Multilateralbohrungen in deutschen Zechsteinlagerstätten – Eine Zwischenbilanz
Anfang 2018 gab die ExxonMobil Production Deutschland GmbH (EMPG) eine Pressemitteilung heraus, aus der zu entnehmen war, dass an der Erdgasförderbohrung Goldenstedt Z25 bei Vechta Arbeiten durchgeführt werden sollen, um die Produktion sicherzustellen. Diese Ankündigung liest sich zunächst unspektakulär, da in Erdgasbohrungen häufig Arbeiten zur Aufrechterhaltung der Förderung vorgenommen werden. Doch dieses Vorhaben war der Auftakt einer Serie von Maßnahmen, die es in der Form zuvor in Deutschland nicht gegeben hat, auch wenn dies aus der Mitteilung nicht hervorgeht. Das Stichwort lautet Multilateralbohrungen unter Verwendung einer Coiled Tubing-Anlage.
Erste Multilateralbohrungen in Gaslagerstätte Goldenstedt/Visbek
Was unter einer Multilateralbohrung zu verstehen ist, haben wir bereits im Beitrag ExxonMobil bohrt Multilateralbohrung in Erdgaslagerstätte Goldenstedt vom 16.05.2018 erläutert.
Wie dem Schluss des damaligen Beitrags zu entnehmen ist, war die damalige Maßnahme entgegen der Mutmaßung des Verfassers nicht das erste Vorhaben dieser Art. Dennoch fand das erste Vorhaben dieser Art unmittelbar zuvor in der Zechstein-Erdgaslagerstätte Goldenstedt/Visbek statt, und zwar in der eingangs erwähnten Bohrung „Goldenstedt Z25“. Dort wurden gleich zwei Äste gebohrt, die jedoch jeweils keine Fünfigkeit erzielen konnten. Ob dies technisch bedingt war oder der Speicher nicht bzw. verwässert angetroffen wurde, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers.
Unmittelbar im Anschluss wurde die Coiled Tubing-Unit der Firma Schlumberger auf die Bohrung „Goldenstedt Z12a“ umgesetzt. Für Details verweisen wir auf den zuvor verlinkten Artikel vom Mai 2018. Im Gegensatz zu den Multilateralbohrungen in der „Goldenstedt Z25“ konnte hier eine Fündigkeit erzielt werden. Gebohrt wurde hier lediglich ein Multilateralast.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die EMPG erst in einer Pressemitteilung vom 06.08.2018 bekannt gab, mit welch innovativer Technik die Erschließung zusätzlicher Erdgsreserven erreicht wurde. Eventuell wollte man nach dem vorangegangenen Misserfolg ein positives Ergebnis abwarten. Laut der EMPG konnte die Kapazität der Bohrung dauerhaft um 50 Prozent erhöht werden. Fürwahr kein schlechtes Ergebnis!
Fortgesetzt wurde die Serie mit dem Bestreben zusätzliche Erdgasreserven zu erschließen mit dem Vorhaben „Visbek Z16a“. Hier wurde zunächst mit einer klassischen Bohranlage, in diesem Fall die ehemalige, nun vom tschechischen Unternehmen MND operierte, ITAG Rig 30 eine geologische Ablenkung aus der Stammbohrung „Visbek Z16“. Anschließend sollte mit einer Coiled Tubing-Anlage der Speicher erschlossen werden.
Anhand der im NIBIS-Kartenserver abrufbaren Daten ist jedoch keine Multilateralbohrung durchgeführt worden. Zumindest ist keine entsprechende Bezeichnung (Visbek Z16aM1) hinterlegt, sondern nur „Visbek Z16a (2.)“, was eine 2. technische Ablenkung bezeichnet. Laut einer Pressemitteilung vom 08.02.2019 kam jedoch wieder eine Coiled Tubing-Anlage zum Einsatz. Die Bohrung ist als „gasfündig“ eingestuft, wobei im Ergebnis laut einer uns bekannten Quelle, die wir hier bewusst nicht verlinken, die von der EMPG erhofften 5.000 m³/h nicht erzielt werden konnten, sondern die Zuflüsse marginal sind.
Multilateralbohrungen in weiteren Zechsteinlagerstätten
Nach den bislang durchwachsenen Ergebnissen der ersten Multilateralbohrungen im Erdgasfeld Goldenstedt/Visbek gab es weitere in anderen von der EMPG betriebenen, an das Staßfurtkarbonat des zweiten Zechsteinzyklus (Ca2) gebundene Gaslagerstätten.
Das nächste Projekt wurde in der südlichsten lean-/sauergasführenden Lagerstätte Niedersachsens, Uchte/Burgmoor, durchgeführt. Standort war die zuvor zweifach geologisch abgelenkte Bohrung mit der entsprechenden Bezeichnung „Uchte Z7b“. Wie bereits beim ersten Multilateralprojekt in der „Goldenstedt Z25“ sind hier zwei Äste gebohrt worden. Mit beiden konnte laut Informationen des NIBIS_Kartenservers eine Fündigkeit erzielt werden.
Anders verhielt es sich jedoch bei der Folgemaßnahme in der Lagerstätte Brettorf/Brinkholz/Neerstedt. Hier wurde Ende April laut EMPG-Pressemitteilung ebenfalls eine Multilateralbohrung durchgeführt. Im NIBIS-Kartenserver sind dazu interessanterweise keine Informationen hinterlegt. Allerdings ist der uns bekannten, hier bewusst nicht verlinkten Quelle zu entnehmen, dass die Bohrung den Speicher verwässert angetroffen hat und somit nicht fündig ist.
Schließlich sollte in der Bohrung „Dötlingen Z3A“ aus dem Jahr 1976 eine Multilateralbohrung (oder auch eine technische Ablenkung?) mit Hilfe einer Coiled Tubing-Anlage zusätzliches Erdgaspotenzial erschlossen werden. Zunächst musste jedoch im untersten Bereich das Stammloch verfüllt und mit einer klassischen Bohranlage ein neues Loch in einen strukturhohen Bereich gebohrt werden. Anschließend sollte wieder unter Verwendung einer Coiled Tubing-Anlage ein Ast kleinen Durchmessers zur Erschließung neuer Erdgasreserven gebohrt werden. Ob dem tatsächlich so war, weiß der Verfasser nicht (siehe Artikel ExxonMobil führt Bohrung Dötlingen Z3A). Der Newsseite der EMPG ist diesbezüglich nichts zu entnehmen. Auch der NIBIS-Kartenserver gibt dazu keine Auskunft. Dort ist lediglich zu erfahren, dass der potenzielle Speicherhorizont verwässert angetroffen worden ist.
Bilanz der bisherigen Multilateralbohrungen
Insgesamt ergibt sich somit eine durchwachsene Bilanz der Multilateralvorhaben unter Verantwortung der EMPG. Von den insgesamt sechs Projekten konnte nur bei der Hälfte eine Fündigkeit erzielt werden. Zudem entspricht die Förderrate der Bohrung „Visbek Z16a“ nach uns bekannten Informationen nicht den Erwartungen.
Allerdings sind Misserfolge, gerade unter Anwendung neuer Techniken, nicht überraschend. Hinzu kommt, dass die bekannten und erschlossenen deutschen Erdgaslagerstätten inzwischen nahezu allesamt als „matur“ (reif) angesehen werden müssen und sich in nicht wenigen Fällen sogar in der Endphase ihres Lebenszyklus befinden. Bereits zahlreiche klassische Ablenkungen aus Stammbohrungen heraus brachten oftmals nicht den gewünschten Erfolg und trafen die Speicherhorizonte bereits verwässert an. Warum sollte es sich bei Multilateralbohrungen anders verhalten?
Dennoch konnten mit den umgesetzten Projekten zusätzliche Gasreserven erschließen, wodurch auch einhergehend ein volkswirtschaftlicher Nutzen erzielt wurde. Ob es noch weitere Projekte dieser Art geben wird, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers. Da dies jedoch nicht auszuschließen ist, ist an dieser Stelle vorsichtig optimistisch von einer Zwischenbilanz, nicht einer endgültigen, die Rede.
Artikelfoto: KCA-Deutag-Bohranlage T-208 auf Erdgasbohrung „Dötlingen Z3A“. Foto: Markus Stahmann, Juni 2019