Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal Teil V – Der (bisherige) Tiefpunkt
Seit März 2016 berichtet der NDR in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen über das Thema Bohrschlamm insbesondere in seinem Format „Markt“. Teilweise erstreckt sich die Berichterstattung über das Sendegebiet des NDR hinaus, wofür sich der ominöse Rechercheverbund* aus den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten NDR und WDR sowie der privatwirtschaftlichen Süddeutschen Zeitung (SZ) verantwortlich zeichnet. Kennzeichnend für die jeweiligen Beiträge ist nicht etwa eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern der Versuch einer Skandalisierung. Dementsprechend befassten wir uns kritisch mit den jeweiligen Beiträgen. Und wie bereits abschließend im letzten Artikel vermutet, fand der medial herbeigeredete Bohrschlammskandal jüngst bei NDR-Markt seine Fortsetzung.
Bekannte „Bohrschlammskandal“-Leier – Bekannte Gesichter
Wie einleitend erwähnt, wie anhand unserer Beiträge zum Thema „Bohrschlamm“ (Serie „Historische Bohrschlammgruben“ sowie „Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal“) nachvollziehbar dargelegt, ging es den Protagonisten in den vorbezeichneten Medienanstalten mitnichten um eine sachliche Auseinandersetzung. Stattdessen wurde versucht, seit Jahrzehnten nicht mehr übliche und somit auch nicht mehr angewendete Entsorgungspraktiken zu skandalisieren. Dass dabei unsauber recherchiert und somit berichtet wurde, wiesen nicht nur wir in unseren Beiträgen nach. Denn Kritik an der Berichterstattung gab es u.a. auch seitens der Deponiebetreiber, auf deren Gelände Bohrschlamm aus historischen, nicht mehr zeitgemäßen Gruben eingelagert wird.
Besonders deutliche Kritik musste der WDR/ARD – „Energiexperte“ Jürgen Döschner einstecken. Bemängelt wurde, wie auch von uns, dass Döschner sowie seine Mitstreiter des Rechercheverbundes wahrheitswidrig Bohrschlämme stets als „gefährlich“ oder gar „giftig“ bezeichneten. Doch anstatt den Unsinn, den er verbreitet hatte, selbstkritisch zu überdenken, amüsierte er sich via Kurznachtichtendienst Twitter auf tiefem Niveau über einen Verantwortlichen. Wir verweisen an dieser Stelle auf unseren Beitrag „Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal Teil III – Riesenwelle um Nichts!“ Andererseits gestand Döschner, dass ihm und seinen investigativen Journalistenkollegen keine konkreten Daten hinsichtlich der Zusammensetzung der Bohrschlämme vorlägen (siehe Screenshot oben links). Somit wäre eine Einordnung in „gefährlich“ oder gar „giftig“ nicht statthaft gewesen und widerspräche seriösem Journalismus.
Auch im aktuellen Beitrag wird wieder das Attribut „giftig“ verwendet. Und sei dem nicht genug, wird neben der bekannten Leier nach der bekannten Masche versucht zu skandalisieren. Das mit Unterstützung eines bekannten Gesichtes in Person von Andreas Rathjens aus Groß Meckelsen im Landkreis Rotenburg/Wümme. Rathjens taucht regelmäßig in Berichten zum Thema Erdöl/Erdgas beim NDR auf und wurde in der Vergangenheit regelmäßig als „Anwohner“ bezeichnet, egal ob die Orte der Beiträge, einen, zehn oder mehr Kilometer von seinem eigentlichen Wohnort entfernt gelegen haben. Mittlerweile hat die „Markt“-Redaktion anscheinend begriffen, dass das unglaubwürdig ist. Wahrscheinlich wird Rathjens deshalb inzwischen als „Erdgaskritiker“, „Landwirt“ oder aktuell „Umweltaktivist“ bezeichnet.
Andere der Lüge bezichtigen – Es selbst mit der Wahrheit nicht genau nehmen
Für den aktuellen „Markt“-Beitrag zeichnet sich, wenig überraschend, erneut Alexa Höber verantwortlich. Wenig überraschend deshalb, weil Frau Höber seit Anfang 2011 mit kritischen Beiträgen zur Erdöl- und Erdgasgewinnung in Niedersachsen auffällt. Die Methodik ist dabei sehr ähnlich: Untermalt mit dramatisierender Musik, hektischen Schnitten, kommentiert durch eine raunende zynische und/oder arrogante Stimme sowie weiteren Rezepturen des Investigativjournalismus (hierzu Satire: „INVESTIGATIV – Das typische Polit-Magazin | Walulis sieht fern„ ) soll dem unbedarften Zuschauer ein vermeintlicher Skandal untergejubelt werden.
Auftakt war eine „Reportage“, welche eine Sanierungsmaßnahme an einer Leitung für bei der Erdgasgewinnung mitgeförderten Lagerstättenwassers thematisierte. Obwohl in der Landschaft nicht übersehbar, trotz im Film gezeigten Baustellenschildes (mit angeblich falschen, verschwommen dargestellten Mobilfunknummern) war von einem Vertuschungsversuch eines „Umweltskandals“ die Rede. Dem damaligen Pressesprechers des Betreibers ExxonMobil wurde anhand eines völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Zitates (ein weiteres Merkmal „investigativen“ Journalismus) eine „dreiste Lüge vor der Kamera“ vorgeworfen.
Doch wie verhält es sich mit dem Wahrheitsgehalt derjenigen, die es als ihre Profession ansehen, vermeintliche Skandale aufdecken zu wollen? Um es vorwegzunehmen: Nicht besonders gut, wie folgender Faktencheck zeigt.
Faktencheck zum „Markt“-Beitrag vom 17.10.2016
Link zum neuen „Bohrschlammskandal“-Beitrag: Bohrschlamm: Wohin mit dem Sondermüll?
- Bereits nach wenigen Sekunden heißt es: „Pumpen stehen teilweise direkt neben Wohnhäusern“
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Anhand der Gebäudesubstanz ist erkennbar, dass die Häuser nicht sonderlich alt und frühestens in den 1990er Jahren errichtet worden sind. Dagegen ist die kurz darauf gezeigte Bohrung Rühlermoor 327 bereits 1962 abgeteuft worden. Umliegende Bohrungen sind z.T. noch mehr als ein Jahrzehnt älter. Auf die Trickserei mit der Verwendung von Teleobjektiven bzw. Zoomfunktion, die entfernte Bohrungen näher „heranholt“ und somit eine nicht existente Nähe zur Wohnbebauung suggerieren will, soll nicht weiter eingegangen werden.
- „Konzern“ ExxonMobil fördert in Rühlermoor Erdöl
Das ist nicht korrekt. Zwar ist die ExxonMobil Production Deutschland GmbH (EMPG) Betriebsführer, jedoch ist die ENGIE E&P Deutschland GmbH (ENGIE) mit Sitz in Lingen zu 50 Prozent am Feld beteiligt.
- „Alles weiträumig abgesperrt…“
behauptet der Komentator und ergänzt:
- „Wer hier abseits der Hauptstraße spazieren geht, wird angesprochen und soll das Gebiet verlassen. Der Ölkonzern schottet sich ab.“
Das ist widerlegbarer Unsinn, um nicht zu sagen, schlichtweg gelogen. Tatsächlich ist es nicht erlaubt, die Wege mit einem Kraftfahrzeug zu befahren. Schließlich handelt es sich, wie im Film gezeigt, um Privatwege. Jeder Eigentümer hat das Recht zu bestimmen, inwiefern seine Wege benutzt werden dürfen. Zudem werden die meisten Wege von Feldbahngleisen begleitet. Deshalb ist ein Ausweichen nicht möglich, falls ein Betriebsfahrzeug die betriebseigenen Wege benutzt. Entgegen der Behauptung des Kommentators sind Spaziergänge im Gebiet durchaus erlaubt. Südlich und südwestlich der Hauptstraße führt sogar eine touristische Fahrradroute (Moor-Energie-Erlebnispfad) an den Förderanlagen vorbei.
Wir selbst haben uns mehrfach, zuletzt im Juli 2016, im Fördergebiet abseits der Hauptstraße aufgehalten. Dabei waren unsere Kameras nicht zu übersehen. Mehrfach begegneten uns Fahrzeuge von ExxonMobil selbst oder von externen Dienstleistern. Wir wurden nicht aufgefordert, das Gebiet zu verlassen, sondern stattdessen im Regelfall freundlich gegrüßt. Außer uns waren weitere Spaziergänger, in diesem Fall tatsächliche Anwohner, im Gebiet unterwegs, die z.B. mit ihren Hunden Gassi gingen.
Es ergibt sich die Frage: Wenn, wie behauptet, alles weiträumig abgesperrt wäre, wie ist dann das Filmteam um Alexa Höber so dicht an die Bohrung herangekommen, um Aufnahmen aus nächster Nähe zu machen?
Verschweigen von Fakten und Unwahrheiten sollen Bohrschlammskandal untermauern
Bevor zum eigentlichen Thema übergeleitet wird, wird noch gezeigt, wie das Filmteam von einem Mitarbeiter des Betreibers angesprochen wird. Es ist zwar richtig, dass von öffentlichem Gelände aus Anlagen gefilmt oder fotografiert werden dürfen. Doch ist es wohl nicht zuviel verlangt, dass wenn man einen Film über Ölförderung und Bohrschlamm dreht, zuvor Kontakt mit dem Betreiber aufgennimmt. Allerdings dürfte Frau Höber aufgrund ihrer skandalisierenden Beiträge zur Erdöl-Erdgas-Industrie ein rotes Tuch für diese sein. Nicht zuletzt weil sie es sich erlaubt hat, ein Tor eines Erdgasförderplatzes aufzuschieben, sich also an fremden Eigentum vergangen hat! Es stellt sich die Frage, was Frau Höber davon hielte, filmte jemand unangemeldet unmittelbar an ihrer Grundstücksgrenze oder öffnete ihre Haustür?
Hauptgegenstand des Berichtes ist dieses Mal die Bohrschlammgrube Erika, deren Betreiber Vorgängerunternehmen der heutigen Firma ENGIE E&P Deutschland GmbH (ENGIE) mit Sitz in Lingen waren. Diese Grube wird gegenwärtig zurückgebaut. In ihr wurden zwischen 1950 und 1980 Bohrschlämme, ölhltige Tone und Sande sowie Schutt eingelagert (siehe Infoflyer). Entgegen der Behauptung in der Überleitung vom Ölfeld Rühlermoor zur Grube Erika im Bericht wird heutzutage nicht mehr so verfahren. Entsprechend wurde dem Zuschauer wiederum eine Unwahrheit aufgetischt. Das trifft ebenso auf den Untertitel zum Film in der Mediathek zu:
Bei der Erdölförderung in Niedersachsen fällt giftiger Bohrschlamm an. Bei der Entsorgung wünschen sich viele Anwohner eine Alternative zu stinkenden Sondermüllgruben.
Fakt ist: Bohrschlamm ist weder generell giftig noch wird er in Deutschland heutzutage in „stinkenden Sondermüllgruben“ abgelagert. Noch dreister wird dementsprechend im Untertitel zu einem zusammenfassenden Beitrag für „Hallo Niedersachsen“ gelogen:
Die Erdöl- und Gasindustrie lagert giftigen Bohrschlamm offenbar direkt an Bohrstellen ab. Die Anwohner wie in Geeste im Emsland sind hilflos.
Nochmals: Bohrschlamm wird bereits seit Jahrzehnten nicht mehr direkt neben Bohrstellen abgelagert. Und die Anwohner der Grube Erika dürften sich trotz temporärer Beeinträchtigungen über die Beräumung der vor 36 Jahren stillgelegten und nach damals üblicher Praxis rekultivierten Deponie freuen. Angeblich hätte das Filmteam mit „vielen“ Anwohnern gesprochen. Eine interessante Behauptung, befinden sich doch lediglich zwei Gehöfte in 300 Meter Entfernung in nördlicher Richtung und in 500 Meter drei weitere im Osten. Sonderlich viele Anwohner konnten demnach überhaupt nicht als Interviewpartner zur Verfügung gestanden haben. Vor der Kamera wollte angeblich keiner der ein, zwei, viele Anwohner etwas sagen. Nun, wer soll das nach den diversen zuvor geäußerten Unwahrheiten noch glauben? Entsprechend bedient man sich stellvertretend der Äußerungen des reiselustigen Rathjens sowie denen eines grünen Stadtratmitgliedes vonn Geeste.
Bohrschlammskandal-Inszenierung offenbar durchschaut
Nimmt man die Reaktionen auf die Beiträge bei „Markt“ sowie die zusammengeschnittene Version für „Hallo Niedersachsen“ zum Maßstab, scheinen viele Zuschauer durchschaut zu haben, dass der vermeintliche Bohrschlammskandal inszeniert wurde und wird. So erhielt der „Markt“-Beitrag bei 21 Bewertungen durchschnittlich 1,95 von 5 möglichen Punkten. Etwas besser ist es um den „Hallo Niedersachsen“-Beitrag bestellt, der 2,75 Punkte von 5 möglichen bei 8 Bewertungen erhielt (Stand 23.10.2016, 14 Uhr).
Doch ist die schlechte bis mäßige Bewertung verwunderlich? Wohl kaum. Dem regelmäßigen Zuschauer dürfte auffallen, das stets Andreas Rathjens in Beiträgen zur Erdöl-Erdgasförderung auftaucht. In der Vergangenheit regelmäßig als „Anwohner“ dargestellt, ist man inzwischen dazu übergegangen, ihn als „Erdgaskritiker“, „Landwirt“ (was er tatsächlich ist, jedoch nicht an entsprechendem Drehort bei Etzel) oder nun „Umweltaktivist“. Die permanente Titulierung „Anwohner“ bei völlig verschiedenen Drehorten war wohl nicht mehr haltbar.
Ferner dürften Stil und Inhalt der Beiträge eine Rolle spielen. Wen will man denn noch mit dramatischer Musik und raunender, teils zynischer Kommentatorenstimme hinter dem Ofen hervorlocken? Jedem einigermaßen intelligenten Menschen müsste doch klar sein, dass dieser Stil von mangelnder Seriösität zeugt. Hinzu kommt, dass immer wieder bereits Gesagtes wiederholt wird, neue Informationen jedoch ausbleiben.
Der Gipfel der Unseriösität sind jedoch nicht unbedingt die geäußerten nachweisbaren Unwahrheiten. Diese können z.T. nur erkannt werden, wenn man persönlich Gegenteiliges erlebt hat. Schlimmer sind die getätigten Widersprüche. So schließt der „Markt“-Beitrag wie folgt:
Die meisten Anwohner wollen, dass die stinkenden Bohrschlammberge hier möglichst schnell wieder verschwinden.
Und genau daran wird emsig gearbeitet, wie zuvor im Beitrag gezeigt. Doch dieser Widerspruch fällt dem arrogant raunenden Kommentator offenbar nicht auf.
Zum Abschluss: Während in der Vergangenheit solche „Markt“-Beiträge bei ndr.de mit einem Vorabtext angekündigt worden sind, wurde dieses Mal darauf verzichtet. Die Kritik am letzten derartigen Bericht war wohl zu deutlich. Dieser war mit „Landwirtschaft auf giftigen Bohrschlammgruben“ überschrieben. Nachfolgend stellte sich heraus, dass die Bodenproben keinerlei besorgniserregende Messergebnisse aufwiesen. Eine Richtigstellung des NDR? Fehlanzeige! Stattdessen fand der medial herbeigeredete Bohrschlammskandal nun seine unrühmliche Fortsetzung.
Artikelfoto: Förderbohrungen im südlichen Teil des Erdölfeldes Rühlermoor. Aufgenommen während eines von zwei Spaziergängen im Juli 2016, welche nach Behauptungen von NDR-„Markt“ nicht möglich sein sollen. ©chef79
* Zum Rechercheverbund aus öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten (WDR und NDR) sowie privatwirtschaftlicher Süddeutscher Zeitung: „SZ, NDR und WDR Warum der Rechercheverbund viele Fragen aufwirft – Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/24000098 ©2016