Wissenschaftsdoku „Risiko Fracking“ – Eine kritische Betrachtung Teil I
Am 19.11.2015 strahlte 3sat eine Sendung aus, die sich mit dem Reizthema „Fracking“ befassen sollte. Der unter der Rubrik „Wissenschaftsdoku“ laufende 43-minütige Film ist mit „Risiko Fracking“ betitelt. Hinzu kommt, dass der Autor des Films, der Spiegel-TV-Redakteur Felix Kasten, dem Verfasser dieser kritischen Betrachtung seiner Dokumentation auf dem Kurznachrichtenportal Twitter als den in Bürgerinitiativen engagierten Gegnern inländischer Kohlenwasserstoffgewinnung nahestehend aufgefallen ist. Eine undistanzierte, sachliche, faktenbasierte Dokumentation, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, war nicht zu erwarten. Leider wurde diese Erwartung bestätigt, wie es die folgende Kritik belegt.
1. Risiko Fracking? – Die Einleitung
Bereits nach nur 15 Sekunden offenbart sich der erste eklatante Fehler, indem behauptet wird, dass im Jahr 2000 etwa 20 Prozent des Bedarfes am inländischen Erdgasverbrauch aus „heimischen Sandsteinquellen“ gewonnen worden sind. Es ist zwar korrekt, dass die inländische Erdgasproduktion ca. 20 prozent des Eigenbedarfes abdeckte. Es jedoch falsch, dass die Produktion ausschließlich aus Sandsteinlagerstätten erfolgte. Denn ca. 40 Prozent wurden aus dem Staßfurtkarbonat des Zechstein gewonnen, die übrigen Anteile aus Sandsteinen unterschiedlicher geologischer Perioden bzw. Epochen (Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 2000).
Seit diesem Höchststand um die Jahrtausendwende geht die Inlandsförderung kontinuierlich zurück. Deshalb wurde ab 2008 begonnen, potenzielle weitere Erdgaslagerstätten in bislang nicht bauwürdigen Gesteinen (Tonschiefer mit hohen Anteilen organischer Substanz sowie untergeordnet Kohleflöze des Oberkarbon) zu erkunden. Angebliche „Schiefergasfelder“ werden bei ca. Minute 1:00 dargestellt, allerdings nicht korrekt. Zum einen gibt es überhaupt noch keine „Schiefergasfelder“, da diese erst erkundet werden müssen und zum zweiten werden Gebiete dargestellt, in denen die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) überhaupt kein Potenzial für die Bildung von Schiefergas sieht (westliches Alpenvorland, Schwäbische sowie Fränkische Alb) geschweige denn für eine kommerzielle Gewinnung (Abschätzung des Erdgaspotenzials aus dichten Tongesteinen (Schiefergas) in Deutschland). Andere Gebiete mit Potenzial werden dagegen nicht dargestellt.
Die Einleitung zur Dokumentation wird mit der Frage abgeschlossen, wem die „Fracking“-Technologie nützt und welche Risiken sie birgt. Um es vorweg zu nehmen: Beide Teile der Frage zum vermeintlichen „Risiko Fracking“ werden quasi nicht beantwortet.
2. Schiefergaserkundung in Deutschland – Bohrung „Damme 3“
Zunächst widmet sich der Film der Schiefergaserkundung in Deutschland mit Fokus auf der Bohrung „Damme 3“. In dieser wurden bislang zum einzigen Mal in Deutschland Fracarbeiten in Tonschiefern durchgeführt. Verantwortlich dafür war die ExxonMobil Production Deutschland GmbH (EMPG) mit Sitz in Hannover. Der Unternehmensname wird, wie so oft, mit „Exxon Mobail“ falsch ausgesprochen. Korrekt wäre „Exxon Mobbl“. Doch das ist nebensächlich, insbesondere vor dem Hintergrund der Falschaussagen zu diesem Projekt.
Bei Minute 2:30 heißt es, dass die Fracflüssigkeit im „Boden“ verblieb. Diese absolute Aussage ist insofern falsch, als dass mittels des im Films zu sehenden Tiefpumpenantriebs ein Teil des Fluides zurückgewonnen worden ist. Das rückgeförderte Volumen betrug dabei ca. 25 Prozent der zuvor eingebrachten Fluidmenge (Quelle). Zudem ist es völlig irrelevant, wieviel Fluid zurückbleibt, da es a) sich in fluiddichtem Gestein befindet und selbst physikalische Hilfsmittel die Flüssigkeit nicht mobilisieren können. Die zu vermutende Suggestion Kastens, das Fluid könne sich unkontrolliert ausbreiten, ist somit Unsinn.
Zwischenzeitlich versucht sich der Beitrag damit, die Erschließung von Schiefergaslagerstätten zu erklären. Dafür sei eine angeblich neue Technik erforderlich, die die Horizontalbohrtechnik sowie die Technik der hydraulischen Risserzeugung in Festgestein („Fracking“) miteinander kombiniert. Weder die Horizontalbohrtechnik und schon gar nicht Hydraulic Fracturing sind für sich gesehen neue Techniken. Und die Kombination von beiden ist auch keine erst wenige Jahre zurückliegende Innovation. Bereits 1995, also vor 20 Jahren, wurden beide Techniken in Deutschland in der Bohrung „Söhlingen Z-10“ kombiniert, um das dortige Tightgas-Vorkommen in Sandsteinen des Rotliegenden zu erschließen. Im übrigen erfolgt die Ablenkung der Bohrung in die Horizontale bereits weit vor dem Erreichen der gasführenden Gesteinsschicht, da ein Umknicken um 90° technisch nicht möglich ist. Ansonsten ist die Kurzbeschreibung des Fracvorgangs richtig.
Doch es folgt der nächste Fauxpas, indem behauptet wird, dass „Fracking“ im Schiefer schwieriger sei als im Sandstein. Eine Begründung für diese steile These wird dem Zuschauer aber vorenthalten. Dabei wäre es doch interessant zu erfahren, welche geologischen, geophysikalischen sowie petrologischen Bedingungen das Fracverfahren in Tonschiefern gegenüber Sandsteinen schwieriger gestalten sollen.
Auf die Bohrung „Damme 3“ zurückkommend heißt es, dass Prof. Martin Sauter von der Universität Göttingen die Gefahren für das Grundwasser im Zusammenhang mit der Bohrung untersucht hätte. Diese Formulierung kann so nicht stehenbleiben, da nicht real existierende Gefahren, sonderm potenzielle bzw. unterstellte Gefährdungen erforscht worden sind. Stattdessen bestätigt Sauter, dass Gefahren für das Grundwasser durch das Fracverfahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können.
Laut des Films soll ein Foto, das die oberirdischen technischen Anlagen, die für den Fracvorgang notwendig sind, darstellt, das „einzige öffentlich zugängliche Dokument“ der Fracarbeiten an der Bohrung „Damme 3“ sein. Das ist schlichtweg falsch! Mindestens das Datenblatt mit den für die Maßnahme verwendeten „Chemikalien“ ist online ohne Hürden abrufbar (Quelle). Aus diesem geht auch die angebliche „Vielzahl“ der eingesetzten Zusatzstoffe hervor. Neun sind es an der Zahl, was in der „Wissenschaftsdoku“ jedoch unterschlagen wird. Eventuell ist das damit zu begründen, dass „Vielzahl“ dramatischer klingt als eine konkrete, aber profane Zahl.
Für diese Stoffe gelten „einschlägige Gefahrenkennzeichnungen“ ist die nächste Behauptung, die sich ohne Weiteres widerlegen lässt. Tatsächlich sind 50 Prozent der eingesetzten Stoffe überhaupt nicht kennzeichnungspflichtig. Jeweils 31,25 Prozent sind als „giftig“ oder „umweltgefährdend“ klassifiziert. Weitere 12,5 Prozent gelten als gesundheitsgefährdend und 0,25 Prozent wirken ätzend. Alle diese Kennzeichnungen gelten für die jeweiligen Zusätze in Reinform! Insgesamt beträgt der Anteil aller Zusätze lediglich magere 0,16 Prozent an der Gesamtmasse des Fracfluids inklusive der Stützmittel in Form von Keramikkügelchen.
Auf die Ausführungen zum sogenannten „Frackinggesetz“ sowie denen der Politikwissenschaftlerin Kirsten Westphal soll hier nicht weiter eingegangen werden. Nur soviel: das angedachte Gesetz mit seinen zahlreichen Beschränkungen und Hürden ist völlig überflüssig, da jahrzehntelange Erdgasförderung mit oder ohne des Einsatzes des Hydraulic Fracturing nur geringe Umweltauswirkungen hervorgerufen hat, auch wenn das medial häufig anders dargestellt wird. Es behauptet zudem niemand, dass die Schiefergasvorkommen in Europa die klassische Förderung zu 100 Prozent kompensieren können. Eine Reduzierung des Förderabfalls ist aber gegeben und auf Deutschland bezogen ist eine Stabilisierung der Förderung auf heutigem Niveau sogar denkbar.
3. Impact auf die Umwelt
Ab Minute 8:30 wird behauptet, dass die Technologie das Antlitz ganzer Landstriche in den USA verändert hat. Wie eine Technologie, die ausschließlich unterirdisch angewendet wird, das erreicht haben soll, bleibt offen. Die Behauptung wird mit Satellitenfotos illustriert, die wahrscheinlich die Lagerstätten Pinedale und/oder Jonah in Wyoming zeigen, wo sich Förderplatz an Förderplatz reiht. Gewonnen wird dort Erdgas aus Tightgaslagerstätten und die geologischen Bedingungen lassen horizontale Bohrungen nicht zu. Mehr dazu in unserem Artikel „Zukunftsweisende Konzepte der Erdgasproduktion in Deutschland Teil II„. Dass die Schiefergasgewinnung ohne größeren Impact auf das Landschaftsbild durchgeführt werden kann, belegt nebenstehende Luftaufnahme aus dem pennsylvanischen Städtchen Dimock. Auf diese Kleinstadt kommt die Dokumentation später noch zu sprechen.
Auch die Behauptung, dass „Fracking“ von scharfen Gesetzesvorgaben wie dem Safe Drinking Water Act (SDWA) ausgenommen wurde, um den „Schiefergasboom“ zu ermöglichen, ist nicht richtig. Tatsächlich fußt die Befreiung auf einer Einschätzung der obersten US-Umweltschutzbehörde Environmental Protection Agency (EPA), die die Beeinträchtigung von zur Trinkwassergewinnung nutzbarem Grundwasser durch Fracarbeiten als wenig riskant einstufte, sofern kein Diesel im Fracfluid enthalten ist. Daraufhin wurde Hydraulic Fracturing vom SDWA ausgenommen, es sei denn, dass Diesel ein Additiv dem Fracfluid beigemengt wird (Quelle 1, Quelle 2).
Bezüglich der Kohlendioxid-Bilanz wird bestätigt, dass durch Erdgasverbrennung weniger CO2 erzeugt wird als durch die Verbrennung von Kohle. Dieser „klimawirksame“ Vorteil wird aber durch die Behauptung negiert, dass auf „Frackingfeldern“ (was auch immer das sein soll) Erdgas abgefackelt wird und außerdem Methan entweicht. Erstens wird Erdölbegleitgas auch auf klassischen Feldern verbrannt, wo kein Hydraulic Fracturing zum Einsatz kommt und zweitens steht das potenzielle Entweichen von Methan im Zusammenhang mit der Abdichtung der obertägigen Aufbereitungsanlagen und hat mit der Fractechnologie nichts zu tun. Wieviel Methan bei Aufbereitung und Transport des Erdgases tatsächlich entweicht, wird wissenschaftlich intensiv diskutiert.
In den noch folgenden Teilen II und III werden folgende Punkte diskutiert und in Teil III gibt es eine ausführliche Zusammenfassung:
4. Erdgasförderung, Erdbeben und der kaum vorhandene Zusammenhang mit Hydraulic Fracturing
5. Fracfluide, Additive und deren Aufgaben
6. Potenzielle, aber geringe Risiken des Fracverfahrens
7. Politisch bedingter Stillstand in Deutschland
8. Zusammenfassung
Artikelfoto: Fracarbeiten auf einer Tightgasbohrung bei Goldenstedt in Niedersachsen. Quelle: Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V.