NABU kann behaupteten Zusammenhang Krebs-Fracking nicht belegen

Im Zusammenhang mit der Energiekrise keimte in Deutschland die „Fracking“-Debatte wieder auf. Daniel Wetzel von DIE WELT nahm das zum Anlass, einen „bizarren Streit“ zwischen Geologen zu thematisieren. Aber auch vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) verbreitete Unwahrheiten zum angeblichen Zusammenhang der Technik mit erhöhten Krebserkrankungen im Umfeld von Erdgasförderanlagen finden Niederschlag im Artikel vom 02.01.2023. Das soll Gegenstand des folgenden Artikels sein, der zunächst die Vorgeschichte beleuchtet.

Erste Anschuldigungen gegen Erdgasförderer 2014

Coiled Tubing-Anlage zum Durchführen von Fracarbeiten auf der Tightgasbohrung „Söhlingen Z15“ Quelle: WEG Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e.V. (heute BVEG)

Nach dem Aufkeimen der „Fracking“-Debatte in Deutschland infolge des Pseudo-Dokumentarfilms „Gasland“ 2010 und dem etwa gleichzeitigen Beginn der Erkundung möglicher Gasvorkommen in Tonschiefern und Kohleflözen stürzten sich frisch gegründete Bürgerinitiativen (BI) und altbekannte Naturschutzverbände auf jeden noch so kleinen Zwischenfall im Zusammenhang mit der heimischen Erdöl- und Erdgasförderung. Sie wurden dabei undistanziert von einigen Journalisten regelrecht unterstützt. Besonders stachen hierbei Vertreter des NDR, des WDR sowie von Radio Bremen hervor. Aber auch Reporter regionaler Blätter ließen es an professioneller Distanz mangeln.

So war es wenig überraschend, dass NDR und Radio Bremen sowie Vertreter der regionalen Presse quasi als Sprachrohr von Bewohnern der Samtgemeinde Bothel, die im Jahr 2014 Krebserkrankungen in ihrem Umfeld mit der Erdgasförderung in Verbindung brachten, fungierten. Ein kritisches Hinterfragen der Behauptungen fand nicht statt. Dabei lagen zum damaligen Zeitpunkt bereits Ergebnisse von Luftuntersuchungen aus dem Jahr 2012 vor, die keine Grenzwertüberschreitungen dokumentieren konnten. Dennoch wurde aufgrund der Behauptungen und Unterstellungen einiger Anwohner umfangreiche statistische Auswertungen bezüglich Krebserkrankungen veranlasst.

Es wurde festgestellt, dass lediglich bei Leukämien und Lymphomen signifikante Erhöhungen, die mit 41 Fällen knapp doppelt so hoch lagen wie die erwarteten 21,3 Neuerkrankungen, auftraten. Das gilt allerdings nur für Männer! Die Neuerkrankungen bei Frauen lagen mit 15 sogar leicht unter den erwarteten 16,8 Fällen. In anderen Gemeinden, auf deren Gebiet ebenfalls Erdgas gefördert wird, zeigten geringere oder gar keine Auffälligkeiten.

Doch das störte BI, Umweltverbände und nunmehr auch die Politik nicht. Für sie war mit der Erdgasindustrie der Schuldige ausgemacht. Der CDU-Politiker Grindel forderte seinerzeit ein sofortiges Verbot des Hydraulic-Fracturing-Verfahrens („Fracking“). Wir berichteten im September 2014 darüber: Erhöhte Krebsfälle in Bothel – Werden Opfer politisch instrumentalisiert?

Es folgten weitere medizinisch-statistische Untersuchungen, umfangreiche Luftbeprobungen im Förderfeld sowie umfassende Bodenuntersuchungen an hunderten Erdöl- und Erdgasförderplätzen in Niedersachsen. Die Luft- und Bodenuntersuchungen erbrachten keine Ergebnisse, die die These der Bewohner stützten. Sie wurden jedoch von BI und Umweltverbänden bezweifelt. Beim NDR wurden die für die beschuldigte Förderindustrie entlastenden Ergebnisse verschwiegen

Das Ergebnis der erstgenannten Untersuchungen wurde in einer groß angelegten Konferenz im April 2017 im Rotenburger Rathaus der Öffentlichkeit präsentiert. Vertreter des NDR und von Radio Bremen waren ebenfalls vor Ort. Ein räumlicher Zusammenhang zwischen Erdgasförderanlagen und Blutkrebsfällen konnte nicht nachgewiesen werden. Lediglich ein vager räumlicher, nicht jedoch kausaler Zusammenhang zwischen historischen Bohrschlammgruben und Erkrankungen hat sich ergeben, was bei Vertretern der BI zu Triumphreaktionen geführt hat. Man glaubte wohl, nun etwas gegen die Förderindustrie in der Hand zu haben. Wir berichteten über die Präsentation ausführlich: Untersuchungsergebnisse zu erhöhten Blutkrebsraten in Bothel

Danach folgten noch weitere Untersuchungen und Studien. Hier eine Auflistung aller mit Ergebnis bis November 2019 aus unserem Artikel Gasfeld Söhlingen – Keine Belastung der Bevölkerung:

  • Langzeitluftuntersuchungen rund um die Zentralstation im Gasfeld Söhlingen 2012 – Ergebnis: Entlastend
  • Bodenuntersuchungen von Gasförderplätzen 2016-2018 – Ergebnis: Entlastend
  • Langzeitluftuntersuchung im Gasfeld Söhlingen auch während Fackelarbeiten 2016 – Ergebnis: Entlastend
  • Abstandsstudie zu Bohrschlammgruben und 2016-2017 – Ergebnis: Entlastend
  • Untersuchungen von Speisepilzen 2018 (Unauffällige Pilze) – Ergebnis: Entlastend
  • Human-Biomonitoring-Studie („Urinstudie“) 2019 – Ergebnis: Entlastend

Die entlastenden Ergebnisse fanden kaum oder gar keinen Niederschlag in den Medien, die sich ansonsten auf jeden noch so kleinen Zwischenfall stürzten.

Laut WELT-Artikel hatte sich 2018 auch der vage Zusammenhang mit historischen Bohrschlammgruben erledigt: „In einer Studie der Universität München aus dem Jahr 2018 konnte „weder ein Zusammenhang der räumlichen Wohnnähe zu Schlammgruben noch zu allen Anlagen der Kohlenwasserstoffförderung (Erdgas- und Erdölförderanlagen) nachgewiesen werden““.

Und auch das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen (EKN) gab im Juni 2022 endgültig Entwarnung: Es gebe „keine Hinweise auf eine Fortsetzung des Clusters“ wird es im WELT-Artikel zitiert. Entsprechende Berichte beim NDR sowie Radio Bremen sind dem Verfasser nicht bekannt.

NABU bleibt wider besseres Wissen bei seiner Darstellung

Erdgasförderbohrung „Söhlingen Z3“ im März 2012. Foto: Steven Arndt

Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise argumentierte Bundesfinanzminister Christian Lindner vor einigen Wochen für die Erschließung heimischer Erdgasvorkommen mittels hydraulischen Fracverfahrens. Dies wäre günstiger sowie klima- und umweltfreundlicher als LNG-Importe aus den USA.

Der NABU bezichtigte in folgender Pressemitteilung vom 24.11.2022 Lindner der Lüge, blieb allerdings selbst nicht bei der Wahrheit:

Wann ist Fracking eine gute Lösung? In der Energiekrise werden schnelle und sichere Zugänge zu Energiequellen gesucht. Fracking leistet das nicht. Die Erschließung von fossilem Frackinggas dauert Jahre, weil die Infrastruktur noch aufgebaut werden muss und befeuert weiter die Klimakatastrophe. Nicht zuletzt würden neue Investitionen über Dekaden hinweg gebunden. Das spricht auch nicht fürs Fracking. Wer verhindern möchte, dass Schadstoffe in unsere Natur eingetragen werden, wird Fracking ebenfalls nicht in Betracht ziehen. Gleiches gilt, wenn die vielerorts auftretende Zunahme von Krebserkrankungen rund um Fracking-Bohrstellen berücksichtigt wird. Bleibt die Frage, warum die FDP sich für diese vielfach schädliche Form der Energiegewinnung stark macht und die Probleme leugnet? Aus unserer Sicht kann es da nur um politische Verhandlungsmasse gehen.

Doch wie bereits dargelegt und durch mehrere verschiedene Untersuchungen belegt, gibt es im Umfeld von Erdgasförderanlagen keine signifikanten Häufungen von Krebs allgemein und auch nicht hinsichtlich spezieller Blutkrebserkrankungen. Und auch für den Eintrag von Schadstoffen durch den eigentlichen Fracprozess gibt es keinerlei Nachweise.

WELT fragte beim NABU nach, welche Belege es denn für die behauptete Zunahme von Krebsfällen gäbe. Der Verband verwies auf die Mutmaßungen in Bothel im Jahr 2013/2014, die sich letztlich nicht erhärteteten. Auf nochmalige Nachfrage von WELT antwortete der Leiter Klimapolitik des NABU: „Da haben wir wohl etwas unpräzise formuliert, da ich weitere eigene Quellen nicht anbieten kann“.

Von einer unpräzisen Formulierung kann keine Rede sein. Vielmehr ist anzunehmen, dass wider besseres Wissen die Unwahrheit geäußert wurde und dabei erwartet wurde, dass es niemandem auffällt.

 

Artikelfoto: Erdgasförderbohrung Preyersmühle-Süd Z1, Foto: Steven Arndt, April 2017