Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal Teil VI – Dreister geht es kaum!
Seit gut fünf Monaten gab es bei NDR-Markt keinen Beitrag mehr zum selbst erdachten Bohrschlammskandal. Nun, nach mindestens fünf Beiträgen, gekennzeichnet von spekulativen sowie nicht belastbaren Darstellungen, sollte das Thema ausgequetscht wie eine Zitrone sein. Falsch gedacht! In der jüngsten „Markt“-Sendung (27.03.2017) drehte sich ein Beitrag wiederum um Bohrschlamm. Dieses Mal wurde sich auf Schleswig-Holstein konzentriert. Erwartungsgemäß gab es kaum Fakten. Stattdessen wurde das übliche Spiel der Angstmacherei durch vage Andeutungen und spekulative, teils bewusst irreführende Aussagen, fortgesetzt.
Emotionalisierung statt faktenorientierter Darstellung
Zu Beginn des Beitrages, welchen sich, oh Wunder, abermals Frau Alexa Höber verantwortlich zeichnet, wird zunächst das Kindchenschema bedient. Angeblich spielten die lieben Kleinen Fußball oder ritten Ponys auf Flächen mit Abfällen aus der Ölindustrie. So zumindest der Verdacht, nicht etwa die Tatsache. Bei dem Abfall soll es sich um giftigen Bohrschlamm handeln. Klar, das Attribut „giftig“ darf aus dramaturigischen Gründen natürlich nicht fehlen. Dabei ist Bohrschlamm nicht per se giftig, auch wenn dieses vom NDR forwährend behauptet wird. Es gilt auch hier: Die permanente Wiederholung einer Unwahrheit wird nicht zur Wahrheit.©
Aber auch auf Grünflächen und Ackerland sei giftiger Bohrschlamm oft unter der Erdoberfläche vorhanden. So zumindest der Verdacht, nicht der Fakt. Dieses nur zur Erinnerung. Als „Beweis“ dafür wird exemplarisch eine Verdachtsfläche durch einen vom NDR beauftragten Bodenprobennehmer mit Seh- und Geruchsinn beprobt. Ort des Geschehens ist ein abgeerntetes Maisfeld, auf dem immer wieder Plastikteile gefunden werden. Das ist leider der Normalfall heutzutage, hat mit dem Thema jedoch rein gar nichts zu tun und ist somit im Beitrag völlig deplatziert.
Auf der Verdachtsfläche überprüft der Bodenprobennehmer unbekannter Herkunft Proben mit der Nase und stößt zudem auf Bauschutt. Er stellt angeblich den Geruch von Mineralölkohlenwasserstoffen (MKW) fest. Auch auf Plastikfolien stößt er bei den Beprobungen immer wieder. Insbesondere der Bauschutt sowie die Plastikfolien sprechen gegen eine reine Bohrschlammdeponie. Dazu später mehr. Der Probennehmer ist sich sicher, dass 200 cm bis 300 cm unter der Erdoberfläche MKW nachweisbar sind. Das schließt er aus seiner Geruchsbeprobung.
Da selbst der beste Gewürzprüfer (Nase) keine eindeutige Interpretation hinsichtlich eines etwaigen Schadstoffgehaltes treffen kann, werden Proben der Untersuchungsfläche an ein Labor geschickt.
Kein Bezug zu Bohrschlamm
Im Zuge der Analyse wird festgestellt, dass die Proben PAK, also polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe enthalten, nicht jedoch MKW. Über die ermittelten Konzentrationen wird, wie üblich für das Format „Markt“ und derartige Berichte, kein Wort verloren. Der geneigte Zuschauer könnte daraufhin schließlich selbstständig recherchieren. Und dabei stellt er dann fest: Sachlich gesehen ist die Panikmache nicht nachvollziehbar.
Denn PAK, insbesondere das hervorgehobene Benzo[a]pyren lassen sich ubiquitär, also allerorten, nachweisen. Eine der Hauptquellen sind unvollständig verbrannte organische Stoffe, wie beispielsweise Holz. Um einen vermeintlichen Bohrschlammskandal zu rechtfertigen, sind PAK und insbesondere Benzo[a]pyren denkbar ungeeignet. Daran ändern auch die ausführlichen Darlegungen zum Gefährdungspotenzial des Stoffes durch Herrn Joachim Gerth (TU Hamburg) nichts. Er schildert lediglich allgemein das, was zu Benzo[a]pyren aus wissenschaftlicher Sicht bekannt ist. Dieses ohne jeglichen Bezug zu Bohrschlamm, welchen lediglich der NDR-Beitrag versucht zu suggerieren.
Doch bei genauerer unvoreingenommener Recherche hätte die Autorin Höber feststellen müssen, dass sie einem Phantom hinterher jagt. Denn in einer Einblendung ist zu sehen, woraus der angeblich giftige Bohrschlamm besteht: Aus erbohrtem Gestein und einer Tonsüßspülung. Tonsüßspülung bedeutet nichts weiter, dass als Bohrspülung mit Ton versetztes Süßwasser verwendet wurde. Wie aus ungiftigem erbohrten Gestein und ungiftiger Tonspülung auf Süßwasserbasis giftiger Bohrschlamm mit PAK-Gehalt und dabei insbesondere Benzo[a]pyren entstehen soll, bleibt das Geheimnis der investigativen NDR-Rechercheure.
Dennoch wendete sich das Team an das Umweltministerium Schleswig-Holsteins. Die Frage nach einer systematischen Untersuchung wurde ebenso verneint wie die Anfrage zu einem Interview abgelehnt wurde. Stattdessen wurde darauf hingewiesen, dass die ermittelten Werte nach Bundesbodenschutzverordnung (BBSchVO) keinerlei Gefährdungspotenzial erwarten ließen. Da waren die Rechercheure baff! Denn auf die Idee, einschlägige Verordnungen zu konsultieren sind sie in Vergangenheit wie Gegenwart nicht gekommen, genausowenig wie Befunde anhand dieser Verordnungen sachgerecht einzuordnen. Dieses würde offenbar dem Prinzip der Dramatisierung zuwider laufen. Ein Bohrschlammskandal auf Faktenbasis? Undenkbar!
Indirekt zugegeben: Kein Bohrschlammskandal
Doch dass die untersuchte Fläche letztendlich ungeeignet ist, um den selbst erdachten Bohrschlammskandal argumentativ und faktisch zu belegen, wird im Verlauf des Beitrages indirekt eingestanden. Zunächst gab es bereits Indizien, die Zweifel an einer reinen Bohrschlammgrube aufkommen ließen. Dazu zählen beispielsweise der nachgewiesene Plastikmüll wie gleichfalls der erbohrte Bauschutt. Ergänzend sei auf die zuvor diskutierte Benzo[a]pyren-Problematik hingewiesen.
Doch schließlich lässt das Reporterteam die Katze aus dem Sack! Bei der beprobten Fläche handelt es sich um keine reine Bohrschlammdueponie, sondern um eine Mischdeponie. Neben Bohrschlamm wurde auch Hausmüll und eben auch Bauschutt eingelagert. Bei Bauschutt kann es sich durchaus um Brandschutt, versetzt mit unvollständig verbranntem Holz, handeln. Das würde zumindest das Auftreten von Benzo[a]pyren erklären.
Ferner wird via des Interviewpartner Patrick Breier (Piratenpartei) eingestanden, dass es bei Mischdeponien kaum möglich ist herauszufinden, wer für Schadstoffeinträge verantwortlich sei. Diesbezüglich stellt sich die Frage, warum dann unter dem im Internet abrufbaren Filmbeitrag Folgendes zu lesen ist:
In Schleswig-Holstein liegen unter manchen Äckern und Bolzplätzen krebserregende Stoffe aus der Erdölindustrie.
Mit diesem Zitat wird etwas als Tatsache dargestellt, was im eigenen Beitrag nicht belegt werden kann. Stattdessen wird zugegeben, wenn auch nur durch den Interviewpartner Breier, dass die ermittelten Schadstoffe mitnichten dem Abfallprodukt Bohrschlamm entstammen müssen. Und wie dargelegt, ist es quasi ausgeschlossen, dass das als „Beweismittel“ hinzugezogene Benzo[a]pyren seiner zugedachten Rolle gerecht wird. Demnach ist es im höchsten Maße zu kritisieren, dass der NDR seine Konsumenten offensichtlich bewusst in die Irre führt. Oder im Jargon des Senders, oder präziser, des Formates „Markt“ zu bleiben: Dreist!
Vertragliche Vereinbarung? Dreister geht es kaum
Dreist findet es das Rechercheteam hingegen, dass bezüglich der exemplarischen Bohrschlamm-, nein, Mischgrube wie wir ja nun durch Eingeständnis wissen, vertragliche Vereinbarungen zwischen dem „Ölkonzern“ DEA und dem Grundeigentümer getroffen wurden.
Dieser hat in den frühen 1970er Jahren von der damaligen DEA (später Deutsche Texaco, dann RWE-DEA, nun wieder DEA mit völlig anderen Eigentumsverhältnissen) 300 DM Nutzungsentgelt erhalten. Zudem wurde vereinbart, dass die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Zustand der aufgegebenen Schlammkuhle auf den Grundeigentümer übergeht und danach eventuelle Schadensfälle zu seinen Lasten gehen.
Interessant: Einvenehmliche vertragliche Vereinbarungen empfinden das „Markt“-Team um Autorin Höber sowie Moderator Jo Hiller also als „dreist“. Dazu darf sich jeder seinen Teil denken.
Vermeintlicher Bohrschlammskandal? Nur bei NDR- „Markt“
Doch nicht nur NDR-„Markt“hat sich des Themas Verdachtsflächen hinsichtlich Bohrschlamms in Schleswig-Holstein angenommen, sondern auch andere Medien, wie die Regionalzeitung SHZ berichten darüber. Die Artikelüberschrift „Bohrschlammgruben überwiegend frei von Altlasten“ liest sich erheblich weniger dramatisch und skandaliesierend als die des NDR-„Markt“-Beitrages.
Bei der SHZ wird sich einfach an die Fakten gehalten:
- 42 Verdachtsflächen wurden bislang untersucht
- bei acht Flächen hat sich der Verdacht erhärtet, was jedoch nicht mit bestätigt gleichzusetzen ist
- für weitere 40 Flächen steht das Ergebnis noch aus
Erfreulich ist auch die differenzierte Erläuterung zur Zusammensetzung von Bohrschlämmen unter Klarstellung, dass dieser, in Abhängigkeit des erbohrten Gesteins sowie der eingesetzten Spülung nicht per se giftig ist, wie vom NDR u.a. öffentlich-rechtlichen Schwesteranstalten regelmäßig unterstellt. Das ist jedoch nicht nur erfreulich sondern auch erstaunlich.
Denn schließlich sind es öffentlich-rechtliche, von der Allgemeinheit finanzierte Anstalten, welche dazu verpflichtet sind, differenziert, sachlich und neutral zu berichten. Dass dem nicht so ist, sondern stattdessen Emotionen geweckt werden, entscheidende Informationen wiederholt ausgelassen werden und Zusammenhänge sugeriert werden, wo es keine geben kann, lässt den den Verfasser zum Schluss kommen: Dreister geht es kaum!
Artikelfoto: Erdölförderung vor der schleswig-holsteinischen Westküste. Copyright: Markus Stahmann