Erdgasförderung und Tourismus auf Usedom vereinbar? Wir meinen Ja!

Erdgasförderung und Tourismus. Hier jedoch Erdölförderung auf Usedom

Bereits in den 1980er Jahren wurde unter der Ostseeinsel Usedom und insbesondere unter ihren Küstengewässern die Erdgaslagerstätte Heringsdorf entdeckt. Zur Förderung kam es jedoch nicht. Der bankrotten DDR fehlten die finanziellen Mittel, um Aufbereitungsanlagen für das schwefelwasserstoffhaltige Erdgas zu beschaffen. Das Projekt wurde verworfen. Nach der Wende scheiterten mehrere Versuche und Konzepte, die Produktion aufzunehmen. Hauptargument: Angeblich ließen sich Erdgasförderung und Tourismus der einstigen „Badewanne Berlins“ nicht vereinbaren.

Erdgasförderung und Tourismus – Geschichte der Kohlenwasserstoffgewinnung auf Usedom

Testarbeiten auf der Bohrung „E Görmitz 1“ – Die lodernde Fackel belegt die Fündigkeit.
Bildquelle: „Schatzsucher – Eine Chronik des Grimmener Erdölbetriebes“, Erdöl und Heimat e.V.

Dabei ist die Gewinnung von Kohlenwasserstoffen, also Erdöls und Erdgas, kein Novum auf der nicht nur bei Berlinern beliebten Ferieninsel. Bereits 1965 wurde eine Erkundungsbohrung auf der Halbinsel Gnitz mit für deutsche Verhältnisse mehr als 100 t Reinöl pro Tag fündig. Aus dem Fund wurde schließlich in den Folgejahren die Erdöllagerstätte Lütow entwickelt (Schatzsucher – Eine Chronik des Grimmener Erdölbetriebes). Bis heute konnten daraus mehr als 1,3 Millionen Tonnen gewonnen werden. Dazu trugen insgesamt 21 fündige Bohrungen bei, von denen Ende 2016 noch 3 aktiv waren. Diese erbrachten eine Gesamtjahresleistung von 2.173 Tonnen (Erdöl und Erdgas in der Bundesrepublik Deutschland 2016 ). Nicht viel, aber immerhin.

Während meines Studiums der Geowissenschaften in Greifswald Anfang bis Mitte der 2000er Jahre unternahm ich wiederholt Ausflüge nach Usedom. Ein Abstecher ins Erdölfeld Lütow war dabei obligatorisch. Mehrmals konnte ich dabei beobachten, wie Radtouristen sich an einer vom Betreiber der Lagerstätte aufgestellten Infotafel neugieriginformierten. Erdölförderung und Tourismus schließen sich also nicht aus. Warum sollte das beim Erdgas anders sein?

1981 wurde die Gaskondensat-Lagerstätte Heringsdorf mit der Bohrung E Heringsdorf 2 entdeckt. Diese ist, wie die Erdöllagerstätte Lütow, ebenfalls an Speichergesteine des Staßfurtkarbonats gebunden. Eine Folgebohrung zur weiteren Erkundung der Lagerstätte, die Heringsdorf 3, wurde unmittelbar neben der Strandpromenade des Seebades Heringsdorf niedergebracht. Vermutlich um den Tourismus so wenig wie möglich zu beeinträchtigen, erfolgten die Bohrarbeiten außerhalb der Hauptsaison von September 1983 bis Februar 1984 (Schatzsucher – Eine Chronik des Grimmener Erdölbetriebes).

Vermutlich sind es darauffolgenden spektakulären Testarbeiten mit beeindruckenden Flammen auf einem Hochfackelmast, die bei einigen

Erdölerkundungsbohrung “Pudagla 2″ auf Usedom Oktober 2011 © Steven Arndt

Anwohnern einen bleibenden Eindruck hinterließen. Dieser bleibende optische Eindruck, verbunden mit der prophylaktischen Evakuierung aus einer definierten Sicherheitszone während der Testarbeiten dürften u.a. zur verbreiteten Annahme geführt haben, dass Erdgasförderung und Tourismus nicht vereinbar sind.

Dazu ist anzumerken, dass solche Standorte nicht mehr genehmigungsfähig wären. Und bereits zu DDR-Zeiten entschloss man sich, die Produktionsbohrungen im Hinterland, in einer Senke gelegen, abzuteufen. Von den produktions- und Aufbereitungsanlagen wäre kaum etwas zu sehen gewesen, doch zur Umsetzung kam es dann nicht mehr. Zwar wurden noch die Bohrungen Heringsdorf 5 und 6 abgeteuft, die Heringsdorf 4 an einem anderen Standort jedoch nicht mehr (Schatzsucher – Eine Chronik des Grimmener Erdölbetriebes).

Neben diesen beiden prinzipiell wirtschaftlich fündigen Lagerstätten wurden noch die extrem stickstoffhaltige Erdgaslagerstätte Krummin im Rotliegenden sowie das Erdölvorkommen Bansin aufgeschlossen. Beide kamen nicht in reguläre Produktion. Das Gas aus Krummin wurde versuchsweise in die Erdöllagerstätte Lütow zur Steigerung der Ausbeute injiziiert, jedoch ohne nennenswerten Erfolg (Schatzsucher – Eine Chronik des Grimmener Erdölbetriebes).

 

Vor wenigen Jahren gab es noch Versuche, in der Peripherie der Lagerstätte Lütow sowie des Vorkommens Bansin neue Erdölreserven zu erschließen. Beide Bohrungen erschlossen jedoch keine wirtschaftlichen Ölmengen. Auswirkungen auf den Tourismus hatten beide Vorhaben nicht. Tatsächlich habe ich im Oktober 2011 während einer Fahrt mit der Usedomer Bäderbahn wiederum Neugierde unter Mitreisenden registrieren können, als diese die in der Abenddämmerung stehende Bohranlage auf der Bohrung Pudagla 2 erblickten. Für die Erkundungsmaßnahmen zeichnete sich die CEP Central European Petroleum GmbH verantwortlich.

Konzepte zur Vereinbarung Erdgasförderung und Tourismus auf Usedom

Modell Aufbereitungsanlage Erdgaslagerstätte Heringsdorf

Modell der einst geplanten Erdgasaufbereitungsanlage der Lagerstätte Heringsdorf. Bildquelle: „Schatzsucher – Eine Chronik des Grimmener Erdölbetriebes“, Erdöl und Heimat e.V.

Nach der politischen Wende und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1989/1990 wurde durch den Eigentümer des Bergwerksfeldes, die Erdöl-Erdgas Gommern GmbH bzw. später die Erdgas Erdöl GmbH im Eigentum der Gaz de France erneut überlegt, die Ausbeutung der Lagerstätte vorzunehmen.

Dazu wurde ein neues Konzept der Aufbereitung und Nutzung erarbeitet. Es war geplant, das Erdgas nach Reinigung bohrlochsnah in einem Kraftwerk zu verstromen. Mit dem erzeugten Strom sollte u.a. eine Meerwasserentsalzungsanlage betrieben werden, um der angespannten Trinkwassersituation auf der Urlaubsinsel zu begegnen. Mit diesem Konzept sollte sicherlich auch die Akzeptanz der Skeptiker erhöht werden. Ein zunächst entworfenes Anlagenkonzept wurde verworfen und stattdessen ein Modell entworfen, dass die Anlage nahezu unsichtbar gestaltet hätte (siehe Abbildung). Beide Anlagenentwürfe sind im Erdölmuseum Reinkenhagen in Vorpommern zu bestaunen.

Doch gegen die Ablehnung von Teilen der Bevölkerung sowie insbesondere von einflussreichen Profiteuren des Tourismus war kein Staat zu machen. Das Vorhaben wurde 2002 im Zuge eines Raumordnungsverfahrens abgelehnt.

2015 trat Gaz de France, heute ENGIE, mit einem neuen Konzept an die Öffentlichkeit. Das Erdgas sollte nun nicht mehr verstromt, sondern nach Aufbereitung in das Netz der Gasversorgung Vorpommern eingespeist werden. Doch auch das neue Konzept stieß erwartungsgemäß auf Ablehnung. offenbar zu tief haben sich die Bilder der Erkundungsarbeiten Anfang der 1980er Jahre eingebrannt. Hinzu kommt, dass in Deutschland seit Ende 2010 eine sachliche Debatte bezüglich der inländischen Erdgasgewinnung nicht mehr möglich ist. Im Falle Heringsdorf ist die Zusammensetzung des Erdgases ein weiteres Erschwernis, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen. Es enthält 0,5 % Schwefelwasserstoff, welcher stark giftig ist. Dabei ist anzumerken, dass in Deutschland seit Jahrzehnten Erdgas mit teilweise über 30 Vol. % Schwefelwasserstoff gefördert und aufbereitet wird.

Zu den verworfenen Konzepten soll an dieser Stelle auf unseren Beitrag Neues Konzept zur Erschließung der Erdgaslagerstätte Heringsdorf (Insel Usedom) verwiesen werden.

Aktuelle Debatte

Testarbeiten auf der Bohrung E Heringsdorf 3. Bildquelle: „Schatzsucher – Eine Chronik des Grimmener Erdölbetriebes“, Erdöl und Heimat e.V.

Nachdem es hinsichtlich des Vorhabens, die Erdgasproduktion aus der Lagerstätte Heringsdorf aufzunehmen, einige Zeit ruhig war, keimte die Debatte in den letzten Wochen wieder auf.

Diversen dem Verfasser vorliegende Artikel der Ostsee-Zeitung ist zu entnehmen, dass ENGIE die Aufbereitungsstation weiter ins Hinterland verlegen möchte. Sicherlich wiederum, um Mitbürgern, die der Ansicht sind, Erdgasförderung und Tourismus lassen sich nicht vereinbaren, weiter entgegen zu kommen. Doch die geben sich erwartungsgemäß kompromisslos. Die Gegenargumente sind wie üblich von maßlos übertriebener Risikoeinschätzung, unsachlichen Vergleichen sowie purem Egoismus im Sinne des St. Florian-Prinzip charakterisiert.

Ja, das Erdgas enthält Schwefelwasserstoff und ja, dieser ist ab einer gewissen Konzentration in der Atemluft giftig. Und ja, schwefelwasserstoffhaltiges Erdgas wird seit Jahrzehnten in Deutschland in großem Stil produziert, ohne dass dadurch auch nur ein einziger Mensch zu schaden kam. Vor diesem Hintergrund sind Aussagen des Bürgermeisters von Ückeritz, Herr Andreas Kindler, absurd. Kindler äußert z.B.: „Die Risiken von Unfällen sind nicht auszuschließen. Doch ein Unfall ist einer zuviel und darf nicht geschehen.“ Diesen Maßstab angesetzt, müsste sofort ein Badeverbot in der Ostsee erlassen werden. Jährlich kommen auf Usedom mehrere Menschen zu Tode infolge von Badeunfällen.

Im übrigen: Im benachbarten polnischen Swinemünde lassen sich Tourismus und Industrie gut vereinbaren. Die Stadt vefügt neben Fährterminals über einen Kohlehafen sowie ein Terminal für den Import verflüssigten Erdgases. Und die Stadt verfügt über Gebiete mit Ferienwohnungen und Hotels, durch deren Ansiedlung im Küstenwald diese vom industriell geprägten Teil der Stadt abgeschirmt ist.

Ein wesentlicher Gegner sind Bürgerinitiativen (BI) mit ihren selbsternannten Experten. So wird Christa Labouvie, BI Lebensraum Vorpommern im OZ-Artikel mit der bezeichnenden Schlagzeile „Angst: Gasförderung führt zu Unruhe und Werteverfall“ mit folgenden Worten zitiert: „Das Sauergas […] ist extrem giftig und enthält Schwefelwasserstoff in einer Konzentration von 5000 ppm – wobei 200 ppm bereits zur Atemlähmung führen.“ Hier haben wir wieder einen der üblichen unsinnigen Vergleiche, wie sie gerne von BI ins Feld geführt werden. Das Erdgas ist keine Atemluft und selbst wenn es entweichen sollte, vermischt es sich mit der Umgebungsluft, wobei die Konzentration weiter abgesenkt wird.

Sinnbild für 50 Jahre Ölförderung auf Usedom

Sinnbild für über 50 Jahre mit dem Tourismus vereinbare Kohlenwasserstoffgewinnung auf Usedom. April 2015. © Steven Arndt

Doch um auf den Kern der vermeintlichen Unvereinbarkeit Erdgasförderung und Tourismus zurückzukommen: Seit über fünf Jahrzehnten wird auf Usedom bereits kontinuierlich Erdöl gefördert. Das dabei mitgeförderte Erdölbegleitgas kam zu DDR-Zeiten der regionalen Wirtschaft und der lokalen Bevölkerung zu Gute. Aber auch an anderen touristisch bedeutsamen  Orten in Deutschland wurde bzw. wird Erdöl oder Edgas gefördert. Beispielsweise seien hier die Offshore-Lagerstätten Mittelplate im schleswig-holsteinischen Wattenmeer oder das aufgegebene Feld Schwedeneck-See in der Eckernförder Bucht genannt. Hinzu kommt die Erdgaslagerstätte Greetsiel in Ostfriesland. Dass durch diese Aktivitäten der Tourismus in den jeweiligen Gebieten nachhaltig gestört wurde, ist dem Verfasser nicht bekannt.

Nach Meinung des Verfassers sind Erdgasförderung und Tourismus insofern vereinbar, wenn das Konzept zur Umsetzung des Vorhabens stimmig ist. Das ist im Falle der Erschließung der Lagerstätte Heringsdorf gegeben.

P.S.: Zwei Tage der vor der Veröffentlichung dieses Beitrages führte die BI Lebensraum Vorpommern eine sogenannte Infoveranstaltung durch. Gezeigt wurde dabei die NDR-„Dokumentation“ „Die Tricks der Öl- und Gaskonzerne“. Was wir von dieser Möchtegern-Dokumentation, die keinen einzigen Trick der Konzerne nachweisen konnte, könnt ihr/können Sie hier nachlesen:

Auslassen und Dramatisieren – Der NDR über angebliche Folgen der Erdöl- und Erdgasgewinnung in Norddeutschland

Auslassen und Dramatisieren – Der NDR über angebliche Folgen der Erdöl- und Erdgasgewinnung in Norddeutschland II