Erdgasförderung und Radioaktivität: Böhme-Zeitung – Redakteur mimt Strahlenschützer

Am Abend des 29.09.2016 schaute ich auf der Facebookseite „Gasland ist hier“, der Plattform einer Anti-Erdgasgewinnungsgruppierung aus dem östlichen Landkreis Rotenburg, einmal wieder vorbei. Die Plattform ist insofern interessant, als dass man anhand des dort Präsentierten die oftmals abstruse Denkweise und Gedankenwelt der Gruppierung verfolgen kann. Grundsätzlich wird alles bezweifelt, was die Erdgasförderung von unbewiesenen Schuldzuweisungen, insbesondere die Gesundheit der Anwohner betreffend, entlastet. Der Gipfel der Absurdität wurde an genau jenem vorgenannten Datum erreicht, in dem ein Facebookeintrag der Böhme-Zeitung zum Thema Erdgasförderung und Radioaktivität unkritisch geteilt wurde.

Redakteur der Böhme-Zeitung spielt sich als Strahlenschützer auf

stillgelegte Erdgasbohrung "Friedrichseck Z1", März 2012, chef79

stillgelegte Erdgasbohrung „Friedrichseck Z1“, März 2012, ©chef79

Dieser Eintrag bewarb einen Zeitungsartikel des Folgetages, welcher sich dem Thema Erdgasförderung und Radioaktivität widmete. Seit Jahren ist es bekannt, dass im Zuge der Erdgasförderung radioaktive Elemente mitgefördert werden. Diese lagern sich größtenteils mit anderen Feststoffen als Krusten (engl. scales) an Rohrinnenwandungen ab. Nun ist Radioaktivität eine Problematik, mit der insbesondere in Deutschland sehr leicht Aufmerksamkeit erregt und schlimmstenfalls Angst und Panik erzeugt werden kann.

Das ist offenbar auch einem Redaktuer der Böhme-Zeitung, deren Verbreitungsgebiet der Heidekreis bzw. Teile von diesem ist, bewusst. Wenn dann auch noch die von Teilen der Bevölkerung kritisch beäugte Erdgasgewinnung mit radioaktiver Strahlung in Zusammenhang gebracht werden kann, ist die Sensation perfekt. Erdgasförderung und Radioaktivität – ein Garant für hohe Klickraten und Verkaufzahlen? Zumindest fühlte sich der Redakteur veranlasst, mit Hilfe einesSmartphone – Geigerzählers Messungen an der seit mehreren Jahren stillgelegten Erdgasbohrung „Friedrichseck Z1“ bei Soltau durchzuführen.

Anhand eines Fotos auf der Facebookseite der Böhme-Zeitung ist erkennbar, dass es sich bei dem verwendeten Gerät um den Smart Geiger Pro handelt. Laut einer ausführlichen Kritik bei Science Blogs/Nucular  ist das Gerät nicht in der Lage, zuverlässige Ergebnisse zu liefern. Gegenüber professionellen Geräten weichen die Messergebnisse bis zu 50 Prozent ab.

Jedenfalls ließ ich es mir nicht nehmen, die Ankündigung zum Artikel bei Facebook zu kritisieren. Zum einen wies ich darauf hin, dass die Anlage mindestens seit März 2012 stillgelegt sei. Zum anderen prangerte ich die offensichtliche Angstschürerei an. Die Böhme-Zeitung reagierte auf meine beiden Postings mit äußerst interessanten Antworten. Diese gibt es HIER zu lesen.

Eventuell rechtliche Konsequenzen für den Redakteur

Erdgasförderbohrung "Munster Nord Z3" chef79

Alles sauber und ordentlich: Inzwischen zurückgebaute Erdgasförderbohrung „Munster Nord Z3“ im März 2012,  ©chef79

Zunächst ist es schon einmal interessant, dass die Böhme-Zeitung auf meine Kritik, Messungen seien trotz des angeblich frei zugänglichen Geländes nur von außerhalb erfolgt, antwortet, dass auch Messungen innerhalb der Umzäunung erfolgten. Das bedeutet, dass sich der Redakteur und möglicherweise weitere Personen, in der Antwort ist von „wir“ die Rede, trotz Verbotes Zugang zum Gelände verschafft haben. Dabei ist es vollkommen irrelevant, dass möglicherweise ein Tor offen stand. Kaum jemand mit gesundem Menschenverstand würde auf die Idee kommen, ein fremdes Grundstück oder eine Wohnung zu betreten, nur weil Tor oder Tür offenstünden.

Auf das öffentliche Geständnis, ein Betriebsgelände widerrechtlich betreten zu haben, reagierte der Betreiber der inzwischen verfüllten Bohrung konsequent. Die ExxonMobil Production Deutschland GmbH (EMPG) stellte nicht nur Strafantrag gegen den Redakteur sowie gegen unbekannt, sondern auch einiges klar. Zum einen wurde darauf hingewiesen, dass der Redakteur mit einer falschen Maßeinheit an die Öffentlichkeit sowie an die EMPG herangetreten ist. Die Stellungnahme von ExxonMobil ist hier nachzulesen: Skandalisierung im Bericht der Böhme-Zeitung: „Geradzu skurril“

Wir haben keine Ursachenerklärung zur Messung abgegeben, haben noch nicht einmal gesagt, dass die Messwerte stimmen müssen und haben das auch begründet.[…]
Facebook-Kommentar Böhme-Zeitung

Schwerwiegender ist jedoch, dass die Böhme-Zeitung, auf meinen Kommentar hin, eingestanden hat, dass die Messwerte nicht stimmen müssen. Doch warum wird dann auf Basis möglicherweise nicht korrekter Messergebnisse ein Artikel zusammengeschustert? Hier sind wir wieder beim Punkt „Sensationsjournalismus“ angelangt und das in Zeiten, in denen die Glaubwürdigkeit offizieller Medien stark leidet. Mit solcherlei Berichterstattung wird der Reputation jedenfalls ein Bärendienst erwiesen.

Kreiszeitung Rotenburg befasst sich ebenfalls mit dem Thema

friedrichseck-z1

Lage des Betriebsplatzes „Friedrichseck Z1“ im Gelände. Quelle: GoogleMaps

Obwohl sich die aufgegebene Erdgasbohrung nicht im Distributionsbereich der Kreiszeitung Rotenburg befindet, befasst sich diese ebenfalls mit dem Artikel der Böhme-Zeitung. Hintergrund dürfte der Widerstand einiger Mitbürger gegen die dortige Erdgasproduktion sein. Diese unterstellen, dass von der Erdgasgewinnung schwerweigende Gesundheitsgefährdungen ausgingen, ohne dies belegen zu können.

Entlastende Untersuchungsergebnisse, durchgeführt von akkreditierten Laboratorien, werden grundsätzlich in Frage gestellt. Im Gegenzug wird jedoch  unsauberen Messungen, wie eben die durch den Böhme-Zeitung-Redakteur, unkritisch Glauben geschenkt. Unterstützt werden sie dabei u.a. vom Umweltmediziner Dr. Matthias Bantz aus Rotenburg. Dieser bezeichnet  Grenzwerte zur Strahlenexposition im Kreiszeitung-Artikel als „Schönrederei“. Sie sollen seiner Ansicht nach lediglich dazu dienen, „damit die Industrie mit diesen Werten arbeiten kann“. Diese Argumentation ist, mit Verlaub, hanebüchener nichtwissenschaftlicher Unsinn!

Bantz behauptet zudem, dass es der Arbeit von Bürgerinitiativen (BI) und Journalisten bedarf, um Schwierigkeiten, egal welcher Art, aufzudecken. Von einer Ausnahme abgesehen liegt der Umweltmediziner falsch. Nahezu sämtliche Skandalisierungsversuche stellten sich im Nachhinein als überzogen, teils als frei erfunden,  heraus.

Der Gipfel der Unverfrorenheit der Erdgasförderungsgegner war die Erfindung eines „Säureregens“ (LINK) während Fackelarbeiten auf der Bohrung „Söhlingen Z5“ im April 2014. Obwohl die Aktivisten behaupteten, dass sie Gesundheitsschäden davontrugen, kamen sie nicht auf die Idee, Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste zu alarmieren. Stattdessen filmten sie minutenlang die Arbeiten.

Neben den Unterstellungen von Dr. Bantz liefert der Artikel noch einige interessante Aspekte, die aus der ExxonMobil-Stellungnahme nicht hevorgehen. Hervorhebenswert ist die korrekt getroffene Aussage, dass mit dem eingesetzten an ein Smartphone angeschlossenen Geigerzähler keine wissenschaftlich belastbaren Ergebnisse ermittelt werden können. Zudem wird unter Angabe von Quellen die Ungefährlichkeit der ermittelten Ergebnisse erläutert.

Ebenso interessant sind Äußerungen des ExxonMobil-Pressesprechers Klaus Torp. So sei der Zaun im Bereich eines Fluchtores eingedrückt gewesen. Das deutet auf ein Eindringen auf das Betriebsgelände hin, indem über die Umzäunung geklettert worden ist. Torp spricht weiterhin davon, dass es häufiger vorkomme, dass unbefugt Betriebsgelände betreten werde. Diese Darstellung ist durchaus plausibel. Denn im Mai 2014 erdreistete sich die NDR-Journalistin Alexa Höber im Beisein eines BI-Mitgliedes aus Wittorf das Tor zum Förderplatz „Söhlingen Z5“ aufzuschieben. Es ist schon ziemlich verwunderlich, dass zufällig an dem Tag, an dem ein Filmteam des NDR zusammen mit dem BI-Vertreter diese Bohrung im Niemandsland aufsucht und das Tor unverschlossen vorfindet (LINK).

Erdgasförderung und Radioaktivität auch Thema in der Altmark

Erdgaslagerstätte Altmark mit Teillagerstätten. Quelle: LBEG-Jahresbericht 2005

Erdgaslagerstätte Altmark mit Teillagerstätten. Quelle: LBEG-Jahresbericht 2005

Wenige Tage nach dem Beitrag der Böhme-Zeitung erschien bei der sachsen-anhaltinischen „Volksstimme“ ebenfalls ein Artikel, der sich mit Erdgasförderung und Radioaktivität befasste. In der Altmark befindet sich Deutschlands größte aus mehreren Teilfeldern bestehende Erdgaslagerstätte. Diese befindet sich in der Tail-End-Förderphase und dementsprechend werden unproduktive Bohrungen verfüllt und die Betriebsplätze zurückgebaut.

Dazu zählt auch die bereits 1972 abgeteufte Bohrung „Winkelstedt 11“ am äußersten Südostrand des Teilfeldes Heidberg-Mellin. Vermutlich durch den Artikel der Böhme-Zeitung auf den Plan gerufen, begab sich die regionale BI Saubere Umwelt und Energie Altmark zum Betriebsplatz. Dort fand sie noch vorhandene Ausrüstung (Mess- und Schaltkästen, Rohre und Ventile der Messstrecke) vor. Da diese nicht mehr umzäunt war (auf dem Foto zum Volksstimme-Artikel ist der demontierte Zaun neben den Anlagenteilen gut erkennbar), nahmen BI-Vertreter Strahlenmessungen an den Anlagenteilen vor. Sie ermittelten innerhalb der Rohrwandungen kaum überraschende Werte. In einem Abstand von lediglich 50 cm bewegten sich die Werte im Bereich der Hintergrundstrahlung bzw. knapp darüber.

Auch wenn das im Rückbau befindliche Betriebsgelände nicht mehr durch einen Zaun gesichert war, ist es dennoch mit einem „Betreten Verboten“-Schild gekennzeichnet worden. Doch offenbar interessieren solche Verbote Vertreter von BI herzlich wenig wenn sich die Möglichkeit bietet, einen vermeintlichen Skandal vom Zaun zu brechen. Unrechtsbewusstsein? Fehlanzeige!

Dennoch muss sich das verantwortliche Unternehmen, die Engie E&P Deutschland GmbH (Engie) die Frage gefallen lassen, warum die Anlagenteile nicht vor der Demontage des Zauns abtransportiert worden sind. Weder sollte doch im Interesse des Unternehmens Schrottdieben die Möglichkeit zur Entwendung geboten werden noch sollte opponierenden BI mit dieser Vorgehensweise in die Hände gespielt werden.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass mit dem Thema Erdgasförderung und Radioaktivität ein erneuter Versuch unternommen worden ist, die inländische Erdgasindustrie mit einem Skandal zu belegen. Doch aufgrund des Verhaltens des Böhme-Zeitung-Redakteurs und eventueller Mitstreiter darf dieser Versuch als gescheitert angesehen werden. Durch das Veröffentlichen nicht haltbarer Messergebnisse sowie durch das unbefugte Betreten von Betriebsgelände wurde der Glaubwürdigkeit und Seriösität offizieller Medien ein Bärendienst erwiesen.  Und auch für BI gilt, dass ein Verbotsschild bindend ist, selbst wenn sie das in ihrer moralischen Selbstüberhöhung nicht akzeptieren wollen.

 

Artikelfoto: Erdgasfördersonde Peckensen 18 im Dezember 2013, ©chef79