Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal Teil II
In der 10. Kalenderwoche gab es in verschiedenen Formaten der ARD und deren Landesanstalten Berichte und „Reportagen“ über angebliche große Probleme hinsichtlich der Entsorgung von Bohrschlämmen, die aus der Erdöl- und Erdgasindustrie stammen. Verantwortlich für diese Beiträge zeichnete sich eine Rechercheteam des NDR und des WDR, das von Alexa Höber (NDR) und Jürgen Döschner (WDR) angeführt wurde. In einem ersten Teil befassten wir uns mit einem Bericht des NDR-Verbraucherschutzmagazins „Markt“ und konnten diesbezüglich Ungereimtheiten, Falschdarstellungen und unseriöse Dramatisierung nachweisen. Im zweiten Teil befassen wir uns mit zwei Artikeln von Jürgen Döschner.
1. Auch Sondermüll lässt sich ordnungsgemäß entsorgen
Der erste Beitrag, mit dem wir uns befassen, ist mit „Giftiger Bohrschlamm Sondermüll, den keiner will“ betitelt und erschien am 07.03.2016 bei tagesschau.de, kurioserweise unter der Rubrik „Ausland“.
Zunächst befasst sich der Beitrag mit dem Schicksal einer LKW-Fahrerin, die bereits im Magazin „Markt“ zu sehen war und die anonym bleiben will. Das ist nachvollziehbar, denn laut ihren eigenen Aussagen hat ihr Arbeitgeber oder eventuell sie selbst Anforderungen an den Arbeitsschutz mit Füßen getreten (siehe dazu Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal Teil I). Im hier diskutierten Bericht heißt es: „Ihre Fracht war so gefährlich, dass sie nach jeder Fuhre mit einem Hochdruckreiniger den Lkw gründlich säubern musste, sonst hätte sie nicht wieder auf öffentliche Straßen gedurft. Seltsame Logik. Denn vollbeladen war es offensichtlich kein Problem, öffentliche Straßen zu benutzen.
Um die Gefährlichkeit bzw. „Giftigkeit“ von Bohrschlämmen zu belegen, werden einige Schadstoffe aufgezählt, die im Schlamm enthalten sein sollen. Dazu zählen polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) oder Schwermetalle wie Quecksilber sowie das Halbmetall Arsen. Selbstverständlich dürfen radioaktive Substanzen, hier Radium 226, in der Aufzählung nicht fehlen. Auf eine Quantifizierung der Mengen zur tatsächlichen Umweltgefährdungsrelevanz schweigen sich Döschner und Team jedoch aus, was jedoch Methode bei solchen auf Skandalisierung setzenden Beiträgen hat. Es stellt sich zudem die Frage, wie beispielsweise PAK in Bohrschlamm gelangen sollen, der üblicherweise aus Wasser, Tonmineralen und Schwerspat besteht, und bei der Durchteufung kohlenwasserstoffreien Gesteins Anwendung findet. Solcher Bohrschlamm ist chemisch gesehen absolut harmlos. Jedoch lässt sich mit solchen Fakten kein Skandal vom Zaun brechen.
Um der Skandalisierung einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen, wird mit Prof. Dr. em. Wolfgang Calmano (TU Hamburg) ein Umweltwissenschaftler hinzugezogen, der bereits in vorangegangenen Beiträgen zum Thema beim NDR zu sehen war und der zufälligerweise bei Veranstaltungen von Anti-Gasbohr-Bürgerinitiativen referierte. Calmano ist der Ansicht, Bohrschlämme, die gegenwärtig noch in historischen „wilden“ Gruben lagern, müssten idealerweise in Untertagedeponien eingebracht werden. Warum die Einlagerung in Sondermülldeponien wie in Hürth bei Köln ungeeignet sei, wird nicht begründet.
Im Folgenden versteigt sich der Artikel dann in Vermutungen und bleibt im Ungefähren, was letztlich dahingehend interpretiert werden muss, dass nichts Konkretes vorgewiesen werden kann. Eine beeindruckende durch GEZ-Gebühren finanzierte Recherchearbeit! Kurz gesagt: Nichts Genaues wissen wir nicht, aber wir stricken einen Skandal daraus.
Stattdessen gibt man in Bezug auf bundesweit geschätzte 1.400 Bohrschlamm-Gruben zu:
Über die Menge der darin enthaltenen Schlämme gibt es keine genauen Angaben.
und ergänzt:
Welche Gruben tatsächlich saniert, wie viel Giftschlamm wirklich als Sonderabfall entsorgt werden muss, ist derzeit nicht klar.
Schließlich käme es auf den Einzelfall, die Lage der Grube sowie die die Belastung der Abfälle an. Diese Einschätzung ist erstaunlich, suggerierte dieser Beitrag sowie bereits vorausgegangene doch, dass Bohrschlämme grundsätzlich giftiger Sonderabfall seien.
2. Giftiger Bohrschlamm durch „Fracking“?
Ein weiterer Beitrag zur Bohrschlammskandalisierungs-Reihe folgte am 09.03.2016 wiederum bei tagesschau.de, dieses Mal jedoch in der Rubrik „Inland“. Dieser Beitrag Jürgen Döschners ist mit „Altlasten der Öl- und Gasindustrie – Giftiger Bohrschlamm durch Fracking“ überschrieben.
Einleitend heißt es analog zu den bisherigen Berichten, dass die Öl- und Gasindustrie ein gewaltiges Entsorgungsproblem habe, da giftiger Bohrschlamm aus bis zu 1.400 Gruben entsorgt werden müsse. Dabei wurde im bereits oben diskutierten Beitrag zugegeben, dass es völlig unklar sei, ob und in welchem Umfang Bohrschlamm aus diesen Gruben entsorgt werden müsse. Zu diesen unquantifizierten Altlasten könnten nach Meinung Döschners „viel größere Lasten hinzukommen“, sollte „das umstrittene Fracking zugelassen werden“. Kleiner Hinweis an Döschner: Hydraulic „Fracking“ Fracturing ist nach derzeitiger Gesetzeslage zulässig. Es wird jedoch aus politischer Willkür von den entscheidungsbefugten Behörden auf Weisung ihrer Dienstherren nicht genehmigt. Eine solche Verfahrensweise sollte eigentlich sogenannten Bananenrepubliken vorbehalten sein, nicht jedoch einem Rechtsstaat praktiziert werden.
Döschner schreibt: „Wie bei jeder Bohrung nach Öl oder Gas fallen auch beim Fracking giftige Bohrschlämme an.“ Das ist völliger Blödsinn, denn Hydraulic Fracturing wird nach Erstellung einer Bohrung durchgeführt. Es handelt sich bei diesem Verfahren um keinen Bohrprozess. Somit können logischerweise auch keine Bohrschlämme anfallen. Döschners Definition von Bohrschlamm als „Mischung aus Schlamm und Gestein, versetzt mit krebserregenden Kohlenwasserstoffen, Quecksilber, Arsen und radioaktiven Partikeln“ ist ebenfalls grober Unsinn.
Der größte Unsinn ist, dass der Schlamm mit krebserregenden Kohlenwasserstoffen, Quecksilber und Arsen „versetzt“ sei . Denn es handelt sich hierbei durchweg um natürlich vorkommende Substanzen, die je nach Gestein im Schlamm enthalten sein können oder auch nicht. Der Begriff „versetzt“, der eine künstliche Beimischung suggeriert, ist irreführend. Korrekt müsste es heißen, dass Bohrschlamm aus natürlichen Gründen in Abhängigkeit des erbohrten Gesteins die genannten Stoffe enthalten kann. Was unter Bohrschlamm zu verstehen ist, ist in „Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal Teil I“ nachzulesen.
Mit diesen aus der Luft gegriffenen Behauptungen wurde offenbar der für Fracking in der SPD-Fraktion zuständige Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe konfrontiert. Dieser beklagt, dass das Thema Bohrschlamm in der „Fracking“-Debatte bislang nicht diskutiert wurde, dieses jedoch „hinsichtlich des Frackings im Schiefergestein“ bezüglich der Dimension geschehen müsse. Schwabe steht übrigens nach Einschätzung des Verfassers den „Fracking“-Gegnern nahe.
Bis zu 35 Millionen Tonnen giftige Bohrschlämme
Laut Döschner sei die Dimension „besorgniserregend“. Um dieses zu begründen, bedient er sich einer Verkettung von vorsichtigen Abschätzungen des Schiefergaspotenzials in Deutschland der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), einer darauf basierenden Milchmädchenrechnung in einer Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) sowie einer darauf folgenden weiteren Milchmädchenrechnung des WDR als abschließendes Kettenglied.
Dessen Ergebnis ist, dass „zwischen 25 und 35 Millionen Tonnen giftiger Bohrschlämme anfallen“ könnten, käme es zu einer „flächendeckenden Zulassung von Fracking in Deutschland“. Schließlich wären zur Erschließung des technisch förderbaren Schiefergaspotenzials laut UBA-Studie dazu 48.000 Bohrungen erforderlich. Leider geht diese anzuzweifelnde enorme Anzahl an Bohrungen nicht aus den jeweiligen Kurzberichten der UBA-Studie I und der UBA-Studie II hervor.
Zudem erscheint diese Anzahl aus mehreren Gründen absurd. Zum Zeitpunkt der Erstellung der UBA-Studien wurde von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) das technisch gewinnbare Schiefergaspotenzial im Mittel und damit am wahrscheinlichsten auf 1.300 Mrd. m³ geschätzt. Das würde bedeuten, das jede Bohrung, vorrausgesetzt sie wäre fündig, lediglich ca. 27 Millionen m³ Erdgas im Durchschnitt erbringen würde. Hinsichtlich des vorrausgehenden Aufwandes ein wirtschaftlich kaum vertretbarer Betrag.
Hinzu kommt, dass Ende 2015 das von der BGR geschätzte mittlere Potenzial aufgrund konkreterer Betrachtungen auf 860 Mrd. m³ nach unten korrigiert wurde. Damit würde sich der Betrag je Bohrung auf 18 Mio. m³ Erdgas reduzieren. Folglich würde sich die absurd hoch eingeschätzte Anzahl von Bohrungen reduzieren, was Döschner in der Hoffnung „merkt ja keiner“ jedoch geflissentlich unter den Tisch fallen lässt. Zum Vergleich: Bislang wurden in Deutschland ca. 1.000 Mrd. m³ Erdgas gefördert. Inklusive aufgegebener und nicht fündiger Bohrungen dürften dazu 1.000 Bohrungen beigetragen haben, was einem durchschnittlichen Ertrag je Bohrung von 1 Mrd. m³ Erdgas entspricht.
Diese Absurditäten scheinen Döschner und Kollegen jedoch nicht zu irritieren und sie multiplizieren 48.000 einfach mit überschlagenen 550 t bis 750 t Bohrschlamm je Bohrung, der nach ihrer Ansicht undifferenziert als giftig bezeichnet wird. Daraus ergibt sich schließlich die abschreckende, jedoch völlig unrealistische Zahl von 25 bis 35 Millionen Tonnen giftiger Bohrschlämme. Der vermeintliche „Bohrschlammskandal“ ist endgültig erfunden!
Im letzten Abschnitt des Beitrages erfolgt dann eine Art Selbstbeweihräucherung hinsichtlich der „grandiosen“ Recherchearbeit. Diese habe für großes Aufsehen gesorgt. Als Bestätigung wird Johannes Remmel, grüner Umweltminister von Nordrhein-Westfalen und selbstverständlich ein „Fracking“-Gegner, zitiert. Für ihn sei „dieser Bohrschlamm“ ein weiterer Grund dafür, „Fracking“ abzulehnen.
Ganz zum Ende des Beitrages schreibt Döschner, dass nach Ostern im Bundestag ein neuer Versuch unternommen werden solle, „das auch innerhalb der Koalition stark umstrittene Fracking-Gesetz zu verabschieden“. Und: „Die Bohrschlamm-Problematik dürfte allerdings erst einmal für neue Diskussionen sorgen.“
Genau das scheint die Intention des Rechercheteams gewesen zu sein. Es ging offenbar darum, dass das in den letzten Monaten kaum noch wahrgenommene Thema „Fracking“ seitens der Politik wieder auf die Agenda genommen wird. Zumindest im Falle Döschner kann das ohne größere Zweifel unterstellt werden, geriert er sich doch regelmäßig als Umweltaktivistenwolf im journalistischen Schafspelz. Jedoch hat politische Propaganda und Agitation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nichts verloren.
3. Widerspruch aus Fachkreisen
Die wie hier und im ersten Teil dokumentierte dürftige Recherchearbeit mit nicht auszuschließender politischer Intention blieb nicht unwidersprochen.
Erwartungsgemäß kritisierte der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V. (WEG e.V.) bereits am 8. März die skandalisierende Berichterstattung (Entsorgung von Bohrschlamm – Fakten zu aktuellen Medienberichten des WDR und NDR ) und stellte aus seiner Sicht die Angelegenheit ausführlich in fünf Unterpunkten plausibel klar.
Zehn Tage später erfolgte bezugnehmend auf einen offenen Brief der Organisationen DNR, BUND, NABU, Deutsche Umwelthilfe (DUH), Campact, Umweltinstitut München, PowerShift und der Bürgerinitiative Lebenswertes Korbach, der Folge des öffentlich-rechtlichen „Skandaljournalismus“ ist, eine weitere Richtigstellung des WEG e.V. (Falsche Behauptungen im Offenen Brief verschiedener Organisationen vom 15. März 2016). In diesem Brief wurden sogar Behauptungen aufgestellt, die selbst Döschner und Kollegen so absolut nicht getätigt haben. Bei den Umweltorganisationen scheint die Hemmschwelle hinsichtlich Übertreibung und Desinformation offenbar noch geringer zu sein, so dass aus vagen Vermutungen und Unterstellungen Fakten werden.
„Die von NDR und WDR genannte Zahl von fast zwei Millionen Kubikmeter giftiger Bohrschlämme ist nicht zutreffend. Das LBEG geht davon aus, dass es sich um ein Volumen von bis zu maximal 300.000 Kubikmeter Ölschlämme handelt, die entsorgt werden müssen“ Andreas Beuge, LBEG
Dass der WEG e.V. sich gegen die Kampagne wehrt, ist nachzuvollziehen. Interessanter ist jedoch, dass auch die niedersächsische Bergbehörde, das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) ebenfalls der Recherchearbeit von NDR und WDR widerspricht. So wird in einem Artikel der „Allgemeinen Zeitung“ Andreas Beuge, Sprecher des LBEG dahingehend zitiert, dass die von NDR und WDR „recherchierten“ Angaben falsch seien. Siehe Zitat oben.
Doch Fachbehörden zu konsultieren und die an den Pranger gestellten Unternehmen (fair) einzubeziehen , passt offensichtlich nicht ins Konzept auf Drama und Skandal ausgerichteten „Investigativjournalismusses“.
Artikelbild: Noch unsanierte Bohrschlammgrube Brüchau (Altmarkkreis Salzwedel). Quelle: GoogleMaps