Gasförderungsgegner: Frust über ausbleibende negative Messwerte
Seit Jahren schwelt ein Konflikt um die Erdgasförderung im Landkreis Rotenburg. Hauptbeweggrund war zunächst, dass es an einer Leitung zum Transport von Lagerstättenwasser (LaWa), einem natürlichen Begleitprodukt der Erdgasförderung, zu Schadstoffaustritten gekommen ist. Diese Schadstoffaustritte wurden insbesondere vom NDR zu einem Umweltskandal aufgebauscht, just zu einem Zeitpunkt, als der angeblich vertuschte Schadensfall unübersehbar und aufwendig beseitigt wurde. Später gemessene Quecksilberwerte an Betriebsplätzen, die vereinzelt auch Prüfwerte für Industrieflächen überschritten, rief Gasförderungsgegner, Umweltschutzverbände sowie nicht gerade unvoreingenommen Medienvertreter auf den Plan. Als dann auch noch überdurchschnittliche Blutkrebsraten bei älteren Männern in der Samtgemeinde Bothel festgestellt wurden, war schnell ein mutmaßlicher Verantwortlicher identifiziert: Die in der Region seit drei Jahrzehnten stattfindende Erdgasförderung.
Ermittelte Schadstofffunde nicht als krebsauslösend bekannt
Die an einigen wenigen Betriebsplätzen gefundenen erhöhten Quecksilberwerte übertrafen in einzelnen Proben mit ca. 100 Milligramm je Kilogramm Trockensubstanz Boden sogar den Prüfwert für Industrieanlagen von 80 mg/kg. Das ist selbstverständlich nicht akzeptabel, denn Grenzwerte sind dafür da, um eingehalten zu werden. Dennoch erfolgte seitens der Medien und schon gar nicht seitens der Gasförderungsgegner und Umweltverbände eine sachliche Einordnung der Gesamtsituation. Denn eine großflächige Kontamination der Umgebung ergaben verschiedenste Untersuchungen nicht. Zudem ist festzuhalten, dass es medizinisch keine Erkenntnisse hinsichtlich einer etwaigen Kanzerogenität von Quecksilber gibt, auch wenn einige Darstellungen in Beiträgen öffentlich-rechtlicher Sender oder von lokalen/regionalen Printmedien ein anderes Bild zeichnen.
Krebsauslösend ist jedoch ein anderer natürlicher Begleiter im Erdgas der Region, und zwar der zyklische Kohlenwasserstoff Benzol. Gerade was das Multiple Myelom betrifft, welches in der Samtgemeinde Bothel (SG Bothel) zwischen 2003 und 2012 bei Männern 3,4 Mal häufiger auftrat als erwartet (12 statt 3,5 Fälle), ist Benzol als ein Auslöser medizinisch erwiesen (Häufigkeit und Ursache des multiplen Myeloms). Anders verhält es sich jedoch mit dem Non-Hodgkin-Lymphom, welches bei Männern im genannten Zeitraum in der SG Bothel mit 16 statt erwarteteter 8,8 Fälle ebenfalls zur signifikanten Erhöhung beitrug (Auswertung des EKN zur Häufigkeit von Krebsneuerkrankungen in der Samtgemeinde Bothel). Hier gibt es aus medizinischer Sicht höchstens einen vagen Zusammenhang zwischen Benzolexposition und Erkrankung, so dass selbst die Anerkennung einer Erkrankung infolge beruflicher Exposition kritisch zu hinterfragen ist (Benzol und Non-Hodgkin-Lymphome Erkenntnisse aus epidemiologischer Sicht).
Allerdings muss klargestellt werden, dass erhöhte Benzolimmissionen in der betrachteten Erdgasförderregion im Zuge zweier Langzeitluftuntersuchungen nicht dokumentiert werden konnten. Das bringt die in kokalen Bürgerinitiativen engagierten Gasförderungsgegner nicht davon ab, weiterhin trotz ausbleibender Belege eines Zusammenhangs zwischen der Erdgasförderung in der Region und den erhöhten Blutkrebsraten bei älteren Männern weiterhin die Förderunternehmen verantwortlich zu machen und an den Pranger zu stellen. Wohlwollende Unterstützer finden sie bei einigen politischen Mandatsträgern wie z.B. dem SPD-Generalsekretär und Mitglied des Bundestages Lars Klingbeil, aber auch bei Medien, die mehr oder weniger subtil einen Zusammenhang der Erkrankungen zur Erdgasförderung suggerieren.
Gasförderungsgegner enttäuscht über ausbleibende Beweise
Als jüngstes Beispiel dürfte ein Artikel der Kreiszeitung Rotenburg gelten. Dieser trägt die merkwürdige Schlagzeile „Die AG Erdgas und die Schwierigkeit, Probleme der Förderung messbar zu machen“. Es stellt sich die Frage, wie man diese Überschrift interpretieren soll? Wenn es doch Probleme gibt, dann könnten sie doch bei heutigen präzisen analytischen Methoden anhand von Messungen nachgewiesen werden, sollte man doch meinen. Oder im logischen Umkehrschluss: Wenn teils monatelange Luftuntersuchungen inmitten des Erdgasfeldes keine außergewöhnlichen Schadstoffimmisionen nachweisen können, dann gibt es ergo auch keine Probleme der Förderung.
Doch dass dem so ist, wollen sich die Gasförderungsgegner nicht eingestehen. Stattdessen zweifeln sie die Messergebnisse an und unterstellen den durchführenden Ingenieurbüros und insbesondere dem verantwortlichen Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie fachliche Inkompetenz, ohne im Gegenzug eine bessere Methodik vorzuschlagen. Verfolgt man den Kreiszeitungsartikel weiter, entsteht zumindest beim Verfasser der Eindruck, dass die Gasförderungsgegner fast schon enttäuscht sind, dass keine gesundheitsrelevanten Immissionen als Folge der Erdgasförderung ermittelt werden konnten. Das von ihnen selbst erschaffene Monster, dass für die Krebserkrankungen verantwortlich gemacht wird, stellt sich stattdessen als harmloses Irrlicht dar.
Nachdem also ein Wirkungspfad über die Luft nicht nachgewiesen werden konnte, stürzt man sich auf historische Bohrschlammgruben sowie Mischgruben in der Region. Diese stammen allesamt aus der Zeit vor Entdeckung und Erschließung der ab 1980 aufgeschlossenen produktiven Lagerstätten in Rotliegend-Sandsteinen des Unterperm. Zur heutigen Erdgasgewinnung besteht somit keinerlei Verbindung, und, wie der Artikel der Kreiszeitung richtigerweise feststellt, sind die Gruben Ergebnis eines seinerzeit aus heutiger Sicht generellen laxen Umgangs mit der Umwelt.
Gruben nicht als Satisfaktionsersatz für Gasförderungsgegner geeignet
Deshalb fallen logisch betrachtet die historischen Bohrschlamm-und Mischgruben als Ersatzbefriedigung der Gasförderungsgegner gegenüber der Förderindustrie aus. Aber nicht nur deshalb.
Denn selbst wenn die Altdeponien Schadstoffe enthalten, die gesundheitsgefährdend sind, speziell im Hinblick auf die erhöhten Blutkrebsraten, dann bleibt immer noch die Frage eines Wirkpfades offen. Irritierend ist hierbei zunächst die Formulierung „Aber nein, die Wirkungskette ist noch lange nicht klar“ von Michael Krüger, dem Verfasser des Kreizeitungsartikels. Was meint Krüger damit? Dass es eine Wirkungskette zwar gibt, deren Kettenglieder jedoch noch nicht feststehen? Oder hat er sich nur unglücklich ausgedrückt und meint, dass es keine Klarheit gibt, ob überhaupt ein Wirkungspfad existiert. Neben der Schlagzeile eine weitere schwammige Formulierung.
Geradezu falsch ist hingegen folgende Feststellung Krügers: „Die signifikant erhöhte Zahl hämatologischer Krebsfälle bei älteren Männern in der Samtgemeinde Bothel stehe im Zusammenhang zur Wohnortnähe zu Bohrschlammgruben.“ Das haben die an der Studie beteiligten Wissenschaftler, zumindest bei der Präsentation ihrer Ergebnisse in Rotenburg/Wümme Ende April 2017, nicht gesagt und es ist der Studie auch nicht zu entnehmen.
Tatsächlich wurde eine Korrelation zwischen Abstand des Wohnortes und den fünf betrachteten Bohrschlamm- wie Mischgruben (Mischgruben sind solche, in denen gemeindlicher normaler Müll, aber auch zum Teil Bohrschlamm eingelagert wurden) festgestellt, wobei der durchschnittliche Abstand zwischen Wohnort und Deponie ca. 4 Kilometer beträgt. Abgesehen von der Ermangelung eines Wirkungspfades verdeutlicht der große Abstand zwischen Wohnort und vermeintlicher Ursachenquelle, dass ein kausaler, also begründeter ursächlicher Zusammenhang nicht besteht. An dieser Stelle wird einmal mehr deutlich, dass der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität verbreitet nicht verstanden wird.
Das erklärt auch das triumphierende Grinsen einiger Gasförderungsgegner im Zuge der Präsentation der Untersuchungsergebnisse, als die räumliche Korrelation benannt wurde. Dass keine Aussagen hinsichtlich der Kausalität getroffen worden, ging in ihrer voreiligen „Wir haben’s doch gewusst, dass die Förderindustrie schuld ist.“-Attitüde völlig unter.
Dass die Gasförderungsgegner einigemaßen enttäuscht sind, dass es an Ergebnissen fehlt, die ihre Vorverurteilungen belegen, ist nachvollziehbar. Schließlich wäre damit der wesentliche Punkt der Daseinsberechtigung ihrer Bürgerinitiativen und Interessengemeinschaften obsolet. Aber es wird mutmaßlich bis zum St. Nimmerleins-Tag dauern, bis sie sich eingestehen werden, falsch gelegen und viel Lebensqualität an die irrlichterne Bekämpfung eines Hirngespinstes geopfert zu haben.
Artikelfoto: Bohranlage ITAG-Rig 30 beim Workovereinsatz auf Erdgasbohrung Söhlingen Z9a. Foto: Steven Arndt, Mai 2013.