Vor-Ort-Reststoffbehandlung: Ja oder nein?
Auf dem Gelände der Zentralstation Söhlingen soll eine Reststoffbehandlungsanlage errichtet werden. In dieser in einer Halle untergebrachten Anlage sollen Abfälle, die bei der Erdgasförderung und -aufbereitung anfallen, in eine flüssige sowie eine feste Phase getrennt werden. Gegen dieses Vorhaben regt sich Protest, da einige Anwohner ohne plausible Erklärung die Erdgasindustrie für Krebserkrankungen verantwortlich machen. Sie befürchten eine Belastung mit Schadstoffen. Andererseits hieß es in einer „Reportage“ der NDR-Sendung-„Markt“ (die sich gerne als Anwalt für Gegner der inländischen Erdöl-Erdgasindustrie aufspielt) zum Thema Bohrschlamm: Eine Vor-Ort-Reststoffbehandlung zur Konditionierung von Bohrschlämmen wäre im Sinne der Anwohner. Schlau wird man aus diesen widersprüchlichen Vorstellungen nicht.
Hintergrund der geplanten Reststoffbehandlung in Söhlingen
Laut Vorhabensbeschreibung fallen im Förderdistrikt „Elbe-Weser“ auf den Betriebsplätzen der ExxonMobil Production Deutschland GmbH (EMPG) jährlich zwischen 1.800 – 2.750 m³ mit Feststoffen versetzte Reinigungswässer an. Sie entstammen der Reinigung von Anlagenteilen, welche erforderlich ist, um den Produktionsbetrieb aufrecht zu erhalten. In der Anlage zur Reststoffbehandlung erfolgt eine Trennung der Reststoffe in eine flüssige sowie eine feste Phase. Das ist wiederum erforderlich, weil sich Entsorgungsunternehmen mittlerweile dahingehend spezialisiert haben, feste oder flüssige Abfälle anzunehmen. Weitere Details sind der Vorhabensbeschreibung zu entnehmen.
Der maximale Einzugsradius der Anlage beträgt etwa 60 Kilometer. In diesem Radius befindet sich mit dem Feld Thönse die von der Anlage am weitesten entfernte und von der EMPG betriebene Erdgaslagerstätte im Förderdistrikt „Elbe-Weser“. Haupteinzugsgebiet sind jedoch die Lagerstätten Söhlingen/-Ost sowie Rotenburg-Taaken in erheblich geringerem Abstand zur vorgesehenen Aufbereitungsanlage.
Obwohl sich die Anlage auf vorhandenem Betriebsgelände der Zentralstation Söhlingen befinden wird und obwohl das Haupteinzugsgebiet die unmittelbar benachbarten Erdgasfelder darstellen, verlangen Teile der Lokalbevölkerung einen anderen Standort.
Reststoffbehnadlung Söhlingen – Not in my backyard oder St. Florian lässt grüßen
Begründet wird die grundsätzliche Ablehnung vor der eigenen Haustür, auch als „Not in my backyard!“ (NIMBY) oder St. Florians-Prinzip bekannt (verschone mein Haus, zünde das des anderen an) mit äußerst fragwürdigen Argumenten. Diese gehen aus einer Antwort der IG Wiedau auf einen Leserbrief von Frau Dr. Westendorf-Lahouse, Leiterin der Unternehmenskommunikation der EMPG, hervor. Dr. Westendorf-Lahouse beklagte sich in ihrem Leserbrief darüber, dass die IG Wiedau im Stil einer Todesanzeige zu einer „Informationsveranstaltung“ in der Rotenburger Rundschau eingeladen hat.
Doch anstatt auf den Leserbrief inhaltlich einzugehen, wird sich seitens der IG Wiedau daran hochgezogen, dass Frau Dr. Westendorf-Lahouse die Einladung in Form einer Todesanzeige (zu Recht) als widerlich bezeichnet. Dabei besteht die IG in der Antwort darauf, „zu keinem Zeitpunkt öffentlich behauptet [zu haben], dass Exxon-Mobil ursächlich für die erhöhten Krebszahlen verantwortlich ist“. Doch warum dann eine Anzeige in diesem Stil?
Die weiteren Argumente gegen die Standortwahl sind genaugenommen keine. Zunächst wird behauptet, dass ExxonMobil die Region „zusätzlich mit potenziellen Gefahrenstoffen belasten will“. Um eine Region zusätzlich zu belasten, muss eine Belastung bereits existieren. Wie jüngste Langzeitmessungen bestätigt haben, gibt es solche Belastungen nicht. Medial aufgebauschte Nachweise von Quecksilber ändern an dieser Einschätzung nichts. Denn abgesehen von zwei Ausnahmen lagen sämtliche Werte weit unter dem sensibelsten für den Wirkungspfad Boden-Mensch nach Bundesbodenschutzverordnung. Doch die Messergebnisse seitens akkreditierter Unternehmen werden von der IG Wiedau sowie anderen Bürgerinitiativen schlichtweg ignoriert und schlimmstenfalls als Ergebnis inkompetenter Methodik diffamiert.
Zudem tätigt die IG widersprüchliche sowie (bewusst?) falsche Aussagen. So soll die Anlage zur Reststoffbehandlung nicht dazu dienen, in der Region anfallende Reststoffe wegzuschaffen. Doch, genau das ist Sinn und Zweck der Anlage. Dass in ihr auch Stoffe aus dem gesamten Elbe-Weser-Distrikt aufgearbeitet werden sollen, ändert daran nichts. Denn diese befinden sich nur temporär vor Ort und werden ebenso wie die Stoffe aus der Region „weggeschafft“ oder wie es die IG selbst schreibt „WEITERTRANSPORTIERT“. Sprich: In der Region verbleibt nichts! Zudem wäre es interessant zu wissen, wie die IG Wiedau auf die Zahl von 10 Tonnen Schadstoffen pro Tag kommt, die angeblich in der Anlage aufbereitet werden sollen. In der Vorhabensbeschreibung wurde nämlich mit 1.800 – 2.750 m³ Reinigungswasser keine Massenangabe, sondern eine Volumenangabe getätigt.
Der Vogel wird aber damit abgeschossen, indem die IG behauptet, die Anlage zur Reststoffbehandlung würde auf unsicherem torfhaltigen Baugrund errichtet. Sie solle zudem durch die infolge der Erdgasförderung ausgelösten Erdbeben in ihrer Standsicherheit gefährdet sein.
Fakt ist, dass humushaltiger Boden (Torf zählt dazu) grundsätzlich abgetragen werden muss, bevor ein Bauwerk errichtet werden kann. Im Falle der geplanten Anlage ist fest davon auszugehen, dass der humushaltige Boden bereits abgetragen worden ist. Schließlich befindet sich der Standort auf einem seit 30 Jahren existierenden Betriebsgelände. Zum Thema durch Erdgasförderung induzierte Erdbeben: Keines dieser seismischen Ereignisse war in der Vergangenheit dazu in der Lage, Schäden hervorzurufen, die zu Statikschäden selbst an Altbauten geführt haben. Zudem war kaum eines der „Beben“ spürbar. Aufgrund stark zurückgegangener Förderraten ist davon auszugehen, dass die schwache Bebentätigkeit sich reduzieren wird.
NDR-„Markt“ bewirbt Vor-Ort-Aufbereitungsanlage
In unserem letzten Beitrag (Medial herbeigeredeter Bohrschlammskandal Teil V – Der (bisherige) Tiefpunkt) befassten wir uns wiederholt mit der Berichterstattung des „Verbraucherschutzmagazins“ „Markt“ beim NDR zum Thema Bohrschlamm (Bohrschlamm: Wohin mit dem Sondermüll?). Aus Platz- und Zeitgründen haben wir dabei darauf verzichtet, auf den Vorschlag einer Vor-Ort-Behandlung des teilweise, jedoch nicht grundsätzlich, mit Schadstoffen belasteten Materials einzugehen.
Nach Idee des Filmteams, unterstützt durch den omnipräsenten Andreas Rathjens, soll Bohrschlamm aus historischen Gruben und Deponien vor Ort aufbereitet werden. Dem Zuschauer wird in diesem Bericht jedoch verschwiegen, dass Bohrschlämme heutzutage nicht mehr einfach so in Gruben deponiert werden. Doch das wurde, siehe zuvor verlinkten Artikel von uns, dem unbedarften „Markt“-Konsumenten suggeriert.
Im NDR-Beitrag wird eine Anlage der ECON Industries GmbH regelrecht beworben. Diese soll in der Lage sein, etwaige im Bohrschlamm enthaltene Schadstoffe, insbesondere Öle, von Feststoffen abzutrennen. Unkritisch werden Aussagen des CEO des Unternehmens ECON, Herrn Reinhard Schmidt, wiedergegeben. Kurios! Während er Erdöl-Erdgasindustrie Profitmaximierung vorgeworfen wird, kommt der NDR nicht auf die Idee, dass das Unternehmen ECON wie jedes andere Wirtschaftsunternehmen darauf abzielt, Profite zu erzielen und zu maximieren. Herr Schmidt hatte übrigens auch bei uns seine Anlage in Form eines Kommentars beworben. Wir fühlten uns nicht angesprochen und verwiesen ihn höflich an die Erdöl-Erdgas-Industrie.
NDR-„Markt“ behauptet, Vor-Ort-Reststoffbehandlung brächte Vorteile für Anwohner
Im Gegensatz zu den Kritikern der Reststoffbehandlungsanlage auf der Zentralstation „Söhlingen“ sieht NDR-„Markt“ Vorteile in der Vor-Ort-Behandlung von Bohrschlämmen, die Schadstoffe enthalten können. Das ist erstaunlich, sieht sich die Sendung und insbesondere die verantwortliche Autorin Alexa Höber als Anwalt von Gegnern der inländischen Erdöl-Erdgasindustrie. Nicht anders ist es zu erklären, dass stets ein Vertreter einer entsprechenden Bürgerinitiative mit von der Partie ist und den Stichwortgeber spielt. Herausragend ist hierbei die quasi stete Präsenz von Herrn Rathjens.
Der Vorteil für die Anwohner soll sein, dass der Bohrschlamm in einer Halle (sic!) vor Ort aufbereitet werden könnte. Mh, die Aufbereitung von Reststoffen in einer Halle wird jedoch von „Anwohnern“ in Söhlingen kategorisch abgelehnt. Warum soll eine ähnliche Vorgehensweise von „Anwohnern“ an anderen Orten akzeptiert werden?
Was zudem völlig vergessen wird: Im Bohrschlamm können Schadstoffe mehr oder weniger verdünnt enthalten sein. Gemäß der „Markt“-Argumentation würden bei Vor-Ort-Aufbereitung diese Schadstoffe jedoch nicht mehr verdünnt anfallen und abtransportiert werden. Stattdessen erfolgte ein Abtransport von etwaigen Schadstoffen bei optimaler Aufbereitung in Reinform. Kurios: Der Transport von Schadstoffen in Verdünnung wird seitens des Verbraucherschutzmagazins und seiner Adlaten als „Mülltourismus“ angeprangert während mit dem Wegschaffen der Stoffe in Reinform anscheinend keinerlei Problem besteht.
Zudem wird bei der Bewerbung der entsprechenden Aufbereitungsanlage der Firma ECON zwar gesagt, dass der gereinigte Sand wieder in die Grube verbracht werden kann. Es wird jedoch im Gegenzug mit keinerlei Silbe erwähnt, was nun mit den hochkonzentrierten Schadstoffen geschehen soll.
Egal was die Erdöl-Erdgas-Industrie macht – Sie macht es verkehrt
Interessanterweise kommt der „Markt“-Bericht noch auf eine Anlage zu sprechen, die auf einer Plattform im Wattenmeer Bohrschlamm recycelt Bohrschlamm einer Plattform im Wattenmeer behandelt. Kennern der Branche dürfte sofort klar sein, dass es sich hiebei um die von der Deutschen Erdöl AG (DEA) betriebene Bohr- und Förderinsel „Mittelplate A“ handelt. Die Anlage befindet sich im nahegelegenen Cuxhaven und wird per Schiff beliefert (LINK). Dass hierbei aktuell anfallender Bohrschlamm aufbereitet wird und es sich nicht um solchen aus historischen Gruben oder Deponien handelt, wird dem Zuschauer, wie so vieles in diesem Bericht, abermals nicht mitgeteilt.
Stattdessen unterstellt „Markt“ mit besonderer Sekundierung durch Rathjens, dass die aufwendige Aufbereitung aus Gründen der Gewinnmaximierung erfolgt. Schließlich werde ein „besonders teures“ Öl aus dem Bohrschlamm abgeschieden. Dass Umweltschutzgründe und damit verknüpfte Auflagen für die Aufbereitung der entscheidende Grund sein können, kommt weder Frau Höber noch ihrem Adlatus Rathjens in den Sinn.
Und damit sind wir wieder am eigentlichen Ausgangspunkt der Geschichte, dem Leserbrief von Frau Dr. Westendorf-Lahouse. Dort heißt es mit Bezug auf die im Stil einer Todesanzeige gestaltete Einladung der IG Wiedau zu einer „Informationsveranstaltung“ zur geplanten Restoffbehandlung in einer Halle auf existierendem Betriebsgelände: „Egal was wir tun, es muss des Teufels sein.“
Diese Einschätzung scheint zutreffend. Wird die Praxis der Reststoffbehandlung optimiert, indem zentral, von der Umwelt abgeschlossen in einer Halle auf bestehendem Betriebsgelände die Aufbereitung erfolgt, wird dagegen opponiert. Wird teilweise schadstoffhaltiger Bohrschlamm aus nicht mehr zeitgemäßen Deponien ausgekoffert und auf geeignete Deponien verbracht, ist es verkehrt. Wenn dann doch eine Aufbereitung vor Ort erfolgt, dann angeblich nur aus vermeintlicher Profitgier, nicht etwa aus naheliegenderen Umweltschutzgründen.
Die Für- und Wider-Argumentation der Gegner heimischer Erdöl- und Erdgasgewinnung und ihrer offensichtlichen Unterstützer in einigen Redaktionsstuben bezüglich einer Reststoffbehandlung ist nicht nachvollziehbar, um nicht zu sagen: Schizophren!
Artikelfoto: Bohr- und Förderinsel „Mittelplate“, Quelle: ©sukrams