Erdgasförderung und Blutkrebs in der Region Rotenburg – Was gegen einen Zusammenhang spricht
In der abgelaufenen Woche erschien bei NDRonline ein Beitrag (Krebsfälle in Bothel: Hilferuf von 200 Ärzten), in dem ein offener Brief von 200 Ärzten bezüglich der signifikanten Erhöhung von Blutkrebserkrankungen in der Samtgemeinde Bothel (Landkreis Rotenburg/Wümme) das Thema war. Die signifikante Erhöhung wird von Teilen der ansässigen Bevölkerung sowie von Gegnern der inländischen Erdgasgewinnung auf die regionale Erdgasproduktion zurückgeführt. In diesem Beitrag soll argumentativ dargelegt werden, was gegen die Vermutung der vorgenannten Gruppen spricht, die einen Zusammenhang zwischen der Erdgasförderung und Blutkrebs sehen.
Was gegen einen Zusammenhang zwischen Erdgasförderung und Blutkrebs spricht
Hintergrund für den unterstellten Zusammenhang dürfte eine „Reportage“ des NDR-Magazins „Markt“ Ende des Jahres 2010 gewesen sein. In diesem durch dramatische Musik, hektische Schnitte, aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten und unbelegten Unterstellungen geprägten Beitrag (LINK zu Youtube) wurde über die Bodensanierung im Bereich einer sich im Erdgasfeld Söhlingen befindenden Leitung berichtet, die bei der Erdgasgewinnung anfallendes Lagerstättenwasser (LaWa) transportierte. Aus dieser Leitung sind u.a. die im Erdgas sowie auch im LaWa natürlicherweise enthaltenen Stoffe Quecksilber (Hg) und Benzol ausgetreten, was als logische Konsequenz die Sanierung des Bodens sowie des ebenfalls betroffenen oberflächennahen Grundwassers zur Folge hatte.
Benzol ist als krebserregend bekannt und gilt auch als Verursacher für Leukämien und Lymphome, wie sie bei (älteren) Männern im Samtgemeindegebiet Bothel in einem Bericht des Epidemiologischen Krebsregister Niedersachsen (EKN) dokumentiert worden sind (Kurzfassung des EKN Berichtes zur Häufigkeit von Krebsneuerkrankungen in der Samtgemeinde Bothel). Das Gebiet der Samtgemeinde überdeckt teilweise die Erdgaslagerstätten Söhlingen und Rotenburg-Taaken. Aufgrund des Untersuchungsergebnisses stellten die oben erwähnten Gruppen die Vermutung an, dass ein Zusammenhang zwischen der regionalen Erdgasförderung und Blutkrebs-Erkrankungen bestünde.
Daraus entwickelten sie die Kausalkette Benzol emittiert → Benzol kann Leukämien/Lymphome verursachen → erhöhte Rate von Leukämien/Lymphomen festgestellt → Erdgasförderung ist die Ursache. Auf den ersten Blick und ohne Beachtung weiterer Umstände erscheint diese Kette logisch. Doch bei umfassender und detaillierter Betrachtung der Angelegenheit zeigt sich, dass die vermeintliche Logik zu hinterfragen ist und mehrere Aspekte gegen die Vermutung/Unterstellung, dortige Erdgasförderung und Blutkrebs hingen zusammen, sprechen.
- Im unmittelbaren Umfeld der LaWa-Leitung konnten an lediglich zwei Messpunkten auffällige Benzolkonzentrationen von 3 bzw. 6 µg/l Grundwasser gemessen werden (Quelle). Zum Vergleich: Für Trinkwasser gilt ein Grenzwert von 1 µg/l (Quelle) und für Oberflächengewässer ein Wert von 10 µg/l (Quelle). Die gemessenen Werte befinden sich folglich im Bereich dazwischen. Aufgrund der geringen Tiefenlage des Grundwasserkörpers sowie der Lage der Messtsellen weit außerhalb jeglicher Trinkwasserschutzzonen kann eine Kontamination von Trinkwasser ausgeschlossen werden.
- Ein potenzieller Kontaminationspfad ist die Aufnahme von Benzol über die Atemluft. Unter Beachtung dieses Aspektes erfolgten 2012 seitens des niedersächsischen Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) über den Zeitraum von sechs Monaten Luftuntersuchungen im Bereich der Erdgaslagerstätte Söhlingen (Immissionsmessungen an einer Erdgasstation im Landkreis Rotenburg (Wümme)). Im Ergebnis konnten keine erhöhten Benzolkonzentrationen dokumentiert werden. Diese Ergebnisse einer Fachbehörde (!) fanden in den „offiziellen“ Medien keinen Niederschlag, während über methodisch fragwürdige Messungen mit fachlich unhaltbaren Interpretationen seitens des Naturschutzbundes Deutschland e.V. (NABU) umfassend berichtet wurde. Unseren Unmut über die mediale Einseitigkeit äußerten wir u.a. in dem Artikel „Das Verschweigen der Entwarnung„
- Ferner erfolgten bereits in der Vergangenheit, insbesondere aber nach den Vermutungen/Unterstellungen umfangreiche Bodenuntersuchungen im Umfeld von Erdgasförderplätzen auf Veranlassung des LBEG bzw. durch die Behörde selbst. Im Zuge der aktuellen Untersuchungskampagne gab die Bergbehörde in einer Pressemitteilung am 17.11.2015 erste Zwischenergebnisse bekannt. Bedenkliche Benzolkonzentrationen konnten im Umfeld der bislang unter die Lupe genommenen Förderplätze nicht festgestellt werden. Ebenso wie das bereits zuvor erwähnte Ergebnis der Luftuntersuchungen im Erdgasfeld Söhlingen wurden die neuen entwarnenden Erkenntnisse in offiziellen Medien, von einer Ausnahme abgesehen, nicht thematisiert.
- Gegen einen Zusammenhang zwischen der Erdgasförderung und der erhöhten Zahl an älteren Männern, die von
Leukämien/Lymphomen betroffen sind, spricht, dass in benachbarten Gemeinden, in denen ebenfalls Erdgas aus den selben Lagerstätten gefördert wird, keine signifikanten erhöhten Raten dokumentiert werden konnten. Diese Untersuchungen wurden aufgrund des Ergebnisses in Bothel durchgeführt und ergaben, dass in zwei der drei Untersuchungsregionen keine Auffälligkeiten festgestellt werden konnten. Dieses Ergebnis wird ebenfalls geflissentlich ignoriert oder falsch widergegeben. So behauptet aktuell der NDR: „Etwas geringer ist der Anstieg in Kirchlinteln, Langwedel und Sottrum, wo die Experten einen Anstieg von rund zehn Prozent festgestellt haben.“ Laut des EKN-Berichtes liegt die Zahl der Neuerkrankungen in Langwedel mit 34, wenn auch nur geringfügig, unter den erwarteten 35 Fällen. In Sottrum und Kirchlinteln, auf letzterem Gemeindegebiet wird kaum Erdgas gefördert, liegt die Zahl zwar über den erwartenden Neuerkrankungen, aber immer noch außerhalb einer statistischen Signifikanz (siehe nebenstehende Tabelle).
Zusammenhang mit Fracverfahren abwegig
Im NDRonline-Artikel, auf den sich dieser Beitrag beruft, wird einleitend auch „Fracking“, also das Verfahren Hydraulic Fracturing, als Ursache der Erkrankungen spekulativ in den Raum geworfen. Während es plausible Gründe gibt, die Erdgasgewinnung als Ursache für die Häufung der Leukämien/Lymphome als unwahrscheinlich einzustufen, kann das Verfahren der künstlichen Risserzeugung in Festgestein mittels einer Flüssigkeit als Auslöser komplett ausgeschlossen werden. Dazu folgende Begründungen:
- Im Samtgemeindegebiet Bothel sind zwischen 1982 und 2008 insgesamt 31 Fracmaßnahmen durchgeführt worden, wovon zwei auf das Teilfeld Hemsbünde, der Rest auf die Lagerstätte Söhlingen entfallen (Quelle: Liste der Fracs in Niedersachsen). Setzt man je Fracmaßnahme zwei Stunden an (die Durchführung eines Fracjobs dauert ca. 1-2 Stunden), dann wäre innerhalb von 26 Jahren gerade einmal 62 Stunden lang gefract worden. Oder anders ausgedrückt: zweieinhalb Tage am Stück. Ein Einfluss auf die Blutkrebsrate trotz des temporär erhöhten Ausstoßes von Abgasen aus den dieselbetriebenen Hochleistungspumpen zur Druckerzeugung ist auszuschließen, zumal sich die meisten Förderplätze fernab jeglicher Wohnbebauung befinden.
- Der NDR schreibt: „Ein direkter Zusammenhang mit der Erdgasförderung wird von offizieller Seite bisher allerdings nicht ausgesprochen – trotz des Einsatzes giftiger Chemikalien, die als krebserregend gelten.“ Es wird deshalb kein direkter Zusammenhang mit der Erdgasförderung ausgesprochen, allein aufgrund der Tatsache, dass ein Zusammenhang nicht nachgewiesen ist.Ees wäre zudem interessant zu erfahren, welche giftigen, als krebserregend geltenden Chemikalien bei der Erdgasförderung eingesetzt werden, wie der Autor des NDR meint zu wissen. Wahrscheinlich spielt er auf als krebserregend eingestufte Zusätze in historischen Fracfluiden an. Nur ist Fracen mit Fördern nicht gleichzusetzen. Die Antwort auf die Frage, wie Stoffe in einer zu ca. 95 Prozent aus Wasser bestehenden Flüssigkeit, die zudem in 5.000 Metern unter der Erdoberfläche zur künstlichen Risserzeugung eingesetzt wurde, bei Anwohnern Krebs erzeugen soll, bleibt uns der Autor schuldig.
- Ein Fracvorgang wird in einem quasigeschlossenen System durchgeführt. Das einschränkende „Quasi“ deshalb, weil das Fracfluid nach Abschluss der Maßnahme aus diesem System entnommen und entsorgt wird. Wie eine technische Flüssigkeit, die in ein solches System eingebunden ist, Auswirkungen auf die Gesundheit der von den Bohr-/Förderplätzen hunderte bis kilometerweit entfernt lebenden Bevölkerung haben soll, ist logisch nicht nachvollziehbar.
Es bleibt abschließend Folgendes festzustellen: Es ist absolut korrekt, dass Benzol Leukämien/Lymphome generieren kann. Wissenschaftlich besteht hinsichtlich dieser Frage kein Diskussionsbedarf. Dass die sowohl in Bothel als auch in Rotenburg/Wümme festgestellten, statistisch signifikant erhöhten Raten dieser Erkrankungen auf im dort geförderten Erdgas enthaltenen Benzol zurückzuführen sind, ist (bislang) nicht erwiesen.
Tatsächlich verhält es sich so, dass zahlreiche Argumente angeführt werden können, die der Suggestion/dem voreiligen Schluss eines Zusammenhangs von einigen Anwohnern der betroffenen Region, Erdgasförderungsgegnern sowie ihnen sekundierenden Medien wie dem NDR entgegenstehen. Diese Argumente sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern basieren auf Messergebnissen und naturwissenschaftlich belastbaren Erkenntnissen.
Das EKN stellt in seinen Berichten zu den signifikant erhöhten Blutkrebsraten in der Samtgemeinde Bothel (Bericht I) sowie der benachbarten Stadt Rotenburg/Wümme (Bericht II) klar, dass die Ursache für die Erkrankungen unbekannt sind. Dementsprechend sollten voreilige Schlüsse oder gar Anschuldigungen unterbleiben. Insbesondere die 200 Ärzte, die laut des offenen Briefes die die „Sorgen der Bevölkerung“ teilen, sollten dieser Empfehlung folgen.
Artikelfoto: Erdgasfördersonde Söhlingen Z1, Fundbohrung der Lagerstätte Söhlingen ©chef79