sie für (s)eine politische Agenda gegen die Anwendung des Hydraulic Fracturing und die Versenkung von LaWa zu instrumentalisieren. Das wäre der Fall, wenn der letzte Abschnitt des genannten „Kreiszeitung“-Artikels inhaltlich zutrifft.

Zurückzuweisen ist in diesem Zusammenhang übrigens die dort getroffene Aussage Grindels, dass die Technologie des „Frackings“ nicht hinreichend erforscht sei. Schließlich war er im Jahr 2006 auf einer Veranstaltung auf der Station „Söhlingen“ anwesend. Dort wurde ihm bereits die Bedeutung des schon damals gängigen Fracverfahrens erklärt.

Das geht aus einem seinerzeitigen Artikel der „Rotenburger Rundschau“ hevor („In der Region gut akzepriert“, 20.09.2006). Vor diesem Hintergrund so zu tun, als wäre ihm das Verfahren neu und somit nicht hinreichend erforscht, ist einfach nur peinlich und die eventuelle angesprochene Instrumentalisierung wäre pervers!

6 Kommentare zu Erhöhte Krebsfälle in Bothel – Werden Opfer politisch instrumentalisiert?

  • Dirk Weißenborn sagt:

    Selbstverständlich werden die bedauernswerten Krebskranken von dieser Bürgerinitiative instrumentalisiert. Diese „Gutmenschen“ gehen nach einer klar nachvollziehbaren Strategie in der politischen Auseinandersetzung vor:

    Verbreitung von Angst und Schuldgefühlen.

    Angsterzeugung ist eines der ältesten politischen Mittel. Die dortigen Drahtzieher machen ihren Job im Sinne ihrer eigenen Zielsetzungen insofern sehr gut.

    Zwischen chemischer Einwirkung auf einen menschlichen Organismus und der Manifestation von Krebs können Jahrzehnte liegen. Haben alle Krebskranken in der Samtgemeinde Bothel schon immer nahe den Erdgasförderstätten gewohnt? Welchen Jobs sind sie nachgegangen?
    Wie sieht ihre individuelle genetische Disposition aus?

    All diese Aspekte müssen aus politischen Gründen seitens der BI Intschede natürlich ausgeklammert werden.

    Herrn MdB Grindel (CDU) geht es nur um die eigene politische Karriere. Da ist der hier im Blog kürzlich erwähnte Bundestagsabgeordnete Kindler (Grüne) wegen seiner Konsequenz politisch glaubwürdiger – auch wenn er in der Sache ebenfalls nur Unfug von sich gibt.

    Herr MdB Kindler war wenigstens schon immer gegen die Nutzung fossiler Energierohstoffe.

    1. SAR sagt:

      Ob Grindel sich tatsächlich so geäußert hat, ist nicht sicher.

      Deswegen habe ich sehr vorsichtig formuliert und bin im Konjunktiv geblieben.

      Die Fragen, die Du stellst, sind die, denen nachgegangen werden muss, um Klarheit zu schaffen.

      Erst wenn diese beantwortet sind, lässt sich feststellen, ob die Erdgasgewinnung verantwortlich ist oder nicht. Dementsprechend sind Forderungen nach einem Fördermoratorium (Deutschland, das Land der Angst und Moratorien), wie sie in einem taz-Artikel dargestellt wurden, völlig überzogen: http://www.taz.de/Bothel-fordert-Gas-Moratorium/!146114/

      Nach der dort formulierten Logik müssten alle denkbaren Quellen mit einem Moratorium belegt werden.

  • Holger sagt:

    Ich habe mich viele Jahre mit der Kernenergie befasst. Dort gibt es die sogenannten „Kinderkrebsstudien“ mit denen „nachgewiesen“ wird, dass es nahe Kerntechnischer Anlagen mehr Krebsfälle gibt.

    Wenn ein Ereignis sehr selten ist wie ein Lottogewinn könnte man beispielsweise behaupten, wenn in 2 Wochen 2 Bremer gewinnen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Bremers 60-fach höher ist. Aus dem Alltag weiss man dass es sich um eine statistische Streuung handelt. In der mathmatischen Statistik bedarf es eines Vertrauensbereichs um eine statistische Signifikanz nachzuweisen.

    So hat man in den ökologischen Studien mit einer geschickten Auswahl einer viel zu geringen Stichprobe die gewünschten ökologischen Ergebnisse erzielt.

    1. SAR sagt:

      Das Interessante am Sachverhalt nach bisherigem Stand ist, dass ausschließlich Männer betroffen sind und zudem die Fälle gleichmäßig über das Samtgemeindegebiet verteilt sind. Im Gegensatz zur unregelmäßigen Verteilung der Fördersonden und der Aufbereitungsstation.

      1. Holger sagt:

        Meines Erachtens ist der Artikel schwach. Der Autor (promovierter Wissenschaftler) hätte sich meines Erachtens wenigstens die Mühe machen sollen einen Vertrauensbereich und damit die Signifikanz zu errechnen.

        Gem. der obigen Geschichte wurden statt des Mittelwerts von 21 Fällen 41 Fälle beobachtet. In Deutschland erkranken jährlich ca. 11.000 Menschen. Das ist eine Wahrscheinlichkeit von 1/10000. Ohne gerechnet zu haben vermute ich, dass der Stichprobenumfang nicht hinreichend ist um ein erhöhtes Risiko signifikant nachzuweisen. Läukämie tritt sehr gehäuft bei älteren Männern. Somit ist eine derartige Geschlechterstreuung nicht ganz unwahrscheinlich.

        Zahlreiche Ökostudien beruhen auf der o.g. Methode. Mit einer geschickten Auswahl der Stichprobe lassen sich gewünschte Ökogruselergebnisse erzeugen.

    2. Holger sagt:

      Als Ergänzung meier vorangegangenen Kommentare….

      Euroclus-Studie[Bearbeiten]Im Gegensatz zu den vorgenannten Studien, deren Untersuchungsschwerpunkt sich auf die geografische Region der Elbmarsch beschränkt, wurde in der EUROCLUS-Studie versucht, Übereinstimmungen zwischen jenen 240 Leukämieclustern zu finden, die im Rahmen der Studie identifiziert wurden.

      Im Zuge der Auswertung der Studie zeigte sich, dass nicht Umweltfaktoren, wie die Nähe zu Kernkraftwerken, zu Militärflugplätzen oder anderen häufig als Verursacher in Rede stehender Anlagen mit dem Auftreten der Leukämiefälle korrelieren, sondern dass demografische Faktoren die signifikantesten Merkmale darstellen, in denen die untersuchten Cluster übereinstimmen.

      Als typische Regionen für das Auftreten von Leukämie im Kindesalter wurden dünn besiedelte Wohngebiete erkannt, in welche zu zunächst isoliert lebenden Bewohnern neue Mitbewohner aus anderen Wohngebieten hinzuzogen. Diese Erkenntnis spiegelt sich in der „Greaves-Hypothese“ wider.

      Gestützt wird die „Greaves-Hypothese“ beispielsweise von einer Kontrollstudie, welche im Auftrag des Landes Niedersachsen vom Kinderkrebsregister durchgeführt wurde. Im Ergebnis kommt diese Studie zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit für die Erkrankung an Leukämie (ALL) bei immunologischer Isolation steigt. Kennzeichnend für immunologische Isolation sind eine geringe Impfrate, wenig Kontakt zu anderen Kindern sowie das Merkmal des Erstgeborenen.[5]

      aus Wikipedia…

  • Jetzt einen Kommentar verfassen!

    *Ihre E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht.