„Fracking“ nicht ursächlich für aktuelles Langwedel-Erdbeben
Am Abend des 22.04.2016 kam es in der Gemeinde Langwedel, Landkreis Verden, zu einem kurzen, jedoch recht intensiven Erdstoß. Er folgt damit einer unregelmäßigen Serie mehrerer seismischer Ereignisse in den vergangenen Jahren in der Region. Aufgrund der räumlichen Lage im näheren Umfeld der Erdgaslagerstätte Völkersen/-Nord sowie der Herdtiefen in ca. 5.000 Metern besteht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang zwischen dem Langwedel-Erdbeben und der Erdgasgewinnung.
Erdgasgewinnung und Erdbeben
Dass durch die Förderung von Erdöl und Erdgas Erdbeben induziert werden können, ist bekannt. So ist in einer Publikation von Dahm et al. (Erscheinungsjahr unbekannt) zu lesen: „Ausgelöste und induzierte Beben treten meistens im Zusammenhang mit Bergbau und Gas- oder Ölförderung auf. Durch die Entnahme von Fluiden oder Gas aus dem Boden können die Schichten mit dem porösen Speichergestein in sich zusammensacken. Das über- und unterliegende Sediment hält den Spannungslasten nicht mehr stand und es kommt zu einem ausgelösten Beben.“
Ein prominentes Beispiel für den Zusammenhang zwischen der Erdgasgewinnung und Erdbeben ist die Lagerstätte „Groningen“ in der gleichnamigen niederländischen Provinz. Infolge zahlreicher Beben, die teilweise substantielle Gebäudeschäden hervorriefen, sah sich die niederländische Regierung dazu veranlasst, die Förderrate durch den Betreiber Nederlandse Aardolie Maatschappij (NAM) deutlich drosseln zu lassen. Laut des Blogs „Juskis Erdbebennews“ führte die Drosselung zu einem Rückgang der Erdbebenaktivität. Uns liegen keine gegenteiligen Informationen vor, also vertrauen wir der Expertise der Kollegen.
Die wohl heftigsten Erdbeben, die durch intensive Erdgasgewinnung induziert worden sind, ereigneten sich im Gebiet des usbekischen Feldes „Gazli“. Dort wurden bei drei Beben 1976 (2) sowie 1984 Lokalmagnituden von über 7 auf der Richterskala registriert (Quelle: Wikipedia). Von solchen Werten sind die Ereignisse in Groningen sowie in den niedersächsichen Förderregionen weit entfernt. Das stärkste mit der niedersächsischen Erdgasprduktion in Verbindung gebrachte Beben erreichte eine Magnitude von 4,5. Es wurde am 20.10.2004 bei Rotenburg/Wümme registriert (Erdbeben zwischen Rotenburg und Neuenkirchen, Lüneburger Heide). Das aktuelle Ereignis bei Langwedel ist mit einer Lokalmagnitude von 3,1 bis 3,3 (Angaben schwanken je nach Erfassungssystem) deutlich schwächer ausgefallen.
Warum das Fracverfahren für das Langwedel-Erdbeben nicht verantwortlich ist
Dass das aktuelle Langwedel-Erdbeben ursächlich auf die Erdgasgewinnung zurückzuführen ist, daran bestehen aus fachlicher Sicht kaum Zweifel. Für die Erdgasproduktion als Auslöser sprechen folgende Tatsachen: Vor Aufnahme der Förderung im dortigen Feld Völkersen/-Nord gab es keine vergleichbaren seismischen Ereignisse. Zudem befinden sich die Epizentren grundsätzlich im unmittelbaren Bereich der Lagerstätte.
Dass das als umgangssprachlich mit „Fracking“ bezeichnete Verfahren „Hydraulic Fracturing“ ursächlich für die Beben ist, kann aus mehreren Gründen kategorisch ausgeschlossen werden. Zum Einen wurde seit 2011 keine Fracmaßnahme in der Lagerstätte mehr durchgeführt (letzte Maßnahme (Völkersen-Nord Z5a, 01.06.2011, Quelle: WEG e.V.), zum anderen gab es nie, auch bei sämtlichen anderen bislang in Niedersachsen durchgeführten Fracmaßnahmen einen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zu spürbaren seismischen Ereignissen.
Reports of hydraulic fracturing causing earthquakes large enough to be felt at the surface are extremely rare, with only three occurrences reported as of late 2012, in Great Britain, Oklahoma, and Canada. United States Geological Survey
Auch international betrachtet stehen 3.000.000 Fracmaßnahmen seit 1947 kaum spürbare Beben gegenüber. Siehe dazu oben stehendes Zitat des United States Geological Survey (USGS). Zwar wurde u.a. durch Medien ein Zusammenhang zwischen der starken Zunahme von Erdbeben in Oklahoma und dem Fracverfahren suggeriert (z.B. „Fracker lassen die Erde beben“, FAZ 18.02.2016), jedoch widerspricht der USGS deutlich dieser Unterstellung (Quelle: Shale Gas Information Platform des GFZ Potsdam):
„Obwohl „Enhanced Oil Recovery“ und Hydraulic Fracturing gelegentlich die Ursache von seismischer Aktivität waren, zeigen Studien, dass die Entsorgung von Abwasser der Öl- und Gasindustrie in tiefe Versenkungsbohrungen die Hauptursache ist. Hydraulic Fracturing spielt beim starken Zuwachs der induzierten Seismizität in den USA keine große Rolle weil (1) Hydraulic Fracturing in aller Regel keine fühlbaren Erdbeben auslöst, (2) in Oklahoma, wo der Anstieg der induzierten Seismizität am größten ist, Abwässer von Hydraulic Fracturing nur einen geringen Anteil vom insgesamt entsorgten Abwasser ausmachen und (3) die Ölproduktion in vielen Ölfeldern, die sehr viel Abwasser produzierten, ohne Hydraulic Fracturing durchgeführt wurde. United States Geological Survey
Somit ist selbst die im verlinkten FAZ-Artikel getroffene Aussage „Verantwortlich für die Beben ist offenbar das Verfahren zur Entsorgung des eingesetzten dreckigen Wassers. „, die der eigenen Schlagzeile eklatant widerspricht, nicht zutreffend. Für Journalisten scheint es offenbar ein unüberwindbares Problem zu sein, fachlich fundierte Quellen zu recherchieren bzw. solche sachgerecht aufzuarbeiten. Stattdessen wird sich irgendwelcher Blödsinn aus den Fingern gesaugt oder eventuell der Einfachheit halber von Berufsempörern/selbsternannten „Experten“ abgeschrieben.
Der Hinweis, das Hydraulic Fracturing für das aktuelle, aber auch zurückliegende Langwedel-Erdbeben nicht verantwortlich sein kannn, ist insofern wichtig, als das laut bei „Juskis Erdbebennews“ aufgeführter Zitate Betroffene diesen Zusammenhang vermuten. So schreibt eine namentlich nicht benannte Person: […] „Wir planen, aus Langwedel wegzuziehen, da dieses das dritte Erdbeben für uns war und die Frackingsproblematik politisch nicht gelöst werden wird.“ Diese vermutungen sind unseres Erachtens Folge jahrelanger Desinformation in Presse, Funk, Fernsehen und Internet.
Lagerstättenwasserversenkung kann ebenfalls für Langwedel-Erdbeben ausgeschlossen werden
Wie bereits oben zitiert wird für den Anstieg der Erdbebenhäufigkeit in Oklahoma vorrangig die Versenkung von Lagerstättenwasser (LaWa, engl. „produced water“) verantwortlich gemacht. Bei LaWa handelt es sich um Tiefenwässer, die Erdöl- und Erdgaslagerstätten unterlagern. Im Laufe der Förderung drückt infolge der Druckentlastung in der Lagerstätte immer mehr von diesem Wasser nach, bis Erdgasbohrungen infolge vollständiger Verwässerung aufgegeben werden müssen.
Dieses LaWa ist aufgrund seines über viele Zehner- bis Hunderte-Millionen-Jahre währenden Einschlusses in Gesteinsschichten ohne den Zustrom frischen Wassers versalzen und enthält zudem weitere teils unliebsame Stoffe aus den jeweiligen Gesteinsschichten. Dementsprechend muss das LaWa sachgerecht entsorgt werden.
Eine Aufbereitung in Trinkwasserqualität, wie von Bürgerinitiativen gefordert, ist unsinnig. Zum einen ist für die Entsalzung ein enormer Energiebedarf erforderlich, zum anderen müssten die Salze sowie andere enthaltene Stoffe, die teilweise giftig sind, in entsprechenden Deponien entsorgt werden.
Um das zu vermeiden, ist es seit Jahrzehnten gängige Praxis, LaWa in aufnahmefähige, ebenfalls salinare Tiefenwässer enthaltende geologische Formationen zu versenken. In Oklahoma hat diese Verfahrensweise zum Anstieg seismischer Aktivität geführt, wobei nur bei einem geringen Teil der zahlreichen Versenkbohrungen induzierte Seismizität dokumentiert werden konnte (verschiedene Artikel auf der Shale Gas Information Platform).
Für die Langwedel-Erbeben kann diese Verfahrensweise deshalb ausgeschlossen werden, weil seit mehreren Jahren kein LaWa in der Region mehr versenkt wird und zudem die Versenkteufen mit ca. 1.000 Metern erheblich flacher liegen als die Herdtiefe der Bebeben, die sich bei ca. 5.000 Metern und somit im Bereich des Erdgasspeicherhorizonts befindet.
In der Gesamtheit betrachtet ist die Gewinnung von Erdgas aus der Lagerstätte Völkersen/-Nord für die Serie der Langwedel-Erdbeben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verantwortlich, nicht jedoch das Hydraulic Fracturing („Fracking“) oder die Versenkung von Lagerstättenwasser.
Artikelfoto: DEA- Bohranlage T-160 im Erdgasfeld Völkersen (Mai 2013) ©chef79