Ungereimtheiten in der Berichterstattung von „Markt“ (NDR) im Zusammenhang mit historischen Bohrschlammgruben
Am 2. November 2014 meldete NDR Online: „Niedersachsen: Giftiger Bohrschlamm im Boden“. Dass es sich hierbei nur um einen historischen Sachverhalt handeln könnte, war sofort klar. Denn das Deponieren von Bohrschlamm in offenen unabgedichteten Gruben ist seit Langem nicht mehr zulässig. Sollte also wieder einmal ein „Umweltskandal“ vom NDR im Zusammenhang mit der Erdöl- und insbesondere Erdgasförderung konstruiert werden? Das ist nicht auszuschließen, denn dafür gibt es mehrere Indizien.
Bereits im September gab es auf der Website der Bürgerinitiative (BI) Kein Fracking in der Heide! einen mit „Öl am Tister Bauernmoor“ betitelten Beitrag, der sich mit der im „Markt“-Beitrag behandelten Bohrschlammgrube der Bohrung „Kallmoor Z1“ aus dem Jahr 1961 befasste. Dort ist zu lesen, dass Augenzeugen berichteten, dass Öl 50 cm unter der Geländeoberfläche zu finden ist. Hier stellt sich bereits die Frage, wie man mit dem bloßen Auge Ölkontaminationen einen halben Meter unter der Erdoberfläche festgestellt werden können.
Aufgrund dieser sensorisch erstaunlichen Feststellung (siehe dazu auch „Die übersinnlichen Kräfte der Gasförderungsgegner“) wendeten sich die BI’ler an den niedersächsischen Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD), der als Weisungsbefugter das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) beauftragte, dem Verdacht nachzugehen. Austritte von Öl konnten bei der Begehung weder visuell noch über den Geruchssinn wahrgenommen werden. Die Geschichte wahr anscheinend erledigt. Doch dem ist nicht so.
Eineinhalb Monate nach dem Artikel bei Kein Fracking in der Heide! berichtete der NDR zufälligerweise über Schadstoffunde im Bereich der historischen Bohrschlammgrube, die der Erdgasaufschlussbohrung „Kallmoor Z1“ aus dem Jahr 1961 zuzuordnen ist. Dass ausgerechnet an der Stelle der NDR recherchiert, wo zuvor BI-Vertreter (eine Vertreterin, Frau Maaß ist im Beitrag als „Anwohnerin“ zu sehen) von Ölaustritten berichteten, die durch offizielle Untersuchungen nicht bestätigt werden konnten, gibt zunächst zu denken. Andererseits ist es natürlich völlig in Ordnung, dass einer solchen Meldung aus der Bevölkerung nachgegangen wird. Soweit so gut.
Doch dass in der Vorab-Info/Pressemitteilung zum Sachverhalt von einem „Umweltskandal“ gesprochen wird („Umweltskandal in Niedersachsen: giftiger Bohrschlamm gefunden“), hinterlässt Zweifel an der Seriösität der NDR-Berichterstattung. Das wird schließlich durch den eigentlichen Bericht bei „Markt“ erhärtet. Denn bereits in der Einleitung zum Bericht ist mit dramatisch-hektischer Musik und im besten RTL 2-Stil zu hören:
Tonnenweise Gift im Boden! Anwohner in Angst!
Einleitend darf darauf dann Andreas Rathjens (wie Frau Maaß auch ein „Anwohner“, obwohl er bereits im Laufe des Jahres „Anwohner“ der 20 km entfernten Bohrung „Söhlingen Z5“ war, siehe „Angeblicher Säureregen in Söhlingen – Soll(te) ein Skandal konstruiert werden?“), der schon häufig bei NDR-Sendungen zum Thema Umweltgefährdung im Zusammenhang mit der Erdgasgewinnung zu sehen war, seine Ansichten von sich geben:
„Wir verseuchen unser Wasser, und Wasser ist unser höchstes Gut.“
Nur inwiefern Wasser „verseucht“ wurde, lässt sich aus dem Bericht nicht schließen. Abgesehen davon ist die gestammelte Anmoderation von Jo Hiller einfach nur peinlich. Er hat möglicherweise in der Anmoderation gemerkt, dass ein konjunktives „könnte“ nicht für eine Skandalisierung ausreichend ist. Über die Aufmachung des „aufklärenden“ Berichts mag sich jeder Leser seine Gedanken machen. Allein schon die düstere Musik zur Untermalung und die raunende, teils arrogant-zynische Kommentierung stehen im Widerspruch einer seriösen und aufklärenden Berichterstattung im Sinne des Rundfunkstaatsvertrags.
Und um beim Rundfunkstaatsvertrag zu bleiben: Wir konnten keine Passage finden, indem es dem NDR gestattet ist, Laboruntersuchungen in Auftrag zu geben und diese mit GEZ-Gebühren zu bezahlen. Denn genau das hat der NDR nach Eigenauskunft getan!
In Niedersachsen liegen Zehntausende Tonnen giftiger Bohrschlamm in ländlichen Gebieten – teilweise nur 260 Meter neben einem Naturschutzgebiet. Das haben Untersuchungen des unabhängigen Labors „Agrolab“ im Auftrag des NDR Verbraucher- und Wirtschaftsmagazins „Markt“ ergeben.
Hier stellt sich die Frage, was daran skandalös ist, wenn auf einer Deponie, nichts anderes stellen Bohrschlammgruben dar, Schadstoffe nachgewiesen werden. Ob dabei der gesamte Bohrschlamm giftig ist, wie vom NDR suggeriert, ist anzuzweifeln. Dass Schadstoffe nachgewiesen werden konnten, ist kein Kunststück. Genauso kann ich auf einer alten Hausmülldeponie graben und werde auch dort Schadstoffe finden. Skandalös wäre es, wenn die Deponie in einem bestehenden Naturschutzgebiet angelegt worden wäre. Doch das ist offensichtlich nicht der Fall. Entscheidend ist letztendlich, ob Schadstoffe aus der Deponie austreten oder nicht.
Offensichtlich ist Letzteres der Fall. Denn weder der NDR noch Behördenvertreter konnten außerhalb der im Beitrag gezeigten Deponien der Bohrung „Kallmoor Z1“ sowie einer weiteren bei Boitzen, wo Schlamm aus mehreren Bohrungen abgelagert wurde, ölige Schadstoffe nachweisen.
Es verhält sich offenbar sogar so, dass für die Deponierung des Bohrschlamms der „Kallmoor Z1“ Betonwannen angelegt wurden. Das berichten unisono die „Kreiszeitung“ („Fachgutachter soll ehemalige Bohrschlammgruben prüfen – Doch giftige Stoffe?“) als auch die „Rotenburger Rundschau“ („Zeitzeugen werden gesucht – Landkreis ruft auf, weitere Bohrschlammgruben zu benennen“).
Weiterhin wird von beiden Zeitungen berichtet, dass die Deponie Boitzen aufgrund zurückgegangener Schadstoffgehalte aus der Bergaufsicht entlassen worden ist. Entsprechende Grundwassermessstellen wurden dementsprechend abgebaut. Darüber mokiert sich der Kommentator im „Markt“-Bericht ungefähr bei Minute 4:30. Offenbar ist er oder vermutlich eher die Autorin des Beitrags, Frau Alexa Höber, mit dem Fakt überfordert, dass von der Deponie keine Gefahr ausgeht.
Dass an der Berichterstattung etwas faul ist, ist auch anderen aufgefallen. So zweifelt ein Kommentator, der sich „Der Bodenschützer“ nennt, die Recherche an. Er hat festgestellt, dass es die vom NDR genannten Maßnahme- bzw. Prüfwerte in der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) überhaupt nicht gibt. Die „Markt“-Redaktion reagierte daraufhin folgendermaßen (Kommentar vom 04.11.2014 zum Vorab-Artikel „Niedersachsen: Giftiger Bohrschlamm im Boden“):
Es ist richtig, dass in der derzeit gültigen Fassung der Bodenschutzverordnung keine konkreten Prüfwerte und Maßnahmeschwellenwerte für Bodenverunreinigungen mit mineralölhaltigen Kohlenwasserstoffen angegeben sind. Deshalb wurden für die Bewertung der Untersuchungsergebnisse die „Empfehlungen für die Erkundung, Bewertung und Behandlung von Grundwasserschäden“ der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) herangezogen, in deren Anhang entsprechende Prüf- und
Maßnahmeschwellenwerte für einige Schadstoffe im Boden genannt werden.Viele Grüße, Ihre Markt Redaktion
Die Redaktion gibt also zu, dass der Zuschauer getäuscht wurde oder wie lässt sich der Kommentar anders interpretieren? Hinzu kommt, dass von Bodenverunreinigungen die Rede war, hier sich aber auf Erkundung, Bewertung und Behandlung von Grundwasserschäden bezogen wird. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Und wie oben erwähnt, konnten keine Grundwasserkontaminationen nachgewiesen werden.
Und auch mir fiel eine weitere Ungereimtheit auf: Zum Ende des Beitrages wird der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel (Bündnis 90/Die Grünen) zusammen mit Herrn Rathjens (beim NDR wieder als „Anwohner“ bezeichnet, siehe folgenden Link zum NDR-Bericht) an der von RWE-Dea betriebenen Versenkbohrung „Wittorf Z1“ bei Visselhövede, ca. 30 Kilometer vom Wohnort Rathjens entfernt, gezeigt. Wenzel besuchte die Bohrung am 13. Oktober, also drei Wochen vor der „Markt“-„Reportage“ („13. Oktober 2014 – Niedersachsens Umweltminister Wenzel besucht Einrichtung der RWE Dea AG“ sowie „Wenzel will Druck auf Erdgas-Förderer erhöhen“, NDRonline vom 14.10.2014). Dort in Wittorf äußerte er sich zur Praxis der Lagerstättenwasserversenkung.
Diese Stellungnahme ist in den „Markt“-Bericht eingeschnitten worden (Minute 8:45) und ist so anmoderiert worden, als bezöge sich Wenzel auf den Sachverhalt der Bohrschlammgruben. Nur wie soll Wenzel drei Wochen vor der „Reportage“ davon gewusst haben? Dass er sich darauf bezieht wäre plausibel, wenn ihm eine entsprechende Frage gestellt worden wäre. Das ist aber nicht der Fall.
Was außerdem auffällt ist, dass der für den „Markt“-Bericht zu Rate gezogene Wissenschaftler Prof. Dr. Calmano bereits im Februar 2014 für die genannte BI „Kein Fracking in der Heide“ zum Thema Lagerstättenwasser referierte („Lagerstättenwasser – Teufelsgebräu?“). Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass der NDR jemanden zu Rate zieht, der exakt für die BI einen Vortrag hält, von der mit Frau Maaß eine Vertreterin neben dem an vielen Orten „anwohnenden“ Andreas Rathjens im Beitrag als „Betroffene“ zu sehen ist.
Kurz zusammengefasst: NDR-„Markt“ hat eine Reportage produziert, die bei genauerer Betrachtung mehrere Ungereimtheiten aufweist. Es beginnt damit, dass wieder einmal ein bekanntes Gesicht aus der Anti-Gasförderungsszene Hauptprotagonist des Berichtes ist. Eine weitere Ungereimtheit ist, dass so getan wird, als wäre die Umwelt durch die innerhalb der Bohrschlammdeponien dokumentierten Schadstoffe gefährdet. Dieser Eindruck wird u.a. durch das Hinzuziehen von Prüf-/Maßnahmewerten verstärkt, die überhaupt nicht existieren, wie die Redaktion einräumen muss. Oder anders ausgedrückt: Es werden Äpfel mit Birnen verglichen.
Bestand nach den recht passablen, da sachlich-nüchtern gehaltenen Berichten zum Thema „Fracking“ bei „panorama3“ sowie „Panorama“ (z.B. „Das schlechte Image von Fracking“) die Hoffnung, der NDR habe den Weg zu seriöser Berichterstattung (wieder-)gefunden, so wurde mit dieser aus genannten Indizien unseriösen Reportage die Hoffnung zu Nichte gemacht. Für die „Reportage“ zeichnete sich übrigens Alexa Höber aus, die bereits Anfang 2011 im Rahmen einer „Markt“-Sendung behauptete, dass das Unternehmen ExxonMobil die Bodensanierung infolge des Austritts von Schadstoffen an einer Lagerstättenwasserleitung im Feld „Söhlingen“ vertuscht hätte. Nur war a) die Maßnahme direkt an einer Straße nicht zu übersehen und b) gab es ein Baustellenschild, dass auch im Beitrag gezeiht wurde. Angeblich waren jedoch die dort aufgeführten Rufnummern nicht korrekt („ExxonMobil und die verschwiegene Umweltverschmutzung in Niedersachsen“).
Eine seriöse Annäherung an das Thema „historische Bohrschlammdeponien“ ist der „Rotenburger Rundschau“ mit ihrem Artikel „Zeitzeugen werden gesucht – Landkreis ruft auf, weitere Bohrschlammgruben zu benennen“ gelungen. Insbesondere aufgrund der Hintergrundinformationen. Eine Berichterstattung im Stil von „Markt“ ist hingegen überflüssig wie ein Kropf!
Im übrigen: Sowohl die „Rotenburger Rundschau“ als auch die „Kreiszeitung“ berichten in Berufung auf die Kreisverwaltung von Rotenburg, dass der NDR die Herausgabe der Untersuchungsergebnisse verweigert:
„Eine Bitte auf Überlassung der vollständigen Untersuchungsergebnisse hat der NDR abgelehnt“, moniert die Kreisverwaltung.
Das ist der Abschluss des Artikels in der „Rotenburger Rundschau“.